Viele Kreuzkappen entwickeln Vorwärtsfahrt. Warum den Effekt nicht für die Steuerung nutzen? Thomas Grabner hat die Idee umgesetzt. Lu-Glidz sprach mit dem Entwickler.

Die Richtung des Sinkflugs der DIAMONDcross kann über Griffe
an den hinteren Trageleinen gesteuert werden.
// Quelle: Thomas Grabner, Vimeo 
Thomas Grabner ist in der Szene bekannt als der Kopf hinter dem Gforce-Trainer, einem karusselartigen Trainingsgerät, um Steilspiralen gewissermaßen im Trockenen zu üben. Sein Interesse im Sinne der Sicherheit für Gleitschirmpiloten gilt neuerdings aber noch einem anderen Feld. Für Finsterwalder & Charly entwickelte er eines neues Retterkonzept.

Es handelt sich um eine typische Kreuzkappe - mit einer Besonderheit: Sie ist so aufgebaut, dass sie beim Sinken auch gesteuert werden kann. Dafür weist sie nicht mehr eine Mittelleine auf, sondern eine Abspannung, die links und rechts getrennt über der Schulter angreift. Auf dem Markt ist das Modell noch nicht erhältlich. Die Zertifizierung ist noch nicht abgeschlossen. Doch in einem ersten Demo-Video (siehe unten) ist der Retter bereits in Aktion zu sehen.

Wie es zu der Idee kam und wo seiner Meinung nach die Vorteile des Konzeptes liegen, davon erzählt Thomas Grabner im Gespräch mit Lu-Glidz.

Thomas, man kennt Dich als Erfinder des Gforce-Trainers. Wie kam es dazu, dass Du jetzt einen Rettungsschirm entwickelt hast?
Thomas Grabner: Durch den Gforce-Trainer und auch durchs Acro-Fliegen bin ich regelmäßig mit unterschiedlichen Retterproblemen konfrontiert. Also zum einen bei der Auslösung aus dem Gurtzeug, aber auch im Flug bei meinen eigenen Retterabgängen. Die Idee einer Kooperation mit Finsterwalder&Charly ist bei der Thermikmesse in Sindelfingen entstanden. Charly baut und vertreibt ja seit Jahrzehnten Rettungsschirme, ist also ein kompetenter Partner. Kurz später hatte ich dann die Idee für eine steuerbare Kreuzrettung, die wir jetzt DIAMONDcross nennen. In den letzten beiden Monaten war also einiges zu tun und wir liegen sehr gut im Zeitplan.

Die meisten Rettungsschirme, egal ob Rund- oder Kreuzkappe, sind nicht steuerbar und bringen ihren Nutzer dennoch sicher zu Boden. Für wie wichtig hältst Du die Steuerbarkeit?
Thomas Grabner: Wir Gleitschirmpiloten fliegen die meiste Zeit über Wald, Felsen oder im Flachland über Ortschaften und Stromleitungen. Die Vorstellung ist meist nicht so schön, genau da am Retter herunterzukommen, wo man vielleicht ein Problem in der Luft hat. Ein kleiner landbarer Fleck wäre aber fast immer erreichbar. Die Möglichkeit, einem Felsen, einem Baum oder einer Stromleitung ausweichen zu können, kann Leben retten oder schwere Verletzungen verhindern. Ich halte dieses Feature daher für sehr wichtig. Es kann die Chancen, unverletzt zu bleiben, maßgeblich erhöhen.

Und warum setzt Du auf die Kreuzkappe?
Thomas Grabner: Kreuzkappen haben, um pendelstabil zu sein, meist eine Vorwärtsfahrt. Manche Piloten sehen das als Nachteil des grundsätzlich sehr guten Konzepts. Ich hab mir überlegt, wie man diesen Nachteil zum Vorteil ändern könnte. So entstand die Idee einer steuerbaren Version.

Wie steuert man Deine Kreuzkappe in der Praxis?
Thomas Grabner: Die Steuerung erfolgt über Griffe, die am hinteren Tragegurt angebracht sind. Das funktioniert sogar im eingetwisteten Zustand. Die Kappe wird in der Produktionsversion eine Farbmarkierung haben, an der man die Richtung der Vorwärtsfahrt erkennt. So kann man bei einer drohenden Kollision mit einem Hindernis sofort reagieren und gegensteuern. Zum Austwisten verwende ich die Technik wie beim Fallschirmspringen. Man dreht sich mit Scherbewegungen der Beine sehr leicht aus.

Welchen Gleitwinkel kann man mit der DIAMONDcross erreichen?
Thomas Grabner: Die Gleitzahl der Kappe liegt bei ungefähr 1,5. Bei einer Auslösehöhe von 500 Meter über Grund kann daher ein Landepunkt im Umfeld von circa 1,7 Quadratkilometer angeflogen werden. Das ist schon ein deutlicher Vorteil, als wenn man auf einem willkürlichen Punkt landet, den man als Pilot nicht mehr beeinflussen kann.

In einem Video zur Demonstration der Rettung ist zu sehen, dass Du den Hauptschirm mit Quickout-Karabinern vom Gurtzeug trennst. Könnte die Steuerung auch mit angehängtem Hauptschirm noch funktionieren?
Thomas Grabner: Ich halte es grundsätzlich bei jedem Rettungssystem für sehr kritisch, wenn man sich nach dem Auslösen des Retters nicht vom Gleitschirm trennt oder den Schirm nicht zumindest komplett flugunfähig macht. Wenn ein Pilot keine trennbaren Karabiner verwenden mag, was durchaus seine Gründe haben kann, empfehle ich auf jeden Fall immer ein Kappmesser dabei zu haben und im Notfall die Stammleinen einseitig oder beidseitig durchzuschneiden. Das gilt nicht nur für die DIAMONDcross, sondern für jedes System, auch eine Rundkappe. Dieser kleine Schaden am Material darf in einer Notsituation keine Rolle spielen. Es geht ums Überleben - und das möglichst ohne Verletzung. Trotzdem werde ich noch weitere Tests ohne Hauptschirmtrennung durchführen. Um das System optimal zu nutzen, muss der Hauptschirm aber möglichst wenig Einfluss haben. Denn wenn 25 Quadratmeter Stoff plötzlich wieder als Bremse wirken, kann kein System, das steuerbar ausgelegt ist, noch optimal funktionieren.

Bei vielen Kreuzkappen am Markt dient die eingebaute Vorwärtsfahrt dazu, die Sinkwerte zu verringern. Wie stark hat das Steuern bei Deiner Version Einfluss auf das Sinken?
Thomas Grabner: Die DIAMONDcross hat etwas mehr Vorwärtsfahrt und geringere Sinkwerte als herkömmliche Kreuzkappen. Das liegt vor allem an der diagonalen Anordnung der rechteckigen Kappe über dem Piloten. Trotzdem hat das System nach der Öffnung erst mal eine kurze Sackflug-Phase ohne Vorwärtsfahrt. Das ist ganz entscheidend für Öffnungen in sehr geringer Höhe.

Wo siehst Du mögliche Nachteile von Deinem Konzept? Ist das Packen durch die doppelte Aufhängung, rechts und links, anstatt nur einer Mittelleine erschwert?
Thomas Grabner: Eine möglichst einfache Wartung, also auch ein geringer Packaufwand, war für mich sehr wichtig. Bei der Montage muss man natürlich darauf achten, dass man links und rechts nicht vertauscht. Die Seiten sind aber entsprechend beschriftet. Die Packmethode ist teilweise sogar einfacher als bei einer herkömmlichen Kreuzkappe, da der lange S-Schlag entfällt. Die Packtechnik kommt von den Base-Schirmen. Die Kappe öffnet fast verzögerungsfrei, der Öffnungsschlag ist aber trotzdem gedämpft. Ich suche natürlich auch kritisch nach Nachteilen, konnte bisher aber noch keine finden.

Am Markt gibt es ja schon ein etabliertes Konzept einer steuerbaren Rettung - die Rogallo-Systeme. Wo siehst Du im Vergleich dazu den Vorteil einer steuerbaren Kreuzkappe?
Thomas Grabner: Der Vorteil gegenüber dem Rogallo-System ist sicher der geringere Packaufwand. Wenn das System richtig am Gurtzeug befestigt und nicht in sich verdreht ist, kann man fast nichts falsch machen. Diesen Check muss man aber ohnehin bei jedem Retter beim Packen machen. Zum Rogallo ist mir ein Video bekannt, wo der Retter mit der Spitze nach unten öffnet. Er ist zwar sehr schnell offen, danach sieht man allerdings eine deutliche Downplane-Phase, bei der der Hauptschirm und der Rogallo in Scherenstellung nach unten tauchen, bevor der Rogallo voll trägt. Um so etwas zu vermeiden, ist die Sackflug-Phase sehr wichtig, die ich vorher schon angesprochen habe. Dadurch wird erst einmal die Geschwindigkeit herausgenommen, damit der Retter schnell über dem Piloten ist und der Hauptschirm nicht weiter fliegt. Das ist durch die Square-Geometrie der DIAMONDcross gewährleistet. Darin sehe ich vor allem in sehr geringen Auslösehöhen einen weiteren Vorteil gegenüber den Rogallorettern.

Ob die steuerbare Kreuzkappe tatsächlich das hält, was Thomas Grabner verspricht, wird sich noch zeigen müssen, wenn das System auf den Markt kommt. Grundsätzlich ist es begrüßenswert, dass die Entwicklung auch im Bereich der Rettungsgeräte weiter geht. Einen ersten Eindruck der Funktionsweise bietet folgendes Video auf Vimeo.