Advance ist verärgert, dass der DHV dem Alpha 6 und dem Epsilon 8 schlechte Sicherheits-Noten gegeben hat. Wegen möglicher juristischer Scharmützel fehlen die Tests im DHV-Info. 

Wer das neue, für DHV-Mitglieder online schon verfügbare DHV-Info 201 auf Seite 25 aufschlägt, wird eines ungewöhnlichen Vorganges gewahr. Dort ist die neueste Testrunde der DHV-Safety-Class (SC) aufgeführt mit den Ergebnissen zu den getesteten Schirmen Aircross U Prime 2, UP Makalu 4, Nova Ion 4 und Ozone Buzz Z5. Darunter aber ist ein Kasten zu finden, in dem es heißt:
"Die Testergebnisse für den Advance Alpha 6 und Epsilon 8 fehlen hier.
Der Hersteller Advance hat Antrag auf Einstweilige Verfügung angekündigt, weil er mit den Testresultaten nicht einverstanden ist. Da theoretisch ein Gericht ohne Anhörung des DHV eine Einstweilige Verfügung erlassen könnte, wollten wir die Auslieferung von 38.000 fertig gedruckten DHV-Infos nicht gefährden. Die Testberichte sind im Internet auf www.dhv.de unter Piloteninfos/Sicherheit und Technik/Safety-Class zu finden, solange keine Einstweilige Verfügung dagegen ergeht."
Die Safety-Class-Benotung für den Alpha 6 laut DHV-Geräteportal.
Dass es im Hintergrund zwischen Advance und DHV gehörig knarzen muss, konnte man seit ein paar Wochen erahnen. Mitte Juli hatte der DHV die Safety-Class Testergebnisse zum Alpha 6 (SC-Note: 4) und Epsilon 8 (SC-Note: 5) schon im Geräteportal auf seiner Homepage veröffentlicht, dazu ein PDF mit einem Artikel, der die gesamten Testergebnisse der neuesten Safety-Class-Staffel beschrieb. Doch wenige Tage später waren sowohl das PDF als auch die Einzeltests dieser Advance-Schirme von der Seite verschwunden. Es war zu vermuten, dass Advance mit juristischen Konsequenzen gedroht haben könnte, was sich nun durch den oben genannten Bericht im DHV-Info bestätigt.

Dass der DHV die Safety-Class-Ergebnisse der Advance-Schirme jetzt zumindest online wieder eingestellt hat, fußt darauf, dass sich die Verantwortlichen ihrer Benotung mittlerweile doppelt sicher sind. Denn der DHV kaufte extra noch einen zweiten Alpha 6, um zu überprüfen, ob das für einen EN-A vergleichbar schlechte Abschneiden des ersten Schirmes bei beschleunigten Seitenklappern (SC-Note: 4) vielleicht ein Ausreißer war. Doch auch hier kamen die Testpiloten zum gleichen Ergebnis: Der Schirm verhielt sich weitgehend gutmütig, wenn die Klapper ans untere Ende des Klappfeldes gezogen wurden. Doch langten die Tester richtig zu und klappten den Schirm an die obere Grenze des Feldes, drehte er schnell weg und schoss um 60-70 Grad vor. Damit war für den DHV die Safety-Class-Note 4 für den Alpha 6 nach den vorgegebenen Testkriterien weiter gerechtfertigt. Beim Epsilon 8 wiederum sollen die Ergebnisse so eindeutig sein, dass die Testbeurteilung SC-5 nicht in Frage stand.

Für Advance sind solche Noten natürlich ärgerlich. Der Schweizer Hersteller pflegt seit Jahren das Image, stets auf Herz und Nieren durchgetestete, sehr klassenkonforme Schirme zu bauen. Dass jetzt der DHV mit seinen Safety-Tests zeigt, dass die Schirme - zumindest bei gezogenen Klappern - auch heftiger reagieren können, kratzt nicht nur am Image, sondern möglicherweise auch an den Verkaufszahlen.

Noch im Frühjahr hatte es ein Gespräch zwischen den DHV-Oberen und verschiedenen Herstellern gegeben, darunter Swing und Advance. Es ging darum, wie man vermeiden könnte, dass der DHV mit seinen Safety-Tests, die in der Regel erst Monate nach der Markteinführung eines Schirmes erscheinen, den Herstellern im Falle schlechter SC-Noten das Geschäft vermasselt.

Das Gespräch brachte nur wenige Fortschritte. Der DHV erstellte ein Handbuch für Testpiloten, damit die Werkspiloten der Hersteller die Manöver schon vorab selbst in der Art des DHV-Safety-Class-Testteams fliegen können, um frühzeitig zu erkennen, ob ein Schirm sich vielleicht aus Blick der SC-Notengebung kritisch verhält.

Was den Herstellern allerdings fehlt, sind die passenden Datenlogger, die der DHV nutzt, um die Kappenbewegungen zu erfassen. Der DHV machte den Herstellern den Vorschlag, einen gemeinsamen Datenloggerstandard zu schaffen. Es ging darum, ein Gerät zu entwickeln, das sich auch sinnvoll in größeren Stückzahlen produzieren und einfacher anwenden ließe als der Prototyp, mit dem der DHV selbst bislang die Messungen durchführt. Doch konkrete Schritte in diese Richtung blieben bisher aus.

Erst einmal tobt der Streit hinter den Kulissen mit Anwaltsschreiben als üblichen Drohgebärden. Ob Advance sich tatsächlich noch um eine Einstweilige Verfügung bemühen wird, ob es gar zu einer Klage von Advance oder auch anderer Hersteller gegen die Safety-Class-Tests des DHV kommen wird, ist derzeit nicht abzusehen.

Von Seiten des DHV zumindest ist zu hören, dass der Verband dem Druck der Hersteller nicht nachgeben und seine neue Rolle in der Art einer Stiftung Warentest für die Piloten weiter ausfüllen wolle. Man sei bereit für die Safety-Class-Tests notfalls durch die Instanzen zu gehen.