Swing zieht in Gleitschirmen ein zellenhohes Stoffband quer zu den Profilen ein. Das hat Einfluss auf den Innendruck und soll Leistung wie auch Sicherheit verbessern. 

Die RAST-Schottwand unterteilt den Gleitschirm in einen
vorderen und einen hinteren Druckbereich. // Quelle: Swing
Jede neue Idee im Gleitschirmbau braucht einen spannend klingenden Namen bzw. Kürzel. RAST,  Ram Air Section Technology, oder übersetzt so etwas wie Staudruckbereichsaufteilung, nennt Swing seine sogar zum Patent angemeldete neue Innenstruktur für Gleitschirme. Konstrukteur Michael Nesler spricht gerne auch einfach nur von "Die Wand".

Gemeint ist ein breites Stoffband, das ungefähr auf Höhe oder auch hinter der B-Ebene quer durch den ganzen Schirm aufgespannt ist. Rechts und links ist es an den Profilen angenäht, oben und unten bleibt gegenüber Ober- und Untersegel ein Spalt frei. Jede Zelle wird so in eine vordere und eine hintere Luftkammer unterteilt. Zwischen ihnen findet zwar noch ein Luftaustausch statt - aber nicht mehr völlig ungehindert, sondern mehr oder weniger wie durch eine Art Druckventil reguliert. Diese Bauweise bewirkt gleich mehrere interessante Effekte und könnte sich, wenn sie sich bewährt, als prägende Innovation im Gleitschirmbau erweisen.

Temporärer S-Schlag während
der Füllphase eines Schirmes
mit RAST. // Quelle: Swing
Nach Darstellung von Swing soll sich RAST durch folgende Wirkungen für den Piloten bemerkbar machen:

Kontrollierterer Start: Beim Aufziehen des Schirmes füllt sich der vordere Teil der Kappe bis zur Schottwand schneller und entwickelt so ein tragendes Profil, das von Anfang an gut steigt. Der hintere Teil des Flügels füllt sich allerdings etwas verzögert. Das Profil bildet auf diese Weise vorübergehend einen deutlichen S-Schlag aus (s. Bild). Durch diese aerodynamische Form wird ein Vorschießen des Schirmes verhindert. Besonders markant soll sich dieser Vorteil bei einem Start mit leichtem Rückenwind ausprägen.

Größere Steifigkeit: Gleitschirme werden durch ihre Krümmung und die darauf wirkenden aerodynamischen Kräfte zwar in ihrer Querachse gut aufgespannt. Doch in Längsrichtung der Profile sind sie eigentlich ziemlich weich. Alle plötzlichen Kräfte die von vorne auf den Flügel wirken (z.B. eine Windböe) stauchen das Profil ein wenig. Die Energie wird dann in Deformation anstatt in Auftrieb umgesetzt, wodurch sich die Leistung reduziert. Diesen Nachteil versuchen Konstrukteure schon länger mit diversen Versteifungen abzumildern. Lange Stäbchen an der Eintrittkante oder C-Wires im hinteren Flügelteil zum Beispiel. Das erkauft man sich allerdings mit Nachteilen beim Packen und im Extremflugverhalten. RAST bietet hier eine neuartige Versteifungslösung, die nur im Flug wirkt. Da die Schottwand den Druckausgleich zwischen Vorder- und Hinterflügel bremst, bleibt der Innendruck in den Teilsektionen besser erhalten. Der Flügel arbeitet weniger in sich und sollte deshalb vor allem in bewegter Luft deutlich besser gleiten.

Beim Klapper knautscht nur der
vordere Flügelteil. Der hintere
behält seinen Druck und somit
die Form. // Quelle: Swing
Reduzierte Klapperdynamik: Bei einem Front- oder Seitenklapper wirkt die Schottwand in umgekehrter Richtung wie beim Start. Während der Flügel vorne schnell entlüftet, bleibt die Luft in der hinteren Drucksektion weitgehend gefangen. Swing beschreibt das so, als hätte ein Schirm durch die Schottwand vorne eine Art Knautschzone, welche die Deformationsenergie abfängt, während der hintere Flügelteil als Sicherheitszelle (Core-Sektion) dient. Sie behält ihren Innendruck, stützt den Flügel und bewahrt ihn so vor einem größeren Abknicken.

Nimmt man all diese Effekte zusammen, kann RAST zumindest schon mal in der Theorie einen Wunschtraum vieler Piloten erfüllen: Mehr Leistung bei höherer Sicherheit. Michael Nesler hält es für möglich, mit Hilfe von RAST Schirme bauen zu können, die wie Hochleister fliegen, aber die moderaten Klapperreaktionen eines B-Schirmes bieten. Ob und wann entsprechende Modelle tatsächlich auf den Markt kommen werden, lässt Swing allerdings bewusst noch offen. Erst müsse man noch weitaus mehr Erfahrung mit den neuen konstruktiven Möglichkeiten und deren Auswirkungen im Flugalltag sammeln, sagt Swing Chef Günther Wörl.

Die "Wand" im Inneren des Swing Mito (EN-A) lässt
oben und unten noch viel Raum für den Luftaustausch:
// Quelle: Swing
Ein Schirmmodell mit RAST ist freilich schon erhältlich. Allerdings ist es kein leistungsorientierter Hochleister, sondern ein sicherheitsbetonter EN-A. Beim im Frühjahr 2016 präsentierten Mito hat Swing nur eine milde RAST-Variante realisiert. Die Schottwand ist vorhanden, allerdings ist sie noch recht durchlässig gehalten. Flugschüler sollen ja nicht mit steifen, sehr direkten Kappen erschreckt, sondern erst einmal gedämpft durch die Lüfte getragen werden. Die Vorteile von RAST bei Start und Klappern sollen beim Mito dennoch zum Tragen kommen.

Richtig spannend könnte die Technik werden, wenn in Zukunft bei leistungsorientierten Schirmen "verschärfte" Varianten der Schottwand zum Einsatz kommen. Der Möglichkeiten gibt es viele: Der Querriegel aus Stoff kann so verbaut werden, dass er die Drucksektionen stärker voneinander trennt. RAST könnte sogar wie ein Rückschlagventil funktionieren, das bei bestimmten Anströmungen komplett schließt. Denkbar wären auch Schirmvarianten, die nicht mit nur einer, sondern mit gestaffelten Schottwänden aufwarten. Oder man variiert den Grad und die Position der Abschottung vom Innen- zum Außenflügel so, dass bei einem Klapper das Ohr zwar willig einrollt, die Kernsektion in der Mitte des Schirmes aber extrem stabil stehen bleibt...

All diese und weitere Varianten würden jeweils ihre Vor- und Nachteile haben. Für Swing, und künftig vielleicht auch für andere Marken, eröffnet sich mit RAST auf Jahre hinaus ein großes Experimentierfeld. Eine der nicht zu unterschätzenden Herausforderungen stellen dabei die hohen Entwicklungskosten dar. Bei herkömmlichen Schirmen ohne RAST kann an einzelnen Prototypen noch viel im Detail verändert und optimiert werden. Da werden Leinen anders getrimmt, Spannbänder aufgeschnitten oder enger genäht, die Hinterkante verkürzt etc. So etwas kann der Konstrukteur teilweise sogar im freien Feld erledigen. Die fest vernähten Schottwände allerdings sind ein so integraler Bestandteil der inneren Struktur des Schirmes, dass daran kaum noch nachträglich "geschraubt" werden kann. Erweist sich eine RAST-Variante als untauglich, kann man den teuren Proto gleich nach dem ersten Flug in die Tonne kloppen.

Spannend ist auch die Frage, wie die Piloten die neue Technik annehmen werden. Je steifer und klappresistenter ein Flügel mit RAST gebaut wird, desto stärker könnten viele Piloten die Direktheit, mit der die Luftbewegungen übermittelt werden, als beunruhigend empfinden. Ein EN-B mit dem Feeling einer harten Wettbewerbskappe ist vielleicht gar nicht so breitentauglich.

RAST bedeutet auch einen höheren Material- und Nähaufwand, was sich in höheren Anschaffungskosten niederschlagen dürfte. Das aufwendigere Innenleben erhöht zudem das Schirmgewicht, was dem aktuell vorherrschenden Leicht-Trend zuwider läuft.

Last but not least stellt sich auch noch die Frage, inwieweit stark ausgesteifte Schirme, die durch ihre Bauart kaum noch flächentief klappen, überhaupt nach der aktuellen EN-Norm zugelassen werden könnten. Schon beim Mito ist es nötig, zur Einleitung großer Normklapper, die ins EN-Testfeld fallen, nicht nur die A-, sondern die A- und B-Gurte mit zwei Händen nach unten zu reißen. Vielleicht muss erst die EN-Norm novelliert werden, bevor das Leistungs- und Sicherheitspotential der Schottwände den Piloten in voller Ausprägung geboten werden kann.

Wer nicht nur theoretisch die Wirkung von RAST verstehen, sondern sie auch einmal mit realen Flug- und Klapperaufnahmen belegt sehen will, kann sich folgendes Video anschauen, das Swing auf Vimeo veröffentlicht hat.



Tipp: Lies auch die anderen Folgen der Serie "Leistungsdrang" . Die Serie stellt in lockerer Folge diverse Techniken vor, mit denen Konstrukteure versuchen, Gleitschirme noch leistungsfähiger zu machen.

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