Wie schnell fliegt eigentlich ein Gleitschirm? In der Regel langsamer als die meisten Piloten gemeinhin glauben und Hersteller in den technischen Daten angeben. 

Selbst CCC-Schirme fliegen real langsamer als auf dem Papier.
// Foto: Xevi Bonet, bearbeitet
Kein EN-B Schirm erreicht voll beschleunigt 50 km/h. Ein sportlicher EN-C schafft nur wenig mehr. Eine schnelle EN-D Sichel wie der 777 King fliegt maximal 53, und selbst ein CCC-Schirm wie der Enzo 2 bleibt unter der Marke von 60 km/h.

Diese Daten hat das britische Magazin Cross Country veröffentlicht (der Text erschien ursprünglich in der August-Ausgabe des Heftes, ist jetzt aber online frei zugänglich). Sie basieren auf realen Messungen mit einer kalibrierten Staudrucksonde von Flymaster. Und: Sie lassen die Geschwindigkeitsangaben von Gleitschirmherstellern leidlich übertrieben erscheinen.

Noch ein interessanter Fakt: Der Trimm-Speed der meisten Gleitschirme liegt laut Cross Country in der Regel nur bei 34-35 km/h, selbst bei schnellen Wettbewerbsschirmen. Zum Vergleich: In den technischen Angaben der Hersteller ist üblicherweise eine Trimm-Geschwindigkeit von 38 oder 39 km/h ausgewiesen.


Von IAS und TAS

Woher kommen diese Diskrepanzen? Es ist eine Frage der Messmethode. Die Staudrucksonde von Flymaster liefert die sogenannte Indicated Air Speed (IAS) des Gleitschirms gegenüber der Luft. Die Geschwindigkeit wird dabei anhand des Vergleiches bzw. der Differenz des real gemessenen statischen Luftdrucks und mit dem am Staudruckrohr anliegenden, durch die Fortbewegung erhöhten Stau-Luftdruck ermittelt. Dieses Verhältnis bleibt bei einer definierten Geschwindigkeit in allen Höhenschichten (und bei den mit dem Gleitschirm erfliegbaren, relativ geringen Geschwindigkeiten) weitgehend gleich. Das heißt, ein IAS-Sensor liefert stets dieselben Werte, egal ob er auf Meereshöhe oder in 2000 Meter Höhe misst. So werden Messungen vergleichbar.

Tatsächlich bewegt sich ein Gleitschirm in dünnerer Höhenluft natürlich schneller fort. In der Luftfahrt wird deshalb als höhenkompensierter Wert die sogenannte True Air Speed (TAS) angegeben. Etwas vereinfacht kann man die TAS aus der IAS errechnen, indem man pro 300 Meter (1000 Fuß) an Höhe rund 2 Prozent auf den IAS-Wert aufschlägt. Ein Gleitschirm, der eine IAS von 35 km/h besitzt, wird demnach auf 2000 m MSL mit einer TAS von über 39 km/h dahingleiten. Auf 3000 Meter Höhe werden es schon 42 km/h TAS sein, usw.

Interessanterweise geben die Gleitschirmhersteller die TAS an (die bei Windstille am ehesten mit einer per GPS ermittelten Groundspeed-Messung übereinstimmt). Allerdings macht keine der Marken irgendwelche Angaben dazu, auf welche Flughöhe sich die jeweilige Geschwindigkeitsangabe eigentlich bezieht. Allein anhand der Datenblätter ist es deshalb unmöglich, den Speed verschiedener Schirmmodelle miteinander zu vergleichen - schon gar nicht, wenn es sich um Modelle unterschiedlicher Hersteller handelt.


Überlieferte Referenz

In der Praxis machen die Hersteller häufig sogar keine echten Instrumentenmessungen. Vielmehr fliegen sie Vergleiche mit Referenzschirmen. Das können Schirme aus dem eigenen Hause sein oder Schirme von Konkurrenten. Und wenn dieser für seinen EN-B halt einen Trimm-Speed von 39 km/h angibt, und das eigene Modell im Vergleich Pi mal Daumen genauso schnell unterwegs ist, stehen halt am Ende auch diese 39 km/h im Katalog. So entstehen Legenden.

Eine Abhilfe könnte so aussehen: Die Hersteller vereinbaren untereinander, zum Beispiel innerhalb der PMA, künftig auf real und mit einheitlicher Technik gemessene und deshalb vergleichbare IAS-Werte zu setzen und diese zu veröffentlichen. Doch das ist kaum zu erwarten. Die Ernüchterung - auch bei den Piloten - wäre wohl zu groß, wenn die ach so schnellen Sicheln mit einem Mal nur noch als deutlich langsamere Geräte in den Büchern stünden.

So wird es vermutlich auch in Zukunft beim Schmu mit der Geschwindigkeit bleiben. Und wer sich selbst einmal überzeugen will, einen richtig schnellen Schirm zu fliegen, der muss einfach nur hoch genug damit aufdrehen.


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