Eine Studie zeigt: Viele Rettergriffe sind so gebaut, dass sie sich leicht in Leinen verfangen. Gurtzeugbauer sollten ihre Designs überdenken

Zwei Beispiele von in Leinen verhängten Rettergriffen
// Quelle: Youtube (1 | 2)

Im Gleitschirmbereich gibt es erstaunlich wenig gezielte Sicherheitsforschung. Gleitschirme und Gurtzeugprotektoren werden zwar EN-geprüft. Aber es sind häufig kleine bauliche Details, die in Notsituationen über Wohl und Wehe eines Piloten entscheiden. Kaum jemand macht sich tiefergehende Gedanken darüber – zum Beispiel über Rettergriffe.

Eine löbliche Ausnahme ist der Südtiroler Samuel Buraschi. Beim Anschauen von Gleitschirm-Absturz-Videos war ihm des Öfteren aufgefallen, dass ein geworfener Notschirm nicht aufging, weil sich der Rettergriff in irgendwelchen Leinen verfangen hatte und damit die Öffnung des gesamten Rettungspaketes verhinderte. 

Buraschi stellte sich die Frage: Ist das jetzt ein seltenes Pech der betroffenen Pilotinnen und Piloten, oder liegt dahinter vielleicht ein system-immanentes Problem?


Standardisierter Verhängertest

Buraschis Testaufbau
(klick zum Vergrößern)

Auf der Suche nach einer Antwort, entschied er sich, mit wissenschaftlichen Methoden vorzugehen. Er entwarf eine Art standardisierten Verhängertest. Dieser beruht auf einem einfachen Versuchsaufbau: Ein Retter im Innencontainer wird mit jeweils verschiedenen daran geknüpften Rettergriff-Modellen in ein Set aus horizontal gespannten Leinen fallen gelassen. Für eine aussagekräftige Statistik wird das zigfach wiederholt und jedes Mal notiert, ob das gesamte Päckchen die Leinen unbehelligt passiert oder sich darin verfängt. 

Verhängerbeispiele 1

Auf diese Weise testete Buraschi selbst 23 verschiedene Rettergriffe. Anfangs nutzte er eine Art Kamm aus gespannten Leinen, auf den er das Retterpaket in einer leichten Schleuderbewegung fallen ließ. Diese Testreihe bezeichnete er als den "dynamischen Test" (s. Bild "Testaufbau").

Weil es dabei jedoch häufiger vorkam, dass das dickere Retterpaket die Leinen soweit auseinander drückte, dass der verbundene Griff einfach mit durch diese Lücke fiel, entwickelte er zusätzlich noch einen "statischen Test". Bei diesem ließ er den Rettungscontainer mit straff zur Seite gezogenem Rettergriff auf eine einzelne, gespannte Leine fallen – und zwar so, dass der Container auf der einen, der Griff auf der anderen Seite der Leine aufschlägt. So konnte er sicherstellen, dass die Verbindung von Container und Rettergriff immer auf eine Leine trifft. 


Sehr hohe Verhängerquote

Die Ergebnisse beider Testreihen sind ernüchternd. Sowohl der dynamische, als auch der statische Test ergaben eine alarmierend hohe Verhängerquote. Diese lag im Durchschnitt bei rund 60% (dynamisch) bzw. 70% (statisch). Mehr als die Hälfte der Rettergriffe ergaben im statischen Test sogar Verhängerquoten von über 80%, einige sogar von nahezu 100%. Es gab aber auch Beispiel mit deutlich unter 50% in beiden Testvarianten.

Verhängerbeispiele 2

Buraschis Beobachtungen zeigen: Es gibt es verschiedene Faktoren, die ein Verhaken des Rettergriffes in den Leinen begünstigen. Zum Beispiel eine längere Verbindungsleine zwischen Griff und Innencontainer. Ebenso neigen Griffe mit Querstegen, an denen die Verschlusspins des Außencontainers sitzen, oder Griffe mit relativ steifen, herauskragenden Nylondrähten zum häufigeren Verhängen.

Samuel Buraschi bietet auf seiner Website Airdancers.eu den Report zur Forschung der Rettergriffproblematik (pdf) zum freien Download an. Darin nennt er neben weiteren Test-Details auch Ideen, wie sich beim Design von Rettergriffen das Verhängerrisiko reduzieren ließe: Hilfreich ist zum Beispiel eine kurze Verbindung zwischen Innencontainer und Griff. Auch die Form vieler Griffe ließe sich optimieren, indem hervorstehende Ecken abgerundet werden. Eine sinnvolle Lösung wären zudem weichere Griffe, bei denen die Verschlüsse bzw. Nylondrähte beim Ziehen des Retters so in den Griff oder die Verbindungsleine eingezogen werden, dass sie anderen Leinen gar nicht mehr als herausstehende Angriffsfläche dienen können.


Gurtzeughersteller gefragt

"Das Ziel dieses Berichts ist es, die Hersteller zu sensibilisieren, damit sie bei ihren zukünftigen Projekten nicht nur die Gurtzeuge, sondern auch die Rettergriffe weiter verbessern", schreibt Samuel Buraschi in seinem Report. 

Dieses Ansinnen kann man nur unterstützen: Es wäre wünschenswert, wenn möglichst viele Gurtzeugbauer die Ideen aufgreifen und ihre Rettergriffe schon bei der Entwicklung solchen Verhängertests unterziehen. So ließen sich die Designs sicherheitstechnisch verbessern und vielleicht sogar nicht-verhängbare Lösungen finden. 

Im Alltag werden bei den meisten Retterwürfen die Container in den freien Luftraum geworfen und die Notschirme öffnen korrekt. Allerdings lässt sich nie ganz ausschließen, dass ein Retterpaket doch irgendwie in den Leinen landet – z.B. nach einer Kollision, bei einem Sturz des Piloten in die Kappe oder bei einem sat-artigen Spiralsturz. 

Wenn es gelänge, mit weniger verhängungs-trächtigen Rettungsgriffen das Risiko einer Retterblockade oder eines Retterfraßes nur ein bisschen zu verringern, könnte das Leben retten. 


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