Der Sicherheitstrainer Ralf Kahr-Reiter schreibt regelmäßig im Newsletter seiner Flugschule Airsthetik unter dem Titel "Ralphy's Senf" interessante Gedanken zu aktuellen Entwicklungen in der Gleitschirmszene. Sein neuester Text handelt von ganz üblen beschleunigten Einklappern, die auch mit Low-Level-Schirmen möglich sind - wenn der Pilot falsch reagiert. Denn steigt der Pilot zum falschen Zeitpunkt aus dem Beschleuniger, kommt es zu einem plötzlichen Leinenentlaster, der häufig noch mit einem Eintwisten des Piloten einher geht. Um das zu vermeiden ist es sinnvoll - entgegen der weit verbreiteten Lehrmeinung - bei einem bereits erfolgten Klapper nicht schlagartig aus dem Gas zu gehen. Ralf hat mir freundlicherweise gestattet, seine interessante Erklärung zu diesem Phänomen auf lu-glidz zu posten.

Zur Einstimmung ins Thema sollte man sich allerdings erst einmal folgendes Video auf Youtube anschauen, das genau einen solchen heftigen beschleunigten Klapper und die Folgen zeigt (wer sich den Aufschlag etc. sparen will, sollte bei 0:20 einfach Stop drücken, alles wichtige war bis dahin zu sehen):



Und hier nun Ralfs Erläuterungen:

"Wir beobachten in unseren Trainings immer häufiger eine starke Überforderung von Piloten bei beschleunigten Einklappern - und dies zum Teil schon bei EN/LTF „low end“ B Geräten! Dies hat zum einen Teil damit zu tun, dass auch diese Geräte immer leistungsstärker werden, zum anderen aber auch mit der noch weit verbreiteten falschen Pilotenreaktion.

Beschreibung: Zu einer extremen Reaktionen kommt es meist erst bei sehr flächentiefen Klappern (>70%) und steilem Knickwinkel (>45 Grad). Die Schirmreaktion ist meist ähnlich, es kommt zu einem unvermittelten Vorschießen und Wegdrehen von mehr als 90 Grad. In dieser etwa zwei Sekunden dauernden Reaktion ist die Schirmkappe mit sehr hoher Geschwindigkeit unterwegs. Kommt es nun, wie in den meisten Köpfen (leider auch Fluglehrerköpfen) verankert, zu einem Lösen des Beschleunigers, verschlimmert dies die Reaktion der Kappe extrem.

Durch das ruckartige Freigeben des Beschleunigers und der damit verbundenen Erhöhung des Anstellwinkels kommt es zu einer teils explosiven Öffnung des Klappers, welche ein Stoppen der Drehbewegung der Kappe nach sich zieht. Bis dahin hört es sich ja gut an, aber jetzt kommt erst die katastrophale aerodynamische Reaktion dieses schlagartigen Zurücknehmens des Beschleunigers auf uns zu!

Durch die hohe Geschwindigkeit der Kappe und des ca. 90 Grad Vorschießens, bewirkt das Lösen des Beschleunigers eine Anstellwinkelerhöhung ähnlich wie beim Anbremsen. Da der Schirm aber horizontal auf einer Ebene mit dem Piloten steht, wirkt die totale Luftkraft (der Auftrieb des Segels) in diesem Moment horizontal! Dies hat zur Folge, dass der Pilot ähnlich wie an einem Gummiring befestigt, zur Kappe beschleunigt wird (siehe Video)!

Durch das totale Entlasten der Leinen bleibt der Schirm (zum Teil fast vollständig geöffnet) stehen und der Pilot „köpfelt“ in seine Richtung (und im schlimmsten Fall hinein). Da der Pilot durch das aggressive Wegdrehen (>90°) aber den vollen Drehimpuls abbekommen hat, jetzt die Leinen aber völlig entlastet sind, wird er auch noch eingetwistet.

Während der Pilot „twistet“ kommt es durch das Entlasten der Leinen folge zu einer Kaskade am Gleitschirm (Klapper - Gegenklapper - Totalzerstörer). Die nächste Fluglage, in der sich der Pilot meist wiederfindet, ist ein SAT-ähnlicher Spiralsturz (weil Verhänger), eingetwistet, orientierungslos und zudem meist auch noch einer starker G-Belastung ausgesetzt.

Alles was im Normalfall jetzt noch hilft ist der Rettungsschirm! Dies aber auch nur dann, wenn es zu keinem Retterfraß kommt, was hier sehr häufig der Fall ist. Deswegen ist hier ein sogenannter „Beinwurf“ auszuführen. Das heißt, das Rettungsgerät wird den Beinen folgend und so dynamisch es geht schräg nach unten geworfen. Landet der Retter trotzdem in den Leinen, müsst ihr die Verbindungsleine nehmen und gehörig daran ziehen/schütteln, damit dieser Luft fassen kann.

Wie kann ich das Ganze verhindern bzw. die Reaktion entschärfen? Eigentlich ganz einfach: Ich bleibe voll im Beschleuniger stehen bis die erste Dynamik/Geschwindigkeit vorüber ist, und der Pilot sich wieder etwas tiefer unter dem Schirm befindet (etwa 2 Sekunden). Der Schirm öffnet nun wieder, aber ohne den „Bungy-Effekt“. Er verlangsamt die Drehbewegung und Pilot und Kappe bleiben auf Spannung und drehen synchron. Ein „Eintwisten“ ist viel seltener der Fall. Nun kann auch mit der Bremse eingegriffen und eine noch vorhandene Drehbewegung gestoppt werden!

Eines sollte Euch aber klar sein: der Höhenverlust ist trotzdem hoch. 100 Meter sind da schnell weg. Deswegen sollte man nur mit ausreichend (>300m) Boden- und Hangabstand voll beschleunigt fliegen!

Viele, die dies lesen, werden wahrscheinlich denken: „Jetzt hat der Ralf total den Verstand verloren.“ Was der erzählt ist genau das Gegenteil von dem, was wir bis jetzt gelernt haben und wo wir uns sicher waren, dass es so ausgeführt werden soll.

Jein, ihr habt schon recht: Das, was ich hier schreibe, gilt für den Fall, dass ich den Klapper übersehen habe. Natürlich ist es immer noch das Beste, die Störung im Ansatz zu erkennen und mit sofortiger Erhöhung des Anstellwinkels (Beschleuniger lösen) die Störung am Beginn zu verhindern oder zumindest deutlich zu entschärfen! Habe ich dies aber übersehen, gilt das, was ich oben beschrieben habe."