Im Zuge von Enzogate machte Alain Zoller, Chef der Zulassungsstelle Air Turquoise, in einer Stellungnahme gegenüber den PWC-Organisatoren eine interessante Bemerkung. Er schrieb: "Kein einziger der Schirme kann in der Konfiguration, wie er beim Superfinale geflogen wird, den [EN-D] Test bestehen." Denn alle Schirme würden im Wettbewerb Geschwindigkeiten erreichen, die nicht zu den (niedrigeren) Messungen während der Testflüge passten.

Eine plausible Erklärung dafür "lieferte" freilich nur Ozone mit seinem Enzo 2. Dessen um 40 cm längere Hinterkante im Vergleich zum getesten Prüfmuster dürfte einige Stundenkilometer mehr an Top-Speed bringen, weshalb ja auch der große Aufschrei um Enzogate und die Diskussionen über Disqualifizierung der Piloten oder sogar der Annulierung des ganzen Wettbewerbs starteten.

In Gleitschirmforen waren allerdings auch immer wieder Stimmen zu lesen, die mehr Zurückhaltung anmahnten. Für alle Hersteller müsse gelten: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Kombiniert man solche Einschätzungen mit Zollers Statement, stellt sich die Frage: Tricksen die anderen auch bei der Zulassung, vielleicht nur etwas geschickter? Ist tatsächlich keiner der führenden Schirme beim PWC konform mit EN-D?

Einer, der hier Klartext spricht, ist der Gleitschirmkonstrukteur Michael Nesler: "Enzo 2, Boomerang 9 und Icepeak 7 Pro entsprechen alle in keiner Weise den geschriebenen Regeln der EN-D Zulassung, da sie konsequent auf 'best case' getestet wurden", sagt er. Bei einigen der Tests sei er live dabei gewesen, eins der Testmodelle hätte sogar einer seiner Testpiloten nachfliegen dürfen. EN-D konform seien diese Schirme nur durch Tricks der Piloten beim Testen. Und: "Die Manöver wurden solange geflogen, bis es eines gab, das im Verhalten der Zulassung entsprach. Das wurde dann im Video verwendet."

Der Boomerang 9 zum Beispiel habe in der Zulassung nach mehr oder weniger jedem Manöver im Sackflug gehangen und kaum Vorwärtsfahrt gehabt, berichtet Nesler. Gemäß EN-Tests ist das nicht zu kritisieren, da die Testpiloten den Sackflug ausleiten und die Note "D" vergeben, zu der es im Protokoll dann heißt: "Ausleitung durch Eingriff des Piloten in weiteren 3 bis 5 s."

Ob ein solches Flugverhalten für einen Wettbewerbsschirm erwünscht und sinnvoll ist, darüber haben die Testpiloten nicht zu entscheiden. Sie müssen im Zuge des Zulassungsverfahrens nur die Konformität gemäß der Norm beurteilen. Vielen Wettbewerbspiloten wird es da sogar willkommen sein, wenn die Hersteller ihnen später Serienschirme liefern, die durch bauliche Kniffe nicht mehr den Sackflugcharakter der Testmodelle besitzen.

Wie die Hersteller das erreichen können, ohne an den offiziell im Wettbewerb nachgemessenen Leinenlängen etwas verändern zu müssen? Michael Nesler kennt mögliche Tricks. Eine beim Testmodell durch Abnäher verkürzte Hinterkante wie beim Enzo 2 sei nur die Spitze vom Eisberg, sagt er und nennt drei weitere Varianten:

Diagonalrippentrick: Im Testmodell werden auf der A-Ebene bis zu zwei Zentimeter längere Diagonalrippen eingebaut. Dadurch verändert sich die Spannungsverteilung im Schirm. Solche Schirme schießen bei Manövern weniger, sondern enden üblicherweise im Sackflug.

Dehnungstrick: Im Zulassungmuster werden A-Diagonalrippen verbaut, die am Rand nicht umgenäht und zudem diagonal zum Ripstopmuster aus Kette und Schuss ausgeschnitten sind. In dieser Form ist der Stoff unter Zug "elastisch wie Kaugummi" und dämpft somit die Schirmreaktionen auf Manöver.

C-Loop-Trick: Die meisten der Wettbewerbsschirme sind heute 2,5 Leiner, d.h. von der B-Ebene zweigt unter der Kappe noch eine Galerie als Stütze auf die C-Ebene ab. Bei einem Zweileiner wird beim Beschleunigen nicht das Profil verändert, sondern der ganze Schirm kippt wie ein Brett über der B-Ebene als Drehlager in einen geringeren Anstellwinkel. Je stärker beschleunigt wird, desto mehr Spannung kommt allerdings auf die C-Gabel, der Schirm wird automatisch gebremst. Der C-Loop-Trick besteht nun darin, die C-Loops für die Zulassung weiter nach hinten am Segel zu setzen. Der Bremseffekt setzt dann früher ein, die Schirme beschleunigen nicht so stark und reagieren harmloser im Test. Im Serienmodell werden die C-Loops weiter vorne ins Segel genäht, was nach geltenden Regeln messtechnisch nicht überprüft wird. "Die Leinenlängen bleiben danach gleich, aber der Schirm verhält sich in der Serie wie ein reiner Zweileiner", erklärt Nesler.

Ob und welcher Hersteller  nun welche Tricks auch anwendet, wird kaum zu ermitteln sein. Dafür ist das ganze Testprocedere bisher viel zu intransparent, und die Branche breitet darüber gerne den Mantel des Schweigens. Das weiß auch Nesler aus eigener Erfahrung: "Die Jungs haben unendlich viel Fantasie, wenn es ums Bescheißen geht - und keiner will dazu was sagen!"