Eine Studie zeigt: Viele Rettergriffe sind so gebaut, dass sie sich leicht in Leinen verfangen. Gurtzeugbauer sollten ihre Designs überdenken
Zwei Beispiele von in Leinen verhängten Rettergriffen // Quelle: Youtube (1 | 2) |
Eine löbliche Ausnahme ist der Südtiroler Samuel Buraschi. Beim Anschauen von Gleitschirm-Absturz-Videos war ihm des Öfteren aufgefallen, dass ein geworfener Notschirm nicht aufging, weil sich der Rettergriff in irgendwelchen Leinen verfangen hatte und damit die Öffnung des gesamten Rettungspaketes verhinderte.
Buraschi stellte sich die Frage: Ist das jetzt ein seltenes Pech der betroffenen Pilotinnen und Piloten, oder liegt dahinter vielleicht ein system-immanentes Problem?
Standardisierter Verhängertest
Auf der Suche nach einer Antwort, entschied er sich, mit wissenschaftlichen Methoden vorzugehen. Er entwarf eine Art standardisierten Verhängertest. Dieser beruht auf einem einfachen Versuchsaufbau: Ein Retter im Innencontainer wird mit jeweils verschiedenen daran geknüpften Rettergriff-Modellen in ein Set aus horizontal gespannten Leinen fallen gelassen. Für eine aussagekräftige Statistik wird das zigfach wiederholt und jedes Mal notiert, ob das gesamte Päckchen die Leinen unbehelligt passiert oder sich darin verfängt.
Verhängerbeispiele 1 |
Weil es dabei jedoch häufiger vorkam, dass das dickere Retterpaket die Leinen soweit auseinander drückte, dass der verbundene Griff einfach mit durch diese Lücke fiel, entwickelte er zusätzlich noch einen "statischen Test". Bei diesem ließ er den Rettungscontainer mit straff zur Seite gezogenem Rettergriff auf eine einzelne, gespannte Leine fallen – und zwar so, dass der Container auf der einen, der Griff auf der anderen Seite der Leine aufschlägt. So konnte er sicherstellen, dass die Verbindung von Container und Rettergriff immer auf eine Leine trifft.
Sehr hohe Verhängerquote
Die Ergebnisse beider Testreihen sind ernüchternd. Sowohl der dynamische, als auch der statische Test ergaben eine alarmierend hohe Verhängerquote. Diese lag im Durchschnitt bei rund 60% (dynamisch) bzw. 70% (statisch). Mehr als die Hälfte der Rettergriffe ergaben im statischen Test sogar Verhängerquoten von über 80%, einige sogar von nahezu 100%. Es gab aber auch Beispiel mit deutlich unter 50% in beiden Testvarianten.
Verhängerbeispiele 2 |
Samuel Buraschi bietet auf seiner Website Airdancers.eu den Report zur Forschung der Rettergriffproblematik (pdf) zum freien Download an. Darin nennt er neben weiteren Test-Details auch Ideen, wie sich beim Design von Rettergriffen das Verhängerrisiko reduzieren ließe: Hilfreich ist zum Beispiel eine kurze Verbindung zwischen Innencontainer und Griff. Auch die Form vieler Griffe ließe sich optimieren, indem hervorstehende Ecken abgerundet werden. Eine sinnvolle Lösung wären zudem weichere Griffe, bei denen die Verschlüsse bzw. Nylondrähte beim Ziehen des Retters so in den Griff oder die Verbindungsleine eingezogen werden, dass sie anderen Leinen gar nicht mehr als herausstehende Angriffsfläche dienen können.
Gurtzeughersteller gefragt
"Das Ziel dieses Berichts ist es, die Hersteller zu sensibilisieren, damit sie bei ihren zukünftigen Projekten nicht nur die Gurtzeuge, sondern auch die Rettergriffe weiter verbessern", schreibt Samuel Buraschi in seinem Report.
Dieses Ansinnen kann man nur unterstützen: Es wäre wünschenswert, wenn möglichst viele Gurtzeugbauer die Ideen aufgreifen und ihre Rettergriffe schon bei der Entwicklung solchen Verhängertests unterziehen. So ließen sich die Designs sicherheitstechnisch verbessern und vielleicht sogar nicht-verhängbare Lösungen finden.
Im Alltag werden bei den meisten Retterwürfen die Container in den freien Luftraum geworfen und die Notschirme öffnen korrekt. Allerdings lässt sich nie ganz ausschließen, dass ein Retterpaket doch irgendwie in den Leinen landet – z.B. nach einer Kollision, bei einem Sturz des Piloten in die Kappe oder bei einem sat-artigen Spiralsturz.
Wenn es gelänge, mit weniger verhängungs-trächtigen Rettungsgriffen das Risiko einer Retterblockade oder eines Retterfraßes nur ein bisschen zu verringern, könnte das Leben retten.
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7 Kommentare
Gibt's denn Retterkonstruktionen, die signifikant weniger oder gar nicht verhängen, wenn man sie in die Leinen wirft? Sonst wäre die Untersuchung witzlos.
AntwortenLöschenSteht doch im Text... (Lesen hilft ;-))
Löschen"Es gab aber auch Beispiele mit deutlich unter 50% in beiden Testvarianten." Zudem führt Samuel ja auch Punkte, an denen man gut ansetzen könnte, um das bauart-bedingte Verhängerrisiko zu verringern. Auch hierzu stehen Beispiele im Text.
Wo viele Retter geworfen werden, ist das Problem bekannt und es gibt schon Lösungen. Beim Acrogurt S3S von FlyTheEarth beispielsweise verbleiben die Stäbchen am Gurtzeug. Aber auch beim Streckengurt Vissta von Flow ziehen sie sich beim Retterwürfe in eine Hülle am Rettergriff zurück.
AntwortenLöschenNunja, beim 3RS von Fly the Earth verbleiben meines Wissens nur die Stäbchen der Auslösung des Cutaway am Gurtzeug. Die anderen beiden Rettungen unterm Sitz haben übliche Rettergriffe mit rechteckiger Grundhalterung. Die könnten auch noch verhängerträchtig sein...
LöschenÜber das System des Flow Vissta XC hatte ich schon auf Lu-Glidz berichtet unter Top im Detail (15): Rettergriff ohne Verhängerrisiko. Es wäre spannend, dieses System mal dem hier beschriebenen Verhängertest zu unterziehen.
Ja, normalerweise werden Retter in den freien Luftraum geworfen, aber da sind dann auch die Leinen des Retters selbst. Das ist meiner Ansicht nach das viel größere Problem (und hat in den letzten Jahren ja auch zu zumindest zu einem tödlichen Unfall geführt). Wenn der Griff in die Fangleinen des Retters einfädelt dann geht der nicht mehr auf. Hauptfaktoren dafür sind, wie im Artikel geschrieben, lange Verbindungsleinen und steife Teile / Nylondrähte am Griff. Beides in Kombination erachte ich als fahrlässig und leider wird genau das von vielen Herstellern so gemacht (häufig aus dem noblen Grund, dass der Griff ergonomisch gut sitzen soll und der Retter selbst hinter dem Protektor).
AntwortenLöschenAuch mein aktuelles Gurtzeug vereint beide Probleme. Bei entsprechenden Rückmeldungen an den Hersteller, wurde ich damit vertröstet, dass man beim nächsten Modell in der Reihe sicher mehr darauf achten wird.
Eine Lösung wären da meiner Ansicht nach die Retteranbringungen wie beim Submarine direkt neben den Hauptkarabinern. Da sollten sehr einfach Möglichkeiten Umsetzbar sein mit ganz kurzen Verbindungsleinen in Kombination mit Nylon am Gurtzeug (nicht am Griff). Weitere Vorteile sind, dass der Griff immer sichtbar ist und auch bei blockieren des jeweiligen Arms noch mit der anderen Hand geworfen werden können. Aerodynamisch macht das natürlich nur Sinn, bei "aufgeblasenen" Gurtzeugen.
soweit mal meine Gedanken dazu ... ich freue mich, dass darüber gesprochen wird. Meiner Ansicht nach super wichtig!
Das Problem ist in allen Fällen die Ignoranz mit welcher geflogen wird. Der Griff und der Container an sich gibt die Rettung erst frei wenn sich die Retterleinen vollständig gestreckt haben. Wenn man in ein "Netz" aus Leinen fällt, kann der Container nicht weg. Ein verheddern ist unausweichlich. Den Griff vom Container ist in den anderen Fällen ein Problem, da er sich beim Werfen mit den Retterleinen verfangen kann. Ich habe dieses Problem einfach gelöst. Zwischen Rettergriff und Container parallel einen Gummiring (aus den gleichen Material wie der Rückholgummi vom Speedsystem) welcher nach dem Werfen den Griff zuverlässig an den Container bindet und somit ein verheddern des Griffes mit den Leine der Rettung verhindert!
AntwortenLöschenEs ist dringend an der Zeit, dass auch Gurtzeuge endlich Klassen bekommen - so wie Schirme auch. Nur so können Piloten die Sicherheit eines Gurtzeugs vollständig beurteilen.
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