Ein interessanter Streit tobt derzeit zwischen dem DHV und der EAPR als zweitem Testzentrum für LTF-Prüfungen. Diesmal geht es nicht um die Klasseneinteilung von Gleitschirmen gemäß ihrer Reaktion bei "flächentiefen Einklappern", sondern um Verzögerungswerte (G-Belastung) der Protektoren von Gurtzeugen. Oder besser: Es geht um die Streitfrage, wie man diese G-Belastung korrekt misst. Dass dahinter durchaus ein Politikum steckt, zeigt sich allein schon daran, dass der zugehörige Thread im DHV-Forum mittlerweile weit über 700 Posts zählt und munter weiterwächst.

Jahrelang war der DHV der einzige Anbieter von Gurtzeugtests. In einem eigens gebauten Messstand werden Gurtzeuge, von einem "Prüfkörper" beschwert, aus 1,5 Meter Höhe auf den Boden plumpsen gelassen, um dabei zu ermitteln, wie viel von der Stoßenergie der Protektor aufnimmt. Jedes Gurtzeug bekommt nur dann ein DHV-Gütesiegel (neuerdings: LTF) und gilt als einigermaßen sicher, wenn seine Verzögerungswerte unter der Grenze von 20 G (20-fache Erdbeschleunigung) bleiben.

Die EAPR wollte als neue Testinstitution natürlich nicht hinter dem DHV zurückstehen und baute ebenfalls einen Messstand für Gurtzeuge. Es ist keine Kopie des DHV-Modells. Aus technischer Sicht ist es darum auch nicht weiter verwunderlich, dass EAPR nicht auf die genau gleichen Messergebnisse kommt wie der DHV. Aber die Messwerte, die die EAPR-Tester auf ihrer Anlage ermitteln, liegen i.d.R. mehr als doppelt so hoch wie die des DHV. Mit anderen Worten: Ein Gurtzeug, dass beim DHV mit 18G als LTF-konform geprüft wird, erreicht auf der EAPR-Anlage nur Verzögerungswerte von über 40 G und wäre auf dem Papier somit sang- und klanglos durchgefallen. Da stellt sich natürlich die Frage: Wer misst hier falsch?

Laut EAPR ist natürlich der Konkurrent DHV der Buhmann: Das Technikreferat soll jahrelang mit einer unzureichenden Messanlage getestet haben. Tatsächlich ergab ein vom DHV in Auftrag gegebenes Gutachten, dass der Messstand - sagen wir mal - suboptimale Ergebnisse bringt und vielleicht nicht immer mit der nötigen Sorgfalt bedient worden ist, um reproduzierbare Ergebnisse zu liefern. Seither sucht der DHV hinter den Kulissen emsig nach Wegen, dieses Problem ohne Gesichtsverlust in den Griff zu bekommen.

Der Protektorstreit birgt politische wie juristische Fallstricke - für alle Flieger. Sollten unabhängige Untersuchungen ergeben, dass frühere DHV-Tests von der Methodik her so fehlerbehaftet sind, dass sie eigentlich wiederholt werden müssten, könnte das im Extremfall dazu führen, dass viele heute schon zugelassene Gurtzeuge plötzlich jenseits des 20G-Grenzwertes lägen. Das Gespenst geht um, dass diese Gurtzeuge dann alle - weil nicht LTF-konform - per Lufttüchtigkeitsanweisung gegroundet werden müssten.

Die EAPR hat das Problem, dass sie derzeit keine Gurtzeuge erfolgreich prüfen könnte, weil auf ihrem Messstand alle Probanden stets über 20G liegen. In der Praxis behilft man sich damit, dass alle G-Belastungstests mit dem Faktor 2,25 nach unten korrigiert werden, um Pi-mal-Daumen in den Ergebnisbereich der DHV-Anlage vorzudringen. Eine saubere Lösung ist auch das keineswegs. Denn die Messverfahren bleiben alles andere als vergleichbar.

Die Lösung des Streits wäre - aus rein technischer Sicht - einfach: EAPR und DHV müssten ihre Anlagen von einem unabhängigen Gutachter einem direkten Vergleich unterziehen lassen, um erstens mögliche Fehlerquellen zu finden, zweitens bestimmte Teststandards genau festzulegen und drittens begründete Umrechnungsfaktoren für die Testergebnisse zu ermitteln.

Politisch ist die Lösung weitaus schwieriger. Nach dem bisher bekannt gewordenen Sachstand misst die alte DHV-Anlage wahrscheinlich wirklich nicht korrekt, zumindest aus der Sicht von Messtechnikern. Hier steht die Frage aus, wie man mit den vielen falschen Messergebnissen der Vergangenheit umgehen soll? Denkbar wäre eine Art Bestandsgarantie der Zulassungen für alle älteren Protektortypen. Doch dafür müsste der DHV seinen Fehler erst einmal eingestehen. Da könnte zumindest das halbe DHV-Gesicht schonmal verloren gehen.

Als zweites Politikum stellt sich die Frage, wie künftig mit dem 20G-Grenzwert umgegangen werden soll? Wenn nämlich die EAPR-Anlage korrekte Messwerte liefert, müssten LTF-konforme Protektoren in Wirklichkeit so dick gebaut werden, dass kleinere Piloten darauf mit fast gestreckten Beinen wie auf einem Gymnastikball sitzen könnten, wie Toni Bender im DHV-Forum anschaulich bemerkte. Das ist sicher nicht im Sinne der Piloten, zumindest wenn sie fliegen wollen. Zumal sich die aktuelle Protektorgeneration in der Praxis wohl bewährt hat.

Eine Lösungsmöglichkeit liegt darin, die LTF-Vorschriften an die neuen Erkenntnisse anzupassen und höhere G-Werte zuzulassen. Wie aber sollte der DHV diesen Rückschritt seinen Mitgliedern erklären?

Die wahrscheinlichere Lösungsvariante deutet sich in ersten Kommentaren des Technikreferates an: Wie stark eine gemessene G-Spitze ausfällt, hängt auch davon ab, über welchen Zeitraum ich die Verzögerung messe. Wenn in einer Millisekunde vielleicht 50 G auf den Körper einwirken, sind es über 2 Millisekunden gemittelt eher nur 20. Mit dieser messstatistischen Stellschraube hätte man also durchaus ein Instrument, um die Ergebnisse auch in Zukunft im LTF-konformen Rahmen zu halten.

Wie sagte schon Winston Churchill: Glaube keiner Statistik, die du nicht selber gefälscht hast.