Chrigel Maurer // Quelle: CM
Chrigel Maurer gilt nicht erst seit seinen drei Siegen bei den Redbull X-Alps als einer der besten Gleitschirmpiloten der Welt. Im lu-glidz-Interview spricht er über erträumte Erfolge, seine Motivation und die Schattenseiten der Leichtigkeit.

Chrigel, viele Piloten bezeichnen Deinen Flugstil und Deine Linienwahl zum Beispiel bei den X-Alps als „traumhaft“. Träumst Du nachts manchmal vom Fliegen?
Chrigel: Träumen ist ein Teil von meinem mentalen Training. Manchmal stelle ich mir neue Flüge oder Akromanöver vor, bis ich einschlafe und davon träume. Es ist schon vorgekommen, dass ich dann erwacht bin und genau wusste, das habe ich jetzt so geträumt, als sei es Realität. Und dann konnte ich das auch umsetzen. Viele meiner Erfolge waren vorher geträumt.

Was sind Deine nächsten Projekte, die Du vielleicht auch in Träumen vorbereitest?
Chrigel: Sportlich sehe ich das X-Pyr als neues, spannendes Projekt. Oder beim Streckenfliegen in den Alpen – wie könnte ich die 300 Kilometer FAI-Dreieck mit dem Gleitschirm erfliegen? Mich motiviert auch die Arbeit an einem Dokumentarfilm mit dem Schweizer Fernsehen. Das war schon länger ein Wunsch von mir, und jetzt habe ich die Zusage erhalten. Im Film wird es um die Faszination des Gleitschirmfliegens gehen, was man da so alles machen kann, wie das funktioniert – erzählt anhand meiner Biografie. Daran werde ich den Sommer über arbeiten.

X-Pyr ist ein Hike&Fly-Rennen wie die X-Alps, allerdings entlang der Pyrenäen. Was reizt Dich daran noch, wo Du die bedeutenderen X-Alps doch schon drei Mal gewonnen hast?
Chrigel: Die X-Pyr sind für mich eine neue Motivation. Es ist ein neues Gebiet, eine neue Landschaft, neue Berge. Und die kennen zu lernen und zu schauen, wie man sich dort bewegen kann oder muss, das ist das Motivierende.

Chrigel mit einem Skywalk Tonic an der Bärgli-Hütte
im Berner Oberland. // Quelle: CM
Die Alpen, vor allem in der Schweiz, kennst Du wie Deine Westentasche. Welche Chancen rechnest Du Dir in einem neuen Gebiet wie den Pyrenäen aus?
Chrigel: Auch in den Alpen gibt es für mich noch viel zu entdecken. Zum Beispiel möchten wir alle 152 Hütten des Schweizer Alpen Clubs (SAC) nur mit Muskelkraft oder dem Gleitschirm besuchen. Für die X-Pyr habe ich nicht unbedingt das Leistungsziel, zu gewinnen. Die Chancen sehen wir wo anders.

Worum geht es Dir dann?
Chrigel: Ich, oder besser gesagt wir als Team, haben ein Lernziel. Wir möchten lernen, wie man sich möglichst einfach, aber doch noch effizient bewegen kann. Bei den X-Alps hatten wir jedes Detail geplant und zudem relativ viel und aufwendiges Material dabei, um möglichst schnell im Ziel zu sein. Bei den X-Pyr will ich erfahren, wie wir möglichst einfach und leicht reisen können. Ich erhoffe mir, dass ich nach dieser Woche in den Pyrenäen darüber viel, viel mehr weiß.

Erfahrungen machen ist das eine, Erfahrungen weitergeben das andere. Du bietest Piloten individuelle Trainingsmöglichkeiten an, die auf deren Wünsche und Bedürfnisse hin zugeschnitten sind. Welche Themen tauchen dabei immer wieder auf?
Chrigel: Eine zentrale Frage der Piloten ist: Wie kann ich meinen Sport sicher ausüben? Wie merke ich für mich, dass das noch sicher ist, und wann nicht mehr? Viele, so auch ich, hatten schon mal einen Rückschlag. Sie denken jetzt nicht ans Aufhören, aber die Angst fliegt mit. Dieser Stress ist ein großes Thema. Und das zweite große Thema ist: Wie finde ich die Thermik, die ich nicht sehe. Wie weiß der Chrigel „immer“, wo es steigt und wo die guten Linien sind?

Gibt es Fragen, die aus Deiner Sicht wichtig wären, die aber niemand stellt?
Chrigel: Ja, die Ansichtsfrage. Üblicherweise gehen Piloten so ein Training an wie zum Beispiel ein Sicherheitstraining. Sie bezahlen dafür und möchten gleich all mein Wissen und Können haben. Aber da sehe ich mich sehr gefordert! Eigentlich würde ich viel häufiger die Frage erwarten: An was kann ich arbeiten? Wenn ein Pilot selbstkritisch ist und überlegt, was er besser machen kann, dann ist ja schon ein Grundstein gelegt. Aber solche Fragen kommen noch zu wenig.

Das heißt, die Piloten träumen lieber. Sie würden gerne fliegen wie ein Chrigel, sehen aber nicht, dass davor noch ganz andere Schritte als Vorarbeit wichtig sind?
Chrigel: Genau. Das ist wie beim Eisberg. Unter Wasser müssen circa 90 Prozent Vorarbeit als Fundament existieren, damit die 10 Prozent Leistung, welche dann ersichtlich sind, möglich werden! Auch werden Leistungs- oder Sicherheitseinbußen oft beim Material oder den Bedingungen gesucht anstelle bei sich selbst. Die Piloten vergleichen sich mit anderen, vergessen aber die unterschiedlichen Voraussetzungen. Sie nehmen zum Beispiel nicht wahr, dass die anderen auch bessere Schirme fliegen können, weil sie einfach mehr oder intensiver fliegen.

Du selbst willst immer das beste Material fliegen. Im vergangenen Jahr bist Du von Advance zu Ozone gegangen, um bei Wettbewerben weiter vorne mitfliegen zu können. Der Wechsel hat in der Gleitschirmszene für Aufsehen gesorgt. Mittlerweile hast Du dich wieder von Ozone getrennt. Warum?
Chrigel: Für meine Tätigkeiten als Gleitschirmpilot ist es meine Voraussetzung, individuell das für mich bestmögliche Material einzusetzen. Mit Blick auf Ozone: Da war ich eigentlich gar nicht richtig, die Zusammenarbeit hat nicht so funktioniert, wie es kommuniziert wurde. Das Material war für meine Ziele 2013 in Ordnung, jetzt schaue ich nach vorne. Daher habe ich mich nun entschlossen, herstellerneutral zu sein.

Mit welchem Schirm wirst Du bei den X-Pyr starten?
Chrigel: Das ist noch nicht klar. Ich bin noch dabei herauszufinden, was für mich aktuell das beste Material sein wird.

Du testest allgemein viel, hast einen guten Überblick über den Gleitschirmmarkt. Gibt es Entwicklungen, die Deiner Meinung nach zu weit gehen oder in die falsche Richtung laufen?
Chrigel: Wenn ich das wüsste, dann wäre ich wahrscheinlich Manager. Ich finde es aber schon spannend, wie durch die X-Alps die ganze Leichtschirmentwicklung allgemein vorangetrieben wurde. Heute sind leichte Produkte im gesamten Markt präsent. Allerdings muss man leichtes Material viel behutsamer behandeln, damit es eine annehmbare Lebensdauer erreicht. Viele Produkte für den Flugalltag werden heute zu leicht gebaut.

Glaubst Du, dass viele Piloten eine zu leichte Ausrüstung für sich wählen?
Chrigel: Ja. Ich versuche immer zu schauen, für was brauche ich meine Ausrüstung. Und wenn ich weiß für was, dann erkunde ich, was dafür in Frage kommt. Und wenn ich das dann habe, dann schaue ich, was ich mit dieser Ausrüstung tatsächlich machen kann. Die wenigsten Piloten können sich die Zeit nehmen, sich selber so ein komplettes Bild zu machen. Sie sehen anfangs nur den Vorteil der Leichtausrüstung, und erst nach einiger Zeit bemerken sie auch die Nachteile. Aber das wird sich am Markt wieder regulieren.

Du hast im vergangenen Jahr auch selbst Gleitschirmausrüstung entwickelt, darunter ganz leichte Gurtzeuge. Sind noch weitere Produkte mit dem Signet „CM“ zu erwarten?
Chrigel: Im Moment nicht. Der Markt ist gesättigt. Zumal ich meine Fähigkeiten nicht unbedingt darin sehe, Gleitschirme zu bauen. Meine Stärke ist die Erfahrung, die ich habe. Und die weiterzugeben, das motiviert mich und ist mein Thema.

Was war die gefährlichste Situation, die Du bisher beim Fliegen erlebt hast?
Chrigel: Am gefährlichsten war es wahrscheinlich immer dann, wenn ich gar nicht realisiert habe, dass es gefährlich war. Denn nur, wenn man sich einer Gefahr auch bewusst wird, kann man sie verstehen und darauf reagieren.

Dank Deiner großen Erfahrung kannst Du viele Risiken vermutlich besser einschätzen als andere. Bist Du heute immer sicher unterwegs?
Chrigel: Nein. Denn ich suche auch die Extreme. Ich versuche einfach immer zu schauen, was für mich noch möglich ist und was nicht mehr. Ich hatte schon drei Abgänge an der Rettung. Und beim Abstieg mit dem Retter ist nie garantiert, dass alles gut geht. Da war schon auch Glück dabei. Ich hatte auch schon harte Landungen. Wenn ich zum Beispiel in Bodennähe Wingover geübt habe und es ein bisschen turbulenter war als ich dachte, dann gab es schon ab und zu mal eine harte Bodenberührung, was mir wiederum viel Erfahrung brachte.

Gibt es Sachen, die Du früher noch gemacht hast, auf die Du heute als Familienvater aber verzichtest – der Sicherheit wegen?
Chrigel: Ich versuche meine Tätigkeiten fokussierter zu betreiben. Drachenfliegen beispielsweise tue ich gar nicht mehr. Beim Drachenfliegen müsste ich noch mehr investieren, damit das für mich sicher ist, obschon ich 2007 Schweizermeister wurde. Aber ich habe nicht die Zeit dazu. Ich würde auch gerne Fallschirmspringen, Basejumpen, Segelfliegen undsoweiter. Aber darauf verzichte ich ebenso, um eine Stufe sicherer unterwegs zu sein. So beschränke ich mich auf das Gleitschirmfliegen und vertraue auf mein Bauchgefühl.

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