Guido Reusch spricht im Interview mit Lu-Glidz ausführlich über seine Pläne als neuer PMA-Sekretär, eine Gleitschirmwelt ohne EN-Klassen und die Kritik an den Safety Tests des DHV.
Guido Reusch ist Sekretär der PMA, Geschäftsführer der EAPR GmbH und Kritiker der Safety Class Tests.


Seit dem 1. Oktober ist Guido Reusch neuer Sekretär der Herstellervereinigung PMA. Dafür hat er sogar die Leitung der von ihm aufgebauten Musterprüfstelle EAPR abgegeben. Die Hersteller hegen die Hoffnung, dass Reusch als starke Stimme, anerkannter Techniker und gewiefter politischer Taktiker der PMA mehr Anerkennung bei den Piloten und den nationalen Verbänden verschaffen könnte. Unter anderem geht es darum, mit dem DHV über die Form der Safety Class Tests und die weitere Entwicklung der allgemeinen Musterprüfungen ins Gespräch zu kommen. Guido Reusch hat hierzu einiges zu sagen, weshalb das folgende Interview auch etwas umfangreicher ausgefallen ist. Doch die Lektüre lohnt, will man einen Eindruck davon gewinnen, welche Diskussionen die Gleitschirmszene in Zukunft bewegen könnten.


Wie kam es dazu, dass Du als PMA Sekretär kandidiert hast, wo Du doch mit der EAPR deine eigene Prüfstelle hast und nun für den neuen Job zumindest deren Leitung aufgeben musst?
Guido Reusch: Ich bin jemand, der immer neue Herausforderungen sucht. Die Prüfstelle läuft gut. Aber das sind viele eingefahrene Wege, gerade durch die Akkreditierung. Ich hatte auch keine Lust mehr, nach zehn Jahren immer noch die gleichen Handbücher zu lesen wie vor zehn Jahren. Das füllt mich einfach nicht aus.

Steht denn die Arbeit für die PMA und damit im direkten Auftrag der Hersteller nicht im Widerspruch zu Deiner Arbeit für die EAPR?
Guido Reusch: Nein, das sind ja zeitlich und rechtlich getrennte Sachen. Ich bin zwar weiterhin auch Geschäftsführer der EAPR GmbH. Aber für die Prüfstelle als solche bin ich nicht mehr zeichnungsberechtigt. Da führe ich als Operator nur noch die Lasttests und Protektortests durch, das heißt, ich bediene die Anlage nur noch. Die Ergebnisse werden dann vom zeichnungsberechtigten Musterprüfer gewertet und verantwortet. Deshalb sehe ich hier gar kein Problem, von der einen Funktion in die andere Funktion zu wechseln.

Wer ist denn jetzt offiziell der zeichnungsberechtigte Leiter der Musterprüfstelle?
Guido Reusch: Das macht der Pascal Purin. Und mit ihm läuft es viel besser als mit mir (lacht). Meine Testpiloten haben immer gesagt: Hey, Du musst mal netter sein zu den Herstellern, Du bist immer so grantig. Ich habe dann gesagt: Das ist halt so meine Art, ich kann nicht anders. Aber mit dem Pascal, der jetzt als Leiter den Kontakt zu den Herstellern hält, haben wir einen, der kann auch nett. Von daher läuft es viel besser.

Nun bist Du Sekretär der PMA und hältst dort organisatorisch die Fäden zusammen. Was hat dich an dieser Aufgabe besonders gereizt?
Guido Reusch: Ich halte so eine Interessensvertretung der Hersteller für dringend notwendig. Ich kenne auch noch die Zeit, bevor die PMA gegründet wurde. Da wurden viele Regeln in diesem Sport noch sehr einseitig bestimmt, vor allem vom DHV. Das ist nicht immer gut. Erst durch den Einsatz der PMA und der EAPR wurde zum Beispiel die ärgerliche Trennung zwischen LTF in Deutschland und EN in anderen Ländern komplett aufgehoben. Allerdings gab es in den vergangenen Jahren einen Niedergang der PMA durch den Austritt einiger Hersteller. Das hat mich beschäftigt. Einige meiner Kunden, Freunde und Kollegen haben gesagt: Mensch, wir sind jetzt dabei die PMA aufzugeben. Da habe ich gesagt: Das reizt mich. Es reizt mich, den Karren wieder ans Laufen zu bringen.

Bei welchen Hauptthemen glaubst Du der PMA besonders hilfreich sein zu können?
Guido Reusch: Vor allem geht es mir darum, das Bild der Hersteller in ein richtiges Licht zu rücken. Viele Piloten stellen die Hersteller in eine kommerzielle Schmuddelecke, als ginge es den Herstellern nur um den Gewinn. Die Hersteller kümmern sich aber auch extrem viel um Sicherheit. Da sind täglich 50 Testpiloten, Designer und Konstrukteure unterwegs, um Schirme zu gestalten, die Spaß machen, die aber auf der anderen Seite auch niemanden übermäßig gefährden. Das gilt es verstärkt zu kommunizieren.

Wie willst Du das Ansehen der PMA bei den Piloten zu verbessern?
Guido Reusch: Wir wollen näher an die Piloten heranrücken, indem wir als PMA mehr allgemeine und wichtige Informationen bereitstellen. Es ist zum Beispiel geplant, auf der PMA-Homepage eine Zulassungsdatenbank einzurichten. Dort werden Hersteller zentral ihre Geräte melden und die Prüfberichte einstellen, sodass ein Pilot nicht mehr bei drei Prüfstellen nachschauen muss, ob ein Schirm mustergeprüft ist. Ein zweites Projekt ist, auch alle Sicherheitsmitteilungen der Hersteller zentral zu verwalten, damit die Piloten weltweit an einer Stelle darauf zugreifen können.

Die PMA hat aktuell nur zehn Mitglieder, einige große Marken fehlen. Glaubst Du in Zukunft die ganze Branche mit ins Boot holen zu können?
Guido Reusch: Ich denke schon. In der Vergangenheit war ein gewisser Frust bei den Herstellern da – auch durch die inneren Strukturen der PMA, die eben nicht so gefeilt waren, wie sich das viele vorgestellt haben. Aber jetzt kommen manche Hersteller zurück. Ich kann zwar noch keine Namen nennen. Aber die Anzahl der Interessenten ist schon deutlich höher, als sie noch vor einigen Monaten war. Einige sind immer noch ein bisschen skeptisch, sowohl der alten PMA als auch meiner neuen Position gegenüber. Auf der anderen Seite braucht es aber sicherlich einen starken Mann, um Änderungen herbei zu führen.

In jüngerer Zeit ist die PMA öffentlich vor allem durch den Streit mit dem DHV über die Safety Class Tests aufgetreten. Was genau passt den Herstellern an der Safety Class nicht?
Guido Reusch: Für die Hersteller ergibt sich durch die Safety Class die gleiche Situation wie vor 2007 mit der LTF. Es ist nicht eindeutig ersichtlich, wie der DHV zu seinen Einstufungen gelangt. Aus Sicht der Hersteller gibt es da ein gehöriges Maß an Willkür, sowohl was die Technik als auch was die Entscheidungsprozesse anbelangt.

Was meinst Du mit Willkür?
Guido Reusch: Es liegen Berichte vor, dass nicht nur die Prüfer die Entscheidungen treffen, in welche Safety-Klasse ein Schirm kommt, sondern auch politisch motivierte Leute beim DHV. Und das stößt immer sauer auf. Jeder kann mit einem Ergebnis umgehen, wenn er weiß, wie es zustande gekommen ist. Wenn man als Hersteller aber das Gefühl bekommt, nicht nachvollziehen zu können, was da passiert, da fühlt man sich natürlich benachteiligt.

Sollte die Safety Class in der bestehenden Form Deiner Meinung nach besser abgeschafft werden?
Guido Reusch: Ich persönlich bin ein Verfechter davon, derartige Kategorisierungen von Schirmen grundsätzlich abzuschaffen. Aus dem Mund eines ehemaligen Prüfstellenleiters hört sich das vielleicht merkwürdig an. Aber ich denke, dass solche Klasseneinteilungen in keiner Weise Sicherheit schaffen.

Das musst Du mir erklären.
Guido Reusch: Die Safety Class fördert bei den Piloten nur eine Hörigkeit in Buchstaben und Zahlen – á la: wenn ich einen Schirm mit SC-Note 2 fliege, dann bin ich total sicher unterwegs. Das stimmt aber definitiv nicht. Die Safety Class trägt überhaupt nicht zur Sicherheit bei, genauso wenig wie die EN-Musterprüfung. Beides sind keine brauchbare Messlatte dafür, welche Schirme in der Praxis sicherer oder unsicherer zu fliegen sind.

Was wäre die Alternative?
Guido Reusch: Man sollte eher die Leute über die Risiken aufklären, als auf dem Papier technische Pseudosicherheiten herbeizuzaubern.

Also weg mit den EN- und den Safety Class Tests? Wie könnten die Piloten dann etwas über den Sicherheitscharakter ihrer Schirme erfahren?
Guido Reusch: Ich sehe hier diejenigen stark in der Verantwortung, die das Gerät auch produzieren – also die Hersteller. Wenn die Klassifizierungen aufgehoben würden, müssten sich die Hersteller viel mehr Mühe geben, um einen Schirm auch richtig am Markt zu platzieren. Wenn dann ein Schirm übermäßig für Anfänger angeboten wird, aber eigentlich ein C-Schirm ist, dann wird das dem Hersteller schnell dermaßen auf die falsche Seite des Butterbrotes fallen, dass er das nie wieder tun würde. Dieses Risiko wird niemand eingehen wollen.

Warum machen das die Hersteller dann nicht heute schon?
Guido Reusch: Es mag lustig klingen, aber wenn wir über die Aufhebung von Klassifizierungen reden, dann bekommen wir den größten Widerstand aus den Marketingabteilungen der Hersteller. Die sagen nämlich: Oh, dann muss ich so viel schreiben. Jetzt kann ich sagen, das ist unser high-end B, und damit ist eigentlich schon die gesamte Charakterisierung des Schirmes abgeschlossen. Als bringe die Klassifizierung der Prüfstelle genügend zum Ausdruck, für welche Piloten ein Schirm geeignet ist.

Ist das denn nicht so?
Guido Reusch: Nun, das kann man so sehen. Aber Tests entsprechen nicht dem wahren Fliegerleben. Wenn unsere Testpiloten im Rahmen einer Musterprüfung Klapper ziehen, dann werden sie niemals überrascht. Die gehen über Wasser, beschleunigen die Karre volle Pulle, und dann ziehen einen 75-prozentigen Klapper, wissen aber auch, dass der kommt. Das ist etwas ganz anderes, als wenn ein Pilot in freier Wildbahn von einem 50-prozentigen, unbeschleunigten Klapper völlig überrascht wird. Von daher halte ich diese Tests für nur sehr bedingt aussagefähig. Hinzu kommen auch noch vollkommen andere Randbedingungen.

Zum Beispiel?
Guido Reusch: Liegegurtzeuge. Die werden in den Flugtests nicht berücksichtigt. Dabei fliegt heute niemand mehr einen D-Schirm ohne Liegegurtzeug. Schon bei C-Schirmen sieht man fast nur Liegegurtzeuge. Darum halte ich diese Tests, so wichtig sie in der Vergangenheit waren, mittlerweile für weitgehend überflüssig.

Welche Art von Tests wäre denn noch notwendig?
Guido Reusch: Natürlich müssen Festigkeiten der Schirmkonstruktionen nachgewiesen werden. Auch ein paar grundsätzliche Flugtests müssten schon gemacht werden. Aber keine Klassifizierung in A, B, C, D, die nur eine Pseudosicherheit vermittelt.

Wäre es nicht sinnvoll, zumindest für Schulungsschirme bestimmte Standards vorzugeben?
Guido Reusch: Meiner Vorstellung nach gäbe es eine Einteilung der Schirme in drei Kategorien. Erst einmal der Gleitschirm an sich, für den müssten natürlich schon auch Limits vorgeschrieben werden. Da könnte man sagen: Das, was jetzt ein D-Schirm können muss, das muss in einer grundsätzlichen Prüfung jeder neue Schirm erfüllen. Daneben gäbe es als zweite Kategorie natürlich die Prüfung für die Schulschirme. Das ist eine spezielle Art von Fluggerät, das besondere Sicherheitsmerkmale aufweisen muss. Da würde ich persönlich sogar deutlich restriktiver rangehen, als es heute für die A-Klasse in der EN und LTF gefordert wird. Ich denke, dass es wirkliche "Schul"-Schirme geben müsste, und nicht leistungsbereinigte B-Geräte, die noch ein A bekommen –um es mal vorsichtig auszudrücken.

Und was wäre die dritte Klasse?
Guido Reusch: Das sind die Tandems. Dort hängen Passagiere drunter. Da geht es um Vertrauen. Auch Tandems sind meiner Meinung nach einer erweiterten Prüfung zu unterziehen.

Wenn man davon abgehen würde, die Sicherheit üblicher Gleitschirme nach Klassen zu bestimmen, dann rückten zwangsläufig die Piloten, deren Können und Selbsteinschätzung mehr in den Vordergrund. Hieltest Du es für sinnvoll, neue Pilotenscheinklassen einzuführen, vielleicht eine Art Stufen-Führerschein wie beim Motorradfahren?
Guido Reusch: Ich bin sowohl Taucher als auch Fallschirmspringer. In beiden Bereichen gibt es Ratings. Wenn man einen Tauchschein hat, darf man nicht gleich Strömungstauchen oder Wracktauchen gehen, denn da passieren die Unfälle. Genauso wenig darf man als Fallschirmspringer gleich einen Wingsuit fliegen oder eine Großformation. Das macht absolut Sinn. Ich verstehe nicht, dass beim Gleitschirm in puncto Sicherheit immer nur an der Technikschraube gedreht wird, ohne mal an der Schulungsschraube zu kurbeln. Oder besser gesagt: Ich verstehe es schon, aber es erscheint für mich nicht logisch.

Und warum wird nicht an der Schulungsschraube gedreht?
Guido Reusch: Der DHV ist ein Verband, der sich hauptsächlich über die Quantität seiner Mitglieder definiert und nicht über die Qualität. Denn die guten Piloten zahlen den gleichen Jahresbeitrag wie die schlechten. Wenn ich mich aus Mitgliederbeiträgen finanziere, dann habe ich jedes Jahr Erfolgsmeldungen abzuliefern: 36.000, 37.000, 38.000 Mitglieder. Wenn ich dann irgendwann dastehe und es heißt, es sind nur noch 33.000 – hoppla, da würde die Gemeinde aber groß schauen. Ich kann dann schlecht sagen: Aber die sind jetzt alle viel, viel besser. Da ist also der Druck gegeben, die Menge zu steigern. Und von daher kommt der Druck hin zu einer einfachen, günstigen, schnellen Ausbildung für die Massen. In dieser Struktur bleibt zwangsläufig die Qualität irgendwo am Boden.

Der DHV spielt damit aber doch den Herstellern in die Karten. Viele neue Mitglieder sind ja auch viele neue Kunden.
Guido Reusch: Ja, aber die müssten bleiben. Das ist das Problem dabei. Wenn 1000 Mitglieder im Jahr mehr dazukommen, dann ist das vordergründig ganz toll. Wenn man aber genauer hinschaut, so werden 6000 neue Scheine ausgestellt, aber zugleich haben 5000 Piloten auch aufgehört. Bei vielen geschieht das aus einer gewissen Unmündigkeit und aus Angst heraus. Die gehen mit der Haltung ran, mir kann ja nichts passieren, das ist ein Safety Class geprüfter Schirm. Aber dann kriegen sie mal einen ordentlichen Duscher, wenn sie unvorbereitet in irgendwas hineinfliegen oder mit dem langsamen A-Schirm in einen Leebereich hineingedrückt werden. Und dann kriegen sie Schiss und hören auf. Hier sollte sich der DHV besser mit den Herstellern zusammensetzen, um zu überlegen, wie man das gemeinsam ändern kann.

Siehst Du eine Möglichkeit, die Safety Class so zu reformieren, dass die Hersteller damit gut leben könnten?
Guido Reusch: Ich denke, dass wir diese Doppelklassifizierung – also EN plus Safety Class – grundsätzlich gar nicht brauchen. Wir sollten uns besser im Rahmen der EN mal darüber unterhalten, wie weit wir das Vorgehen der Safety Class in die Normung mit einbringen können.

Du meinst, die vom DHV bei den Safety Class Tests eingesetzte Messtechnik für Höhenverluste, Vorschießwinkel etc. sollte auch bei den EN-Prüfungen verwendet werden?
Guido Reusch: Es geht sogar um mehr. Im Grunde müssten wir uns über drei Punkte unterhalten. Als erstes die Loggertechnik. Die muss nicht nur da sein, sie muss auch validiert und kalibriert sein. Einfach nur zu glauben, dass die Technik funktioniert, ist ein bisschen dünn. Dieses Problem hatten wir bei der Protektoranlage des DHV ja auch schon mal. Der zweite Punkt ist: Ich halte es nicht für richtig, pro Schirmtyp nur eine Größe zu testen. Da sollten mehrere Größen ins Spiel kommen. Drittens stellt sich die Frage, wie die bei den Tests verwendeten Grenzwerte festgelegt werden. Bisher sind die ja nicht empirisch ermittelt worden. Dahinter steht eher ein Bauchgefühl zu sagen, ein B-Schirm darf nicht weiter als 60 Grad vorschießen. Da würde ich doch lieber den Weg gehen, dass solche Grenzen aus der Praxis heraus abgeleitet werden müssen.

Wie könnte so etwas geschehen?
Guido Reusch: Indem man sich zum Beispiel 30 aktuelle B-Schirme holt und untersucht, wie weit schießen die – mit der Loggertechnik gemessen – denn tatsächlich vor. Wenn dabei im Schnitt 58,5 Grad rauskommt, dann haben wir wenigstens mal den Status quo ermittelt, an dem man sich orientieren kann. Das ist dann ein Messwert und kein Bauchgefühl. Denn über Gefühle kann man sich bei Technik schlecht unterhalten.

Eine der Besonderheiten der Safety Class gegenüber der EN-Norm ist, dass auch der Höhenverlust nach Klappern für die Klassifizierung berücksichtigt wird. Hältst Du solche Werte für sicherheitsrelevant?
Guido Reusch: Ja, wenn es richtig gemacht wird. Für eine stichhaltige Kategorisierung der Schirme müsste man aber alle Messergebnisse auf die ICAO Standardatmosphäre umrechnen. Denn wenn ich einmal einen Klapper in 2000 Meter Höhe und einmal einen Klapper in 200 Meter Höhe ziehe, erhalte ich unterschiedliche Messergebnisse. In größerer Höhe habe ich immer einen größeren Höhenverlust. Um Messwerte vergleichen zu können, auch zwischen den Schirmen, muss ich natürlich die gleiche standardisierte Basis haben.

Die Flughöhe beeinflusst also die Ergebnisse der Safety Class Tests?
Guido Reusch: Natürlich. Höhenverlust ist eine tolle Sache, wenn man das genau bestimmen kann. Wir haben uns bei der EAPR intensiv damit beschäftigt. Unsere Versuche haben aber gezeigt, dass da eine enorme Variabilität drin steckt. Ich habe bei einem Prüfklapper ganz oben überm See mal 42 Meter, dann 40, dann 38, und unten kurz überm Wasser habe ich 36 Meter Höhenverlust. Da stellt sich die Frage: Welchen Wert nehme ich denn jetzt? Ich kann natürlich sagen: worst-case, also 42 Meter. Aber das ist ein falsches Verständnis von worst-case. Die Situation ist immer die gleiche, ich habe nur bei den Tests eine unterschiedliche Ausgangshöhe. Aber die kann darüber entscheiden, ob ein Schirm am Ende die Note 2 oder 3 in der Safety Class bekommt. Da gibt es große Probleme. Diese Sachen hat man beim DHV noch nicht zu Ende gedacht.

Macht denn der DHV Deines Wissens nach diese Umrechnung der Messwerte auf Standardatmosphäre?
Guido Reusch: Nein, nach meinen Kenntnisstand bisher nicht.

Ausschnitt aus einer EAPR Risiko-Analyse eines Schirmes
in Anlehnung an die Safety Class Tests des DHV.
(Ins Bild klicken zum Vergrößern). // Quelle: EAPR
Du selbst hattest Anfang des Jahres noch als Leiter der EAPR angekündigt, den Herstellern solche an die Safety Class angelehnte Tests mit Datenloggern anzubieten und eine entsprechende Auswertung zu liefern. Was ist aus dem Projekt eigentlich geworden?
Guido Reusch: Wir haben das gemacht. Wir haben das auch an die Hersteller weitergegeben. Wir haben es ihnen allerdings freigestellt, die Ergebnisse zu nutzen oder nicht. Vor allem hat sich aber gezeigt, wie schwierig es ist, reproduzierbare Ergebnisse zu bekommen.

Inwiefern?
Guido Reusch: Der sogenannte worst-case oder der Klapper an der Obergrenze des Messfeldes, wie es der DHV bei der Safety Class nennt, ist einfach kein reproduzierbares Ergebnis. Mal schießt der Schirm weit vor, mal nicht. Mal gibt es Kaskaden, mal nicht. Häufig können die Testpiloten nicht einmal sagen, was ist bei der Spirale, was ist bei dem Klapper jetzt wirklich anders gewesen, dass da ein so anderes Resultat rauskommt. Da haben auch die Hersteller gesagt: Wow, da ist ja eine Streuung drin, das liegt jetzt nicht an der Messtechnik, da kann man nichts mit anfangen.

Nur um das klarzustellen: Die EAPR hat also eine eigene funktionierende Loggertechnik?
Guido Reusch: Ja, haben wir.

Das ist interessant. Denn es gibt ja Hersteller, die vom DHV fordern, er solle ihnen seine Loggertechnik zur Verfügung stellen, damit sie selbst schon während der Schirmentwicklung solche Tests machen können. Warum baust Du nicht Deinen Logger in zigfacher Ausführung und bietest ihn den Herstellern an. Gibt es da keine Nachfrage?
Guido Reusch: Doch, aber das bringt nichts. Denn um eine echte Vergleichbarkeit von Tests zu ermöglichen, fehlen uns die Detail-Informationen vom DHV. Wir wissen ja nicht einmal, mit welcher Frequenz die Messwerte im DHV-Logger geschrieben werden. Und es macht einen enormen Unterschied, ob ich mit zwei, fünf oder 15 Messungen pro Sekunde arbeite. Allein dadurch komme ich schon zu ganz anderen Ergebnissen. Hier lässt der DHV bisher gar nichts raus. Dieses Mauern ist für mich in keiner Weise nachvollziehbar. Der DHV will sichere Schirme? Dann sollte der DHV den Herstellern die Daten geben, sofern diese vorhanden sind, damit sie damit arbeiten können.

Meines Wissens nach hat es Angebote des DHV an die Hersteller gegeben, gemeinsam einen Loggerstandard zu entwickeln...
Guido Reusch: Ja, das hat es gegeben, im Februar. Aber das ist vom DHV nicht weiter verfolgt worden. Peter Wild arbeitet im Auftrag des DHV ja mittlerweile an der dritten Generation des Loggers. Nach meinem Kenntnisstand wurde ihm explizit vom DHV verboten, diesen Logger weiterzuverkaufen.

Könnte der DHV seine Loggertechnik nicht auch schon für die Tests seiner Musterprüfstelle einsetzen? Das würde dem Verband doch einige der Diskussionen mit den Herstellern ersparen. Die beschweren sich ja vor allem auch darüber, dass manche Schirme, die selbst von der DHV-Musterprüfstelle ein A bekommen, deutlich später durch eine schlechte Safety Class Einstufung quasi unverkäuflich werden.
Guido Reusch: Eine gute Frage! Im Grunde wäre das total einfach. Aber warum macht der DHV das nicht? Die Antwort ist in meinen Augen simpel: Weil die Prüfstelle diese Logger-Messungen in einer für die Akkreditierung nötigen Form gar nicht darstellen kann – zumindest nicht in der Form, wie sie derzeit gemacht werden. Um diese Tests in der akkreditierten Prüfstelle nutzen zu können, bräuchte man Nachweise der Validierung der Daten und Kalibrierung der Messgeräte. Aber das ist nicht möglich. Und genau das ist die größte Schwachstelle der Safety Class.

Du meinst, der Logger liefert eigentlich keine prüftechnisch sinnvollen Messergebnisse?
Guido Reusch: Glaube mir, wir haben es mit unserem Logger ausprobiert. In diesem Verfahren stecken messtechnische Probleme drin, da hat ein normaler Pilot gar keine Ahnung von. Ich behaupte sogar, und da kann der DHV mich gerne eines Besseren belehren, dass einige Teile der angeblich genutzten Daten gar nicht in einem ausreichenden Maße zur Verfügung stehen.

Du meinst, die Daten gibt es gar nicht?
Guido Reusch: Zumindest nicht in einer verwertbaren Form. Da sind zwar Werte aufgenommen worden. Aber letztendlich kann man in der Auswertung nur sagen, ja toll, wir haben jetzt viele Daten. Wir kriegen auch irgendein Resultat heraus. Aber wir kriegen auch irgendein anderes Resultat raus, das kommt darauf an, wie wir das lesen. Aber das ist nicht Sinn und Zweck der Sache. Gerade in Sachen Pitchmessung bei Seitenklappern und beim Frontklapper behaupte ich definitiv: Da hat der DHV bei seinen Safety Tests in den ersten Jahren komplett ins Blaue geschossen.

Von außen betrachtet wirkt der Streit um die Safety Class auch wie ein Machtkampf zwischen den Herstellern und dem DHV. Da laufen sogar Klagen. Ist der DHV aus Sicht der Hersteller einfach zu mächtig?
Guido Reusch: Er ist schon sehr mächtig. Man muss aber auch sehen: Er bewegt sich auf einem sehr schmalen, fragwürdigen Grat mit Widersprüchen. Die gleichen Schirme kriegen beim DHV ein A in der Musterprüfung und dann eine Note 4 in der Safety Class von den anderen Prüfern. Das stellt doch aus Sicht eines Piloten die Glaubhaftigkeit sowohl der Musterprüfstelle als auch der Safety Class Prüfer komplett in Frage.

Was wäre die Alternative?
Guido Reusch: Ich kann mit der DHV Safety Class leben, aber dann bitte ohne Musterprüfung. Und ich kann sehr gut mit der Musterprüfstelle leben, denn ich mag die Jungs, die da testen. Der Reiner Brunn und der Harry Buntz, die sind klasse, da haben wir überhaupt kein Problem mit. Die machen einen guten Job und wissen was sie tun. Das Zusammenspiel beider Seiten in einem Verband, das halte ich für fragwürdig.

Am Anfang des Interviews hast Du gesagt, Dich reizten neue Herausforderungen. Wäre da nicht auch der Job des DHV-Geschäftsführers etwas für Dich gewesen?
Guido Reusch: (lacht) Ich habe mal zum Spaß gesagt: „Weil ich mich nicht beworben habe, mussten sie es nachher ausschreiben.“ Aber im Ernst: Das hat mich keine einzige Sekunde gelockt. Außerdem glaube ich: Das Feindbild, das der DHV mir gegenüber über Jahre hinweg aufgebaut hat, hätte bei einer Bewerbung eher zu einem großen Lacher geführt.

Ab März 2017 wird Robin Frieß neuer Geschäftsführer des DHV, als Nachfolger von Klaus Tänzler. Wenn Du Dir etwas von ihm wünschen dürftest, was wäre das?
Guido Reusch: Mehr reden. Klaus Tänzler war für die Hersteller und die anderen Prüfstellen nicht existent die letzten fünf Jahre. Ich wünsche mir einfach mehr Kommunikation, mehr Austausch. Wir haben einen Brief an den DHV geschrieben und bekommen ja nicht mal eine Eingangsbestätigung. Das ist kein guter Stil. Diese überarrogante Art und Weise, so etwas mehr oder weniger zu ignorieren – da wünsche ich mir von Robin, dass wir auf einem ganz anderen Niveau überhaupt miteinander reden können.

Erwartest Du denn, dass mehr Bewegung in die Kommunikation zwischen DHV und PMA kommt, wenn Robin Geschäftsführer ist?
Guido Reusch: Ich bin gespannt. Momentan haben wir ja eine Situation wie in den USA nach der Präsidentschaftswahl. „Lame Duck“ nennen dann die Amerikaner ihren Präsidenten. Der Neue kann noch nicht, und der Alte will nicht mehr. Beim DHV geht jetzt erst einmal ein halbes Jahr komplett verloren. Und wer glaubt, dass Klaus Tänzler dann komplett aufhören würde und nicht mehr im Hintergrund weitermacht, der verkennt die Situation beim DHV ein wenig. Peter Janssen [Anm.: Ehrenvorsitzender des DHV] ist auch schon vor vielen Jahren abgetreten, und den treffe ich immer noch mit schöner Regelmäßigkeit in irgendwelchen offiziellen Meetings. Und so wird das mit Klaus wohl auch sein. Der Robin wird es nicht leicht haben. Da gibt es einige Jungs im Hintergrund, die Hardliner, die werden ihn schon entsprechend briefen, wie der Umgang des DHV mit der EAPR, mit der PMA, der EHPU usw. zu sein hat.

Ich bin ich auch gespannt, was in Zukunft von der PMA mit Deiner Handschrift noch so kommt.
Guido Reusch: Ich bin nur der Sekretär, ich habe da nur Zuarbeiterfunktion.

Aber wenn ich Dich richtig verstanden habe, willst Du auch Motor und Ideengeber sein. Dafür wurdest Du doch auch gewählt, weil die Hersteller sich gesagt haben: Neue Besen kehren gut.
Guido Reusch: Es gibt aber auch einige, die Schiss davor haben, dass der Besen aus Stahl ist. Aber ich werde da keinen Alleingang machen. Ich bin vielleicht Motor und Kontakter in alle möglichen Richtungen. Aber ich bin nicht die PMA, ich bin nicht der Geschäftsführer. Ich bin nur der Sekretär. Ich kümmere mich um die Öffentlichkeitsarbeit und versorge den Vorstand mit eingegangenen Ideen, ob die nun von mir kommen oder von anderen.

Ich danke Dir für das Gespräch.

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