Am Samstag beim Schleppen in Himmighofen habe ich erstmals live einen Lock-Out bei einem Gleitschirm erlebt (zugesehen). Als Lock-Out wird dabei die Situation bezeichnet, wenn der Gleitschirm nach dem Start seitlich ausbricht und dann unter Zug mit schräg stehender Kappe kaum noch steuerbar ist. Die gute Nachricht vorneweg: Mit viel Glück hat der Pilot die extrem gefährliche Situation unversehrt mit einer Plumps-Landung auf dem Protektor überstanden. Nur die Brille ging zu Bruch. Ansonsten blieb wohl nur der Schreck.

Dennoch sollte ein solcher Vorfall immer genutzt werden, um sich den Hergang noch einmal genauer anzuschauen. Wie so häufig war es eine Verkettung von Umständen, die letztendlich in der misslichen Lage mündeten. Hier meine Beobachtungen und ein paar Gedanken, wie man in den jeweiligen Momenten die Situation entschärfen könnte.

1. Der Pilot fliegt einen 10 Jahre alten Schirm, dessen Tuch vielleicht schon etwas sackfluganfälliger ist. Er verwendet keine Schlepphilfen zur Vorbeschleunigung.
-> Nur noch mit Schlepphilfe starten. DHV-Schlepppapst Horst Barthelmes empfiehlt die Schlepphilfen übrigens für alle Flügel - als Sicherheitsplus und weil die leicht vorbeschleunigten Flügel an der Winde sogar etwas besser steigen!

2. Der Pilot ist zwar ein "alter Hase", fliegt aber nur noch eher selten und auch selten an der Winde. Am Start zeigt sich die Nervosität auch darin, dass die Tragegurte verdreht eingehängt sind und erst noch einmal gerichtet werden müssen. So etwas kann den Druck erhöhen, schnell machen zu wollen, um den Betrieb nicht länger aufzuhalten.
-> Hier ist der Startleiter gefragt, für die nötige Zeit und Ruhe zu sorgen. Wenn es schnell gehen soll (z.B. wegen thermisch guter Phase) besteht die Möglichkeit, vielleicht einen anderen, bereits fertig vorbereiteten Piloten vorzuziehen.


3. Kurz vor dem Start frischt der ansonsten recht schwache Wind deutlich auf - wohl durch die Sogwirkung einer thermischen Ablösung hinter dem Startplatz. Er ist zwar noch startbar, aber es ist eine deutlich verkürzte Aufzieh- und Abhebephase zu erwarten, was eine gute Koordination und Erfahrung verlangt.
-> Sicherheitshalber Abwarten, bis die thermische Starkwindphase vorbei ist. Das lohnt sich eh, weil eine Thermik, die "hinter" dem Startplatz pulsierend aufsteigt und somit die Luft ansaugt, so gut wie nicht zu erreichen ist, wenn man erst 3 Minuten in die Gegenrichtung geschleppt wird, zumal über der Schleppstrecke dann eher verstärktes Luftmassesinken zu erwarten ist.

4. Der Start erfolgt in der Phase mit dem kräftigsten Wind. Die Kappe steigt schnell und etwas schräg, wird aber vom Piloten nicht bis zum Scheitelpunkt geführt, sondern hängt bei seinem Startkommando immer noch zu weit hinten. Das Abheben erfolgt nahe der Sackfluggrenze.
-> Weniger Wind abwarten. Kappe auch beim Windenstart bewusst bis oben führen. Der Startleiter sollte das Start-Kommando erst weitergeben, wenn die Kappe sauber steht.


5. Beim Abheben bricht die schräge und "hängende" Kappe gleich nach rechts aus. Das Gegensteuern des Piloten ist auf den ersten 5 Meter sehr zögerlich. Die Kappe steigt damit quasi gleich in den Lockout.
-> Der Pilot sollte v.a. am Anfang auf stärkere Korrekturen vorbereitet sein und lieber früher (in geringer Höhe) als möglicherweise zu spät eingreifen.

6. Der Windenfahrer reagiert lehrbuchmäßig und lässt den Zug nach. Durch den Wind und die Kappenstellung driftet der Schirm aber seitlich nach hinten ab. Wenig hinter dem Startplatz verläuft eine Stromleitung, weshalb der Windenfahrer den Zug nicht ganz freigeben kann, um den Schirm nicht in die Leitungen fliegen zu lassen. Entsprechend bleibt der Lockout erhalten, der Schirm gewinnt dabei kaum an Höhe.
-> Den Startplatz lieber so wählen, dass ein größerer Sicherheitsabstand zu solchen Hindernissen eingehalten wird, auch wenn sich dadurch die Schleppstrecke etwas verkürzt.

7. Nach 200m Abdrift zur Seite und in kaum mehr als 5m Höhe reißt die Strömung am Flügel plötzlich einseitig ab, der Schirm vollführt eine Vrille hinter dem Piloten. Dieser stürzt dann aus vielleicht noch 3m Höhe ab. Der Protektor und der weiche Boden eines frisch gesähten Feldes dämpfen glücklicherweise den Fall. Der Windenführer hat schon beim Ansatz der Vrille das Seil gekappt.
Abhilfe: Hier war wohl schon nichts mehr zu retten. Und mehr als 3 Schutzengel kann mal wohl nicht verlangen.

Nachtrag vom 28.08.: Am Folgetag haben verschiedene Piloten nochmals über den Unfall diskutiert und auch Schirm und Gurtzeug genauer untersucht. Dabei zeigte sich, dass der Karabiner wohl einmal um den Seitengurt des Gurtzeugs geschlungen war. Dadurch wurde der Schirm auf einer Seite herunter gezogen, was das seitliche Ausbrechen beim Start und auch das permanente Hängenbleiben selbst bei geringerem Seilzug erklären kann. Alle o.g. Faktoren verlieren dadurch allerdings nichts an Gewicht - im Gegenteil. Eine ruhige Startvorbereitung und der zusätzlich prüfende Blick des Startleiters sind schon allein wegen der zusätzlichen Kopplung von Schirm, Pilot und Schleppseil besonders wichtig.