Knapp fünf Wochen nach dem ersten Aufflammen von Enzogate hat die Affäre möglicherweise noch immer nicht ihren Höhepunkt erreicht. Stattdessen entwickeln sich die Dinge weiter wie in einem klassischen Politdrama oder wie bei Doping-Affären anderer Sportarten.
1. Akt: Vorwürfe kommen ans Licht: Beim Enzo 2 wird eine im Vergleich zum Testmuster deutlich verlängerte Hinterkante gemessen.
2. Akt: Das Dementi des Beschuldigten: Ozone erklärt schriftlich, der Enzo 2 sei dennoch konform zum Testmuster.
3. Akt: Schlagabtausch der unterschiedlichen (branchen-)politischen Lager: Diskussionen unter Wettbewerbspiloten, in der PMA und in Gleitschirmforen über Betrug, Unschuldsvermutungen, Vorverurteilungen, Steinewerfen in Glashäusern etc.
4. Akt: Die ersten Vorwürfe werden eindeutig belegt: Der direkte Vergleich des Serien Enzo 2 mit dem Testmuster zeigt nicht nur die Verlängerung der Hinterkante, sondern auch andere Leinenansatzpunkte und verkürzte Eintrittskante. Die Zertifizierungsstelle bestätigt die Nicht-Konformität.
5. Akt: Der Beschuldigte gibt Fehler zu, stellt aber alles öffentlich noch als gut gemeint dar: Ozone-Chef Mike Cavanagh veröffentlicht eine Stellungnahme, in der es sinngemäß heißt, Ozone sei in der Interpretation der EN-Regeln nur so weit gegangen, um den Piloten den besten Schirm im Rahmen der EN-Vorgaben bieten zu können.
An dieser Stelle befinden wir uns gerade, doch auch der weitere Weg der Dinge erscheint schon vorgezeichnet (wenn auch nicht im Endergebnis). Derzeit laufen der 6. und 7. Akt, mit folgenden schon eingetroffenen Inhalten.
6. Akt: Neue Vorwürfe werden erhoben: Ozone könnte es auch bei anderen Schirmen mit der Maßhaltigkeit weniger genau genommen haben, als EN und LTF es verlangen.
7. Akt: Ein neues Dementi des Beschuldigten: Ozone-Chef Mike Cavanagh sieht sich wieder zu Unrecht an den Pranger gestellt. Er kündigt deshalb die PMA-Mitgliedschaft, noch bevor die Herstellervereinigung selbst über den von einem anderen Mitglied beantragten Ausschluss Ozones entschieden hat. Zugleich erklärt er "kategorisch" gegenüber der PMA, dass die abweichende Interpretation der EN durch Ozone keine anderen Schirme betreffe und lädt dazu ein, das zu überprüfen.
Der 8. Akt ist damit quasi schon programmiert. Der heißt klassischerweise "Untersuchungsausschuss". Derzeit deutet vieles darauf hin, dass diese Rolle im Fall von Enzogate in Deutschland vom Luftfahrtbundesamt (LBA) bzw. dem davon für solche Aufsichtsfragen beauftragten Luftsportverband, also dem DHV besetzt wird. Da die meisten Ozone-Schirme auch gemäß LTF zugelassen sind und der DHV mit dem belegten LTF-Verstoß des Enzo 2 einen begründeten Anfangsverdacht hat, könnte er im Auftrag des LBA zur Messtat schreiten. Bei belegten Verstößen könnte das LBA ganze Schirmserien - zumindest für den deutschen Luftraum - aus dem Luftverkehr ziehen, d.h. grounden.
Dass die Entwicklung tatsächlich solche dramatischen Züge annehmen wird, ist derzeit allerdings noch nicht abzusehen! Es hängt vom Umfang und den Ergebnissen möglicher Untersuchungen ab, ob Ozone noch weiter fällt oder doch - zumindest teilweise - rehabilitiert wird.
Diskurs
1 comments
Hi,
AntwortenLöschenwir hatten in der Motorschirmszene in der Vergangenheit einen ähnlichen Fall. Es gibt auch ein rechtskräftiges Gerichtsurteil dazu: http://www.motorschirm-verband.de/lba-ps/doks/Beschluss-VGH-Mannheim.pdf
Die Zuständige Stelle nach Erteilung einer Musterprüfung ist der Hersteller, Verband und LBA haben nichts damit zu tun, die Beauftragungsverordnung gibt das schlicht nicht her.
Eine Musterprüfung eignet sich auch keines Wegs als Homologation wie z.B. im Motorsport.
Der genannte 8. Akt, nämlich ein "Untersuchungsausschuss" wird es bei den deregulierten leichten Luftsportgeräten jedenfalls nicht mehr von staatlicher Stelle (LBA) geben. Dann müsste der Staat wieder Verantwortung übernehmen und wäre damit primär wieder in der Haftung.
Neu aus dem Jahr 2013 ist zudem der §11 LuftGerPV Abs. 4:
"Muster- oder Gerätezulassungen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum sind unmittelbar gültig und ersetzen die Prüfungen nach den Absätzen 1 und 2."
Mit letzterem Gesetz lässt sich auch die hartnäckigste deutsche Engstirnigkeit über den Umweg EU aus dem Weg räumen.
Think EU
Bernd
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