Küstensoaring im menschenleeren Norden Chiles: Oben Wüste, unten Wasser. // Foto: F. Dorninger |
Mittlerweile findet er immer mehr Nachahmer. Das prominenteste Beispiel liefern derzeit Martin Schricke und François Ragolski (Acro-Weltmeister 2014). Anfang November starteten sie "The Paragliding Line". Ziel ist es, 1000 Kilometer per Hike&Fly an der chilenischen Küste zurückzulegen, bis hinauf nach Arica. Derweil ist auch Fritz Dorninger wieder in Chile unterwegs. Kürzlich flog er den ersten von Iquique aus gestarteten 200er (s. XContest). Im Interview mit lu-glidz erzählt er vom Abenteuer der Atacama-Fliegerei.
Fritz, Du nennst Dein Projekt X-Atacama, warum?
Fritz Dorninger: Ich habe das mal Hannes Arch bei der Eröffnung der X-Alps 2009 vorgeschlagen. Ein Rennen mit Begleitschiff an der Küste usw. Leider hat die Marketingabteilung dann empfunden, dass Südamerika eher für Motorsportveranstaltungen geeignet sei.
Du hast als erster Gleitschirmpilot die Küstenabschnitte nördlich von Iquique beflogen. Das ist ein in weiten Teilen menschenleeres, kaum erschlossenes Niemandsland. Zuletzt hast Du dort sogar einen 200 Kilometer Flug absolviert. Absaufen an der Steilküste wäre ein enormes Risiko. Wie gehst Du damit um?
Fritz Dorninger: Naja, ganz so ist das nicht. 2009 war die Küste zwischen Iquique und Camarones noch menschenleer, es gab nur einzelne Fischerbehausungen. Mittlerweile sind da unten jetzt oft einige Hütten in manchen Buchten, in einer sogar eine Art richtiges Fischerdorf. Völlig frei von jedem Zeichen menschlicher Herkunft ist jetzt nur noch der Küstenabschnitt zwischen Calheta Camarones und Calheta Vitor. Das ist angeblich militärisches Sperrgebiet, was stimmen könnte, da ich schon einmal aus netter Höhe Panzern beim Schießen zuschauen konnte. Was das Absaufen betrifft, muss man vorbereitet sein. Thermarestmatratze, Schlafsack, Daunenjacke, Daunenhose, genug Wasser, genug Essen, Selbstvertrauen, Einsicht, Umsicht, Erfahrung, schnelle Entscheidungen. Die wirklich unlandbaren Bereiche hoch, mit Abgleitreserve zurück oder nach vorne oder zur eventuell vorhandenen Notlandestelle befliegen. Zudem gilt es, den Satellitensender Spot aktiv zu halten, geeignete Rückholer beziehungsweise Rückholorganisierer über tägliche Flugpläne umfassend informieren und alle Plan B-C-D-Szenarien besprechen.
Was war der gefährlichste Moment, den Du dort bisher erlebt hast?
Fritz Dorninger: Wir haben einmal in einer Bucht geschlafen und gerade Lagerfeuerholz gesammelt, als wir Schreie eines Menschen in offensichtlicher Todesangst hörten. Wir haben dann beobachtet, dass bei einen Kampf auf einem Boot eine Person über Bord ging und vermutlich in der felsigen Brandung starb, worauf die anderen Insassen des Bootes angelandet sind und ein Lkw ankam und alles schnell verladen wurde. Am nächsten Tag kam der Lkw wieder und etliche mehr dieser Gruppe erschienen. Sie befragten uns, ob wir wüssten, ob und was da gestern gewesen sein könnte. Diese Menschen sahen durchaus nicht vertrauenserweckend aus. Angeblich hat die chilenische Drogenpolizei in dem Küstenabschnitt diesen Menschen das Handwerk gelegt.
Die nächste echte Stadt nördlich von Iquique ist Arica, knapp 200 km Luftlinie entfernt. Hälst Du einen Flug bis dorthin für möglich?
Fritz Dorninger: Prinzipiell ja. Allerdings ist kurz vor Calheta Vitor ein circa sieben Kilometer langer Küstenabschitt mit etwa 1000 Meter hohen, vom Wasser unterspülten Felswänden, die sich in einem sehr ausgeprägten Leebereich befinden. Da fliegen selbst meine Freunde, die Hottas nicht - das sind die Truthahngeier der Küste. In seltenen Fällen könnten positive Umstände der Witterung vorherrschen, die einen Überflug erlauben. Vermutlich werden es wenige Tage sein, an denen das möglich wäre.
2011 ist Pal Takats 304 km an der Küste entlang geflogen, allerdings mit Iquique als nördlichem Endpunkt. Ist dieser Rekord Deiner Meinung nach mit dem Gleitschirm noch zu toppen?
Fritz Dorninger: Durchaus, aber nur unter sehr speziellen Umständen. Man muss in Betracht ziehen, welch ausgezeichneter Pilot Pal ist. Acro-Flug-Erfahrung ist für dieses Küstenfliegen hier, speziell in den Küstenbereichen ohne Vorland mit seinen oft sehr extremen Turbulenzen, sehr nützlich. Bei meinen Recherchen habe ich entdeckt, dass alle Bestleistungen hier in Chile in den ersten Dezembertagen erflogen wurden. Im Oktober geht's zwar netter und einfacher, aber die Tageslichtzeit, die man braucht, um mehr als 300 Kilometer zu erfliegen, die gibt es im Oktober und November noch nicht. Pal ist von der ersten Minute bis zur letzen geflogen und der Tag muss perfekt gewesen sein. Zudem fliegt Pal einfach superschnell. Wenn man die Tracks von Tom Weissenberger [Anm: Tom hält den chilenischen Küstenflugrekord mit dem Drachen] und von Pal Takats übereinander legt, dann ist man oft versucht zu glauben, Tom wäre der Paragleiter und Pal der Drachenflieger.
Wenn Du im Niemandsland nördlich von Iquique fliegst, gibt es über lange Passagen nur Wüste, Meer und Dich als Mensch in der Luft. Welche Gefühle hast Du dabei?
Fritz Dorninger: Es ist einfach nur schön. I absolutely love that.
Aber Du siehst ständig nur staubig-dunstige Luft und Felsen. Kommt da nach einigen Stunden auch mal Langeweile auf - Gedanken wie: Was mache ich hier eigentlich?
Fritz Dorninger: Fragen in der Art kommen nur auf, wenn's entsprechend unangenehm wird, das heißt anstrengendes Kampffliegen gegen Turbulenzen und Hangparallelwinde, bei denen nicht mal der Höhenerhalt gesichert erscheint. Dann stellt sich die Frage, ob es idiotisch war unter diesen Bedingungen einen Küstenabschnitt in Angriff zu nehmen, oder ob bei der Evaluierung der Anzeichen des Wetters, des Windes, der Kondensate ein Fehler unterlaufen ist oder ob man nicht besser in einem netter fliegbaren Bereich hätte bleiben sollen.
Ist Wüstenfliegen auch eine psychedelische Erfahrung?
Fritz Dorninger: In der Bibel heißt es irgendwie, Jesus sei 40 Tage in die Wüste gegangen, um zu denken. Die Araber sagen, Allah hätte aus der Wüste alles weggeräumt, dass der Mensch seinen Gedanken freien Lauf lassen könne. Ich denke in diesen Aussagen steckt ungefähr das drin, was ich auch empfinde - ich liebe die Wüste, weil da einfach nichts ist.
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