Advance empfiehlt als "Produktupdate" dickere Leinen für die Modelle Epsilon 7 und Zeta. Steckt Fehlplanung oder ein grundsätzliches Problem dahinter?

Der Leinenplan des Epsilon 7. // Quelle Advance
Das Thema ist delikat, dessen ist man sich bei Advance voll bewusst. Wenn man bei Schirmen einen Leinentausch empfiehlt, hat das immer gleich den Beigeschmack eines ernsten Sicherheitsproblems. Umso mehr ist der Schweizer Gleitschirmhersteller bemüht, dieser Wahrnehmung von Anfang an etwas Wind aus den Segeln zu nehmen. Für die Schirmmodelle Epsilon 7 und Zeta wird kein Sicherheitshinweis herausgegeben, sondern ein Produktupdate "empfohlen". In dessen Rahmen werden bei den Schirmen einige der Stammleinen gegen etwas dickere und somit tragfähigere Leinen ausgetauscht. Für die Schirmbesitzer ist das kostenfrei und ohne Eile. Der Tausch solle am besten im Rahmen des nächsten regulären Schirmchecks durch ein Checkcenter erfolgen, so Advance.

"Auch ohne Nachrüstung entsprechen beide Produkte nach wie vor den durch die EN/LTF Zulassung geforderten Normen und Mindestfestigkeiten", heißt es auf der Advance-Homepage. Da fragt man sich natürlich: Warum dann das ganze? "Um strengeren Richtlinien zu entsprechen", erfährt man ebenda. Das klingt löblich, ist aber vor allem eine schöne Wortfassade.

Es gibt zwar seit vergangenem Herbst eine geänderte Richtlinie, was die Berechnung von Leinenfestigkeiten betrifft, aber strenger ist sie nicht geworden. Die Änderung veranlasst nur die Hersteller, bei der Dimensionierung der Leinen ihrer Schirme etwas genauer und differenzierter hinzuschauen. Das hat Advance rückblickend auch für ältere Schirmmodelle getan und bei Epsilon 7 und Zeta offenbar festgestellt, "dass wir aufgrund dieser neuen Erkenntnisse einzelne Stammleinen aus heutiger Sicht höher dimensionieren würden".

Der Hintergrund ist folgender: Die EN-Norm 926-1 schreibt für Gleitschirme bestimmte Leinenfestigkeiten vor. Vereinfacht gesagt müssen alle Leinen eines Schirmes zusammen gerechnet mindestens rund das 14-fache (14G) des offiziell angegebenen, maximalen Abfluggewichtes tragen können. Diese Rechnung wird nicht auf den Neuzustand bezogen, sondern auf die Festigkeit der Leinen, nachdem sie durch 5000-maliges Knicken künstlich gealtert wurden und somit an Stabilität verloren haben. Die 14G stellen einen großen Sicherheitspuffer dar, der sich in der Praxis bewährt hat.

Beim Gesamtwert von 14G stellt sich die Frage, wie diese Lasten auf einzelne Leinenebenen aufgeteilt werden. In der früheren Fassung der Norm 926-1 gab es dafür die 8G/6G Regel. A+B Ebene mussten demnach rechnerisch das 8-fache, C+D das 6-fache des Abfluggewichtes tragen können. Bei reinen Dreileinern (A+B+C) wurde eine Aufteilung von 10G für A+B sowie 4G für C angewendet.

Die neueste Fassung der EN 926-1 ist in diesem Punkt weniger explizit. Sie schreibt lediglich insgesamt 14G vor (ist somit nicht strenger), überlässt es aber der Verantwortung der Hersteller, wie diese Lasten auf die einzelnen Leinenebenen verteilt werden. Diese Änderung ist durchaus sinnvoll. Denn moderne Schirmkonstruktionen legen typischerweise deutlich mehr Last auf die vorderen Leinenebenen. 8G/4G/2G für A/B/C Ebene könnte z.B. eine realistischere Aufteilung sein. Zudem können Hersteller auch innerhalb der Ebenen abstufen, also z.B. die inneren A-Leinen dicker dimensionieren als die äußeren, wenn sie im Flug entsprechend größere Lasten tragen.

Bei der ursprünglichen Planung des Epsilon 7 und des Zeta hat Advance nach eigenen Angaben noch keine ausdifferenzierte Lastsimulation für die einzelne Leinen gemacht, sondern die simple 8G/6G Durchschnittsrechnung angewendet. Neue Berechnungen der auf einzelne Leinen wirkenden Gewichtskräfte zeigten dann aber, dass die inneren Stammleinen zwar gemäß der (alten) Norm als rechnerisch korrekt, aber unter dem Anspruch hoher Sicherheit - auch bei langjähriger Nutzung - dennoch als etwas unterdimensioniert einzuschätzen sind.

Das Problem ist vor allem auch deshalb aufgetreten, weil der Epsilon 7 mit einem sogenannten erweiterten Gewichtsbereich zugelassen wurde. Die Schirme dürfen auch 15 kg überladen sowie mit Motor geflogen werden. Hinzu kommt, dass die Stammleinen aus Aramid bestehen. Diese Faser ist zwar sehr dehnungsarm, aber knickempfindlich. Über die Zeit büßen Aramidleinen deutlich an Festigkeit ein. Beim Epsilon 7 und Zeta hätten unter diesen Vorzeichen von Anfang an schon dickere Leinen verbaut werden sollen. Jetzt fehlt vor allem für die "erweiterten" Startgewichte aus heutiger Sicht ein zufriedenstellender Sicherheitszuschlag.

Unwissenheit oder Blauäugigkeit bei der Planung entbindet freilich nicht von Verantwortung. Man muss Advance zugute halten, dass sich der Hersteller seinen neuen Erkenntnissen stellt und seine Fehlplanung ausbügelt - trotz des Risikos, erst einmal als Buhmann dazustehen.