Nach politischen Streitereien im vereinsinternen Chat liefert der Vorstand eines Clubs ein Beispiel für den Umgang mit solchen Diskussionen
Lässt sich Gleitschirmfliegen vom politischen Diskurs entkoppeln? // Bild: KI generiert, Bing |
Ein Pilot hatte im vereinsinternen Whatsapp-Kanal, in dem offiziell nur zu gleitschirm-bezogenen Themen geschrieben werden soll, den Aufruf zur Teilnahme an einer der vielen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus gepostet. Schnell schlugen die Wogen hoch, weil manche das als respektlos und propagandistisch betrachteten, andere wiederum das Thema und den Anlass als gerechtfertigt empfanden und virtuell applaudierten. Der Streit über "richtig" und "falsch" hatte das Zeug dazu, die von einem guten Miteinander geprägte Vereinsseele tief zu erschüttern.
Letztendlich sah sich der Kanal-Moderator aus dem Vorstand dazu gezwungen, alle Posts des Scharmützels zu löschen. Er schrieb: "Schade, aber nötig, wenn Diskussionen aus dem Ruder laufen. Unabhängig davon, ob es 'richtig' oder 'falsch' ist, was gepostet wird. Politik bleibt außen vor. Basta!"
Ganz so Basta blieb es aber nicht. Denn zwangsläufig gab es im Vorstand weitere Gespräche über die Frage: Soll man politisch-gesellschaftliche Diskussionen einfach nur komplett ausblenden, oder müsste ein Verein nicht zumindest eine gewisse Haltung zeigen? Am Ende entschied der Vorstand einstimmig, sich neutral, aber mit einem klaren Bekenntnis "für unsere Demokratie" zu positionieren und in einem Brief an alle Mitglieder zu veröffentlichen.
Da es vermutlich auch in anderen Clubs zuweilen zu ähnlichen Diskussionen kommt, ist dieser Brief nachfolgend im Wortlaut dokumentiert – als Beispiel für eine von sicher vielen Möglichkeiten, mit derlei Fragen umzugehen:
"Für unsere Demokratie"
"Liebe Vereinsmitglieder,
in Anbetracht der aktuellen politischen Diskussionen, der gesellschaftlichen vielfältigen Umwälzungen, diskutierten Umbrüche und Meinungen auf allen Ebenen, der notwendigen Stabilität unseres Rechtsstaates in Deutschland, der vielfältigen angespannten Diskussionen und Meinungen (auch auf unseren Verteilern wie in den letzten Tagen), hat sich der Vorstand und die Beisitzer des Vorstands dazu geschlossen Euch dazu ein klares Statement für den Verein zukommen zu lassen.
Eine „neutrale“, aber klare Positionierung für unsere Demokratie:
Unser Verein wurde gegründet, um unseren Flugsport und eine positive Gemeinschaft zu fördern. In diesem Zusammenhang möchten wir betonen, dass unser Verein keine politischen Diskussionen und Parteipolitik fördert. Unsere Stärke liegt in der Vielfalt unserer Mitglieder und den gemeinsamen Interessen, die uns verbinden.
Gleichzeitig ist es uns wichtig, darauf hinzuweisen, dass unser Verein auf den Grundwerten des deutschen Grundgesetzes basiert. Die Achtung der Menschenwürde, die Freiheit, die Gleichheit und die Rechtsstaatlichkeit sind Prinzipien, die die Grundlage unserer Gesellschaft und somit auch unserer Gemeinschaft bilden.
Als Mitglieder unseres Vereins möchten wir Euch daran erinnern, dass wir uns verpflichten, diese Grundwerte zu respektieren und zu schützen. Die Stärkung der Demokratie ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger, unabhängig von politischer Ausrichtung oder Meinung.
Wir ermutigen jeden von Euch, sich aktiv für ein respektvolles Miteinander einzusetzen und die demokratischen Prinzipien zu wahren. Das bedeutet nicht, dass wir politische Debatten im Verein führen müssen, aber es erinnert uns daran, dass unsere Freiheiten und Rechte auf einer stabilen demokratischen Grundlage beruhen.
Lasst uns gemeinsam eine Atmosphäre schaffen, in der Toleranz, Respekt und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Meinungen und Hintergründen herrschen. Indem wir diese Werte leben, tragen wir dazu bei, nicht nur unseren Verein, sondern auch unsere Gesellschaft insgesamt zu stärken.
Wir freuen uns darauf, weiterhin mit Euch gemeinsam an den Zielen unseres Vereins zu arbeiten und eine positive Flieger-Gemeinschaft zu fördern.
Herzliche Grüße, Euer Vorstand"
9 Kommentare
Danke für diesen interessanten Einblick. Unsere Demokratie möchte ja Meinungsvielfalt. Davon lebt sie ja. Doch jede Meinung muss ihr Fundament auf der freiheitlich-demokratischen Grundordnung bauen. Im Gegensatz zur Weimarer Republik haben wir ja nun eine wehrhafte Demokratie.
AntwortenLöschenJa, ein guter Beitrag Lucian. Ich habe mich schon oft gefragt, ob unsre Welt nicht friedlicher wäre, wenn alle so wunderbare Hobbies hätten wie wir... Aber natürlich kittet ein gemeinsames Hobby halt dennoch nicht alle Differenzen - schon gar nicht in aufgewühlten Zeiten wie diesen.
AntwortenLöschenZum Post von Jens muss ich allerdings entgegnen, dass DEMOKRATIE nicht den Anspruch haben darf, dass Alle und Jeder demokratisch gesinnt sein müssen. Das wäre letztlich " undemokratisch". Die Spielregeln der Demokratie jedoch gelten, solange bis das Volk demokratisch für die Abschaffung der Demokratie stimmen würde!
Nein. Die Spielregeln unseres Staates, also unsere Verfassung, fußt auf den Menschenrechten. Das darf auch nie wieder geändert werden.
AntwortenLöschenGerade das macht unsere Demokratie wehrhaft. Sonst würden Demokratien ja aussterben und (fast) nie wieder kommen. Meinungen sind gerne gesehen, um sie zu verbessern oder zu ändern. Aber eine Abschaffung ist indiskutabel.
Danke für diesen interessanten Beitrag. Das hat der Vorstand meiner Meinung nach elegant gelöst. Wir fliegen eben nicht im luftleeren Raum. Die Gesetze sind ein Rahmen, an den auch wir uns halten müssen. Und die Tage erst hat Transparency International wieder gezeigt, dass gerade in autoritär regierten Ländern Korruption eine größere Rolle spielt. Für uns könnte da beispielsweise das Thema Luftraumfreigabe ganz schnell vorbei sein, wenn jemand großes kommerzielles Interesse hat.
AntwortenLöschen@Melchior: Das stimmt so nicht ganz: Demokratie ist im Grundgesetz verankert und dafür braucht es eine 2/3 Mehrheit diese zu ändern. In Artikel 20, Satz 4 heißt es sogar "Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist."
Kurz gesagt, wem Demokratie als Grundform nicht passt, der darf sich ein andere Land suchen, er/sie hat aber nicht das Recht, dies in D abzuschaffen.
P.S. Demokratie ist nicht zu verwechseln mit Diktatur der Mehrheit.
AntwortenLöschenGibt es in der politischen Diskussion Teilnehmer, die auch nur im Ansatz die Abschaffung der Demokratie fordern oder planen? Wäre mir nicht bekannt.
AntwortenLöschenVon dem her bitte alle mal einen Gang runter schalten und andere Meinungen respektieren und akzeptieren, auch wenn sie nicht der eigenen entsprechen. Genau das ist doch der Kern der Demokratie.
Ja, es wird alles immer komplizierter auf der Welt. Darf man als aufrecht demokratischer Flieger künftig nur noch links kreisen? Aber dazu muss man es natürlich rechts laufen lassen, also doch gleichzeitig rechts bremsen?! Und soll man nur gegen rechte Klapper eingreifen oder darf man auch mal gegen linke, wenn´s sonst abwärts geht? Und gehen blaue Gleitschirme noch oder nur dann, wenn sie auch aus Solidarität für die Ukraine einen gelben Streifen haben? Sollen weiter Startplätze für alle angeboten werden oder getrennt nach männlich, weiblich und divers? Und darf in Zukunft nur noch fliegen, wer sich dreimal - egal wogegen - hat impfen lassen und ein öffentliches Bekenntnis zur freiheitlichen Demokratie abgelegt hat?
AntwortenLöschenFragen über Fragen ... Wie meinte schon der alte Horaz: "difficile est saturam non scribere" - es ist schwierig keine Satire zu schreiben.
Hallo Lucian,
AntwortenLöschenein interessanter Artikel. Danke.
Ich denke, dass der Verein in seinem Brief an seine Mitglieder den Ton gut getroffen hat.
Ich habe in meinen Vereinen auch bei den jeweiligen Vorständen angeregt, sich auf der Vereins-Homepage klar gegen Rassismus zu positionieren. Für mich eine Selbstverständlichkeit, aber anscheinend wird das Thema kontroverser gesehen, als ich gedacht habe. Bisher gab es diesbezüglich keine klare Stellungnahme - aber zumindest haben wir das Thema mal angeschnitten.
Den DHV habe ich auch mit gleicher Aufforderung angeschrieben (20.1.), leider gab es diesbezüglich bisher keine Reaktion. Viele Verbände treten gegen Rassismus ein, warum wir nicht? Eigentlich komisch, wo wir doch alle gerne überall auf der Welt aufdrehen, wir gerne bei anderen zu Gast sind und dort willkommen geheißen werden.
Auf der DHV-Homepage findet man bei der Suche nach dem Stichwort „Rassismus" einen Beitrag. Dieser stammt aus dem Jahr 1993.
Ich finde es gut, dass in der Gleitschirm-Szene mehr politisch diskutiert wird. Eine offene (und sachliche) Diskussion kann man meiner Meinung nach Menschen mit gegensätzlichen Meinungen einander näher bringen.
@Thomas M: "Gibt es in der politischen Diskussion Teilnehmer, die auch nur im Ansatz die Abschaffung der Demokratie fordern oder planen? Wäre mir nicht bekannt." Das ist vielleicht eine Auslegungsfrage, aber immerhin wird die Junge Alternative im Verfassungsschutzbericht "als im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung" beschrieben. Ich würde also deine Frage eindeutig mit ja beantworten.
@Günter W.: Ich finde es wichtig, in diesen schwierigen Zeiten den Humor nicht zu verlieren. Aber deinen kann ich wirklich nicht Teilen.
@all: ich freue mich riesig auf den nächsten gemeinsamen Flug mit euch.
Paul, das freut mich, dass du meinen Humor nicht teilen kannst. Sonst wäre es ja auch keine Satire, wenn es jeder lustig fände. Humor kann man nämlich gar nicht teilen - Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
AntwortenLöschenIn diesem Sinne: Ob ihr Rechts- oder Linksdreher seid, oder immer nur geradeaus fliegt, allen stets viel Spaß beim Fliegen!
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