Aushang der Ergebnisse der Hinterkanten-Messungen beim
PWC Superfinale. // Quelle: britishteampara
Auch am dritten Tag von "Enzogate", der Aufdeckung möglicher Schummeleien von Ozone beim PWC Superfinale in Brasilien, reißen die Spekulationen um den Ursprung der um 40 Zentimeter verlängerten Hinterkante der Enzo 2 Schirme nicht ab.

Eins scheint klar zu sein. Um einen Messfehler vor Ort kann es sich nicht handeln. Joel Debons hat dort mit seinem Lasermeter die Hinterkante der Enzos vermessen und stets erstaunlich übereinstimmende Maße um 6812 mm pro Halbflügel der Enzos gefunden. Laut den ihm vorliegenden Daten dürften es aber nur 6612 mm sein. Das ergibt, auf die gesamte Flügelspannweite gemessen, eine Abweichung von 40 Zentimeter (s. Foto).

Klar ist auch, dass solche Abweichungen nicht innerhalb normaler Fertigungstoleranzen moderner Gleitschirmkonstruktionen vorkommen. "So etwas gab es vielleicht mal vor 20 Jahren, als die Schirme noch 25 riesige Ballonzellen hatten und keiner so genau darauf geachtet hat", sagt Swing Geschäftsführer Günther Wörl. Bei modernen Leistungsschirmen sei so etwas undenkbar. Nach Angaben von Hannes Papesh arbeitet Nova bei seiner Fertigung mit Toleranzen des Segelschnitts, die sich typischerweise im Bereich von unter +/- 4 Zentimetern pro Spannweitenhälfte bewegen.

So bleiben nur ein paar andere Theorien, die derzeit in Blogs und Foren wild diskutiert werden:

1. Die Messfehler-Theorie: Möglicherweise wurde der mustergeprüfte Schirm bei Air Turquoise mit einem anderen Verfahren oder von der falschen Mittelzelle aus gemessen.

2. Die Übertragungsfehler-Theorie: Vielleicht wurde beim handschriftlichen Notieren von Messdaten bei Air Turquoise aus einer 8 versehentlich eine 6. Das würde leicht erklären, warum die Messungen um genau 200 mm auseinander liegen, 6812 / 6612.

3. Die Produktionsfehler-Theorie: In der Fabrik von Ozone wurde möglicherweise unwissentlich mit falschen Konstruktionsdaten gearbeitet.

4. Die Schummel-Theorie: Die Ozone-Verantwortlichen sind blauäugig davon ausgegangen, dass beim PWC zwar Leinen vermessen werden, aber keine Hinterkanten. Mit Blick auf die nicht festgeschriebenen Toleranzen in diesem Bereich könnten sie ein "eingebremstes" Muster zum EN-Test geschickt haben, um diesen sicher zu bestehen. Anschließend produzierten sie eine etwas flottere Variante, um damit Wettbewerbe gewinnen zu können - in der Annahme, dass wohl kaum ein Wettkampfpilot nach einem massiven voll beschleunigten Klapper als "Memme" sagen würde: "Das war jetzt aber nicht EN-D-konform, ich lasse mal meinen Schirm mit dem eingelagerte Muster vergleichen."

Der Ausgang dieses Szene-Krimis bleibt offen. Sollten Theorie 1 oder 2 stimmen, stiege nicht nur aus der Ozone-Zentrale ein riesiger Seufzer der Erleichterung in den Himmel. Denn derzeit steht viel mehr auf dem Spiel als nur die Reputation eines Herstellers.

Sollten sich allerdings Theorie 3 oder 4 bewahrheiten (wobei Ozone ein Schummeln wohl niemals offen zugeben, sondern mit Produktionsfehlern, also Theorie 3 zu erklären versuchen würde), hätte Ozone nicht nur ein großes Image-Problem. Es stellte sich auch die Frage: Was passiert mit all den schon produzierten, bezahlten und geflogenen Schirmen? Sie würden (erst einmal) ihre EN-Zulassung verlieren. Und dann wäre es spannend, ob der Enzo 2 mit längerer Hinterkante bei einem Nachtest unter den Argusaugen der sicherlich interessierten Szene-Öffentlichkeit seine Re-Zertifizierung schaffen würde. Sollte er das nicht, könnte "Enzogate" auch noch ein juristisches Nachspiel haben.