Wer in Deutschland legal einen Gleitschirm fliegen will, musste bisher darauf achten, dass dieser den deutschen Lufttüchtigkeitsforderungen (LTF) entspricht. Das ist ab sofort nicht mehr zwingend nötig. Es reicht auch eine Zertifizierung des Schirmes "nur" gemäß den EN-Prüfnormen - wenn auch mit einer Einschränkung: Die EN-Prüfung muss bei einer von einem anderen EU-Land staatlich anerkannten Prüfstelle erfolgt sein. Seit kurzem genießt die Prüfstelle "Aerotest" des französischen Gleitschirmverbandes FFVL diesen Status, und indirekt auch Air Turquoise in der Schweiz. Doch dazu später mehr.

Beim Paragliding-Testival in Kössen am vergangenen Wochenende tuschelten die Hersteller freudig davon: Eine Bombe sei geplatzt. Die LTF-Pflicht sei nun Geschichte. Der Hintergrund ist ein Schreiben (pdf) aus dem Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur(BMVI)  an Rechtsanwälte der Herstellervereinigung PMA. Darin heißt es: "Eine Bescheinigung darüber, dass ein Gerät einem Muster oder einer Bauart entspricht, die in der anerkannten Prüfstelle (AEROTEST) erfolgreich getestet worden ist, ersetzt somit die in Deutschland geforderte Geräteprüfung nach § 11 Absatz 1 LuftGerPV." Mit anderen Worten stellt das klar: Von Aerotest getestete Schirme entsprechen deutschem Recht, auch ohne LTF und ohne DAkkS-Akkreditierung der Prüfstelle.

Bereits im Februar hatte die PMA auf Basis eines Rechtsgutachtens diese Einschätzung vertreten (lu-glidz berichtete). Allerdings stellte der DHV das damals in Frage. Sein Argument: Da in Frankreich keine Zulassungspflicht für normale Gleitschirme besteht (nur für Motorschirme), könnten die Gleitschirmtest der Prüfstelle Aerotest auch nicht als staatlich anerkannt gewertet werden und demgemäß eine LTF-Prüfung nicht ersetzen.

Wie kann man auf eine solche Abwehrhaltung reagieren? Entweder mit einem teuren Rechtsstreit oder französischer Pfiffigkeit. FFVL und PMA setzten auf den zweiten Weg. Der französische Gleitschirmverband suchte das Gespräch mit den für ihn zuständigen Behörden. Im März erhielt die FFVL dann ein offizielles Schreiben aus dem Sportministerium. Darin wird ausgeführt, dass die FFVL für die Regulierung von Flugsicherheit und Technik im Gleitschirmsport in Frankreich zuständig ist, wozu der Verband seit 25 Jahren seine Teststelle Aerotest unterhält. Dieses Schreiben legten die von der PMA beauftragen Rechtsanwälte wiederum dem BMVI vor - mit dem oben genannten Ergebnis.

Die Pfiffigkeit des französischen Flügels der Gleitschirmszene, dem die deutsche Sonderrolle bei den Zulassungsanforderungen schon lange ein Dorn im Auge ist, reicht allerdings noch weiter: Aerotest ist eine kleine Prüfstelle, die nur wenige Gleitschirmmodelle im Jahr testet. Große, frankophile Hersteller wie Ozone, Niviuk oder Sky (Konstrukteur: Alexandre Paux) lassen seit Jahren ihre Schirme bei Air Turquoise in der Schweiz testen. Die Schweiz ist allerdings kein EU-Land, weshalb die EN-Tests von Air Turquoise eigentlich nicht nach dem gleichen rechtlichen Muster als LTF-Ersatz in Deutschland gelten könnten. Doch mit einem legalen Trick ist das jetzt möglich.

Auf Drängen der Hersteller kooperieren Air Turquoise und Aerotest bzw. FFVL miteinander. Die praktischen Tests erfolgen in der Schweiz, die Dokumente werden allerdings formal in Frankreich ausgestellt. Damit können künftig die von Air Turquoise nach diesem Muster getesten Schirme auch "nur" mit EN-Zertifikaten in Deutschland geflogen werden. Das sehnliche Warten der Hersteller auf die DAkkS-Akkreditierung von Air Turquoise, um endlich ihre Schirme wieder ohne Vorbehalte in Deutschland verkaufen zu können, hat ein Ende.

Spannend ist die Frage, was diese Entwicklung mittelfristig für das Zulassungsprozedere bedeutet. Aus informierten Kreisen war in Kössen zu hören, dass Air Turquoise nach langem Vorlauf jetzt auch die Auditierung durch die DAkkS erfolgreich hinter sich gebracht haben soll und nur noch auf den formalen Abschluss der Akkreditierung wartet. Schon bald könnte Alain Zoller, der Chef von Air Turquoise, also auch ganz offiziell LTF-Zertifikate ausstellen. Damit wäre die Kooperation mit Aerotest schon wieder obsolet.

Allerdings hat Alain Zoller auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm der einseitig von Deutschland verordnete Zwang zur teuren DAkkS-Akkreditierung als Prüfstelle gehörig stinkt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er künftig lieber ganz auf die "French Connection" setzt, als sich regelmäßigen Kontrollen und neuen Audits durch die DAkkS ausliefern zu müssen. Zumal der mittelfristige Verzicht auf die Akkreditierung für ihn deutlich billiger sein dürfte.

Für die deutschen Piloten zeichnet sich die Zukunft schon klarer ab: Bald wird es völlig egal sein, ob ein Schirm ein LTF- oder nur ein EN-Zertifikat besitzt, um damit legal in Deutschland zu fliegen. Hauptsache, er wurde bei einer der "anerkannten" Prüfstellen getestet.