Wolkenflug ist kein Vergnügen. Ohne sichtbaren Horizont verliert man die Orientierung im Raum. Selbst erfahrene Piloten wie Armin Harich missdeuten ihre Lage. Ein Interview.

Viel grau, keine Horizont - in der Wolke kann
man schnell jegliche Orientierung verlieren.
// Quelle: A. Harich, Video-Screenhot
Es war am 21. Mai, als Armin Harich sich im nordhessischen Bad Wildungen per Stufenschlepp in die Luft ziehen ließ, um dann einen 128-km-Rundflug bis ins Sauerland und zurück zu absolvieren. Eine so große geschlossene Strecke über deutschen Mittelgebirgen ist schon eine Hausnummer. Doch Armin wird dieser Flug noch aus einem anderen Grund im Gedächtnis bleiben. Beim Rückflug aus dem Sauerland kam er etwas unvorsichtig einer Wolke zu nah und wurde durch eine kräftige Thermik hinein gehoben. Sein unbeabsichtigter Wolkenflug dauerte nur 60 Sekunden. Doch in dieser Zeit erlebte er all das, was das Wolkenfliegen auch abseits von Gewitterwolken gefährlich macht. Armin ist allerdings auch ein großer Analytiker, der stets hinterfragt, was ihm da eigentlich widerfahren ist, und warum. Mit Lu-Glidz sprach er sehr offen über das Erlebte.


Armin, bei einem Streckenflug bis Du jüngst in eine Wolke gezogen worden. Wie kam es dazu?
Armin: Es war - kurz gesagt - Dummheit. Ich war auf dem Rückweg vom Sauerland und hatte gerade zuvor mit zähem Steigen zu kämpfen. Also wollte ich den Vier-Meter-Bart nutzen und nicht zu früh losfliegen. Es waren einfach zwei Kreise zu viel, und ich bin erst an der Basis losgeflogen. Dummheit also. Im Geradeausflug habe ich nur Gas gegeben, anstatt die Ohren gleich einzuholen. Normalerweise passt mein Timing sonst so sehr gut.

In den Kommentaren im XC-DHV schreibst Du, Du hättest in der Wolke Panik verspürt. Was ging Dir durch den Kopf?
Armin: Es ist schon faszinierend, das am eigenen Körper zu erleben. Eigentlich bin ich durch viele Sportarten recht gut trainiert darin, panische Reaktionen zu vermeiden. Ich hatte während des Wolkenfluges meine Kamera nicht abgeschaltet, sodass ich später meinen gefühlten Eindruck gut mit den objektiven Aufnahmen vergleichen konnte.

Und was zeigt dieser Vergleich?
Armin: Wenn man panisch wird, wird die Wahrnehmung getrübt. Gefühlt dachte ich nur, dass der Schirm auf einmal nach hinten weg stallt. Denn die Tragegurte wanderten nach hinten. Da man in der einheitlich grauen Suppe ohne Horizont keinen Bezugspunkt mehr hat, ist das subjektiv richtig. Objektiv habe ich mich nur in meinem Liegegurtzeug aufgerichtet, was eine normale Reaktion ist, um mehr Kontrolle statt gute Aerodynamik zu haben. Die Tragegurte wanderten also nicht nach hinten, sondern ich kam nach vorne.

Wie hast Du dann reagiert?
Armin: Ich habe das dann schon realisiert und zu mir gesagt, dass ich mich nur entspannt nach hinten lehnen muss. Aber das ist leicht gesagt, aber schwer umgesetzt. Ich konnte mich nicht komplett nach hinten lehnen. Ich hätte mich erst entspannen müssen. Aber das ging in dem Moment nicht.

Also hast Du angespannt versucht, wenigstens stur die Richtung zu halten?
Armin: Das war auch interessant... Denn ich habe auf meinen Instrumenten am kleinen Kompass und in der FreeFlight-App gesehen, dass ich nach rechts wegdrehe. Subjektiv war ich mir aber sicher, genau geradeaus zu fliegen. Ich habe mich gefragt, warum der Schirm nach rechts dreht. Ich sitze doch ganz gerade mit meinem Gewicht im Gurtzeug. Die Kamerabilder zeigen aber etwas anderes. Da ist eindeutig zu sehen, wie ich drastisch auf der rechten Seite liege. Als wenn ich mich am Tragegurt festhalten will. Ich war mir allerdings sicher, kein Körpergewicht nach rechts zu legen. Es ist schon faszinierend, wie mit Panik im Kopf und ohne Bezugspunkt im Raum die Wahrnehmung einfach nicht mehr funktioniert.

Wie bist Du aus der Wolke wieder rausgekommen?
Armin: Ohne praktische Probleme. Es hat genau 60 Sekunden gedauert. Und 20 Sekunden davon mit leicht panischer Wahrnehmungsstörung.

Wie hast Du die Panik dann soweit in den Griff bekommen, dass Du überhaupt noch weiterfliegen konntest?
Armin: Erst einmal war ich war innerlich bedient. Ich habe sogar erst 1000 Meter tiefer realisiert, dass ich komplett von der geplanten und sinnvollen Route abgekommen bin und unter den Wolken sogar in die falsche Richtung fliege. Ich habe mich dann resetet, mich erst einmal nur aufs Wiederhochkommen konzentriert und am Ende 180 Grad gedreht. Den restlichen Flug war ich allerdings nicht mehr so frisch und motiviert wie sonst. Das Erlebte steckte mir noch etwas in den Knochen.

Nun bist Du ein extrem erfahrener Flieger. Wie konnte Dir so etwas passieren? Warst Du zu ambitioniert?
Armin: Beim Streckenfliegen hat man natürlich ein Ziel. Steigen auszulassen ist da nicht vorteilhaft. Aber auch wenn man nur zum Spaß fliegt, haben die Wolken natürlich eine große Faszination. Es ist ein Traum vieler Piloten, an der Sonnenseite der Wolke hochsoaren zu können. Wer damit spielt, muss damit rechnen, dass ihm früher oder später auch einmal ein unfreiwilliger Flug in die Wolke passiert. 

Welche Lehre ziehst Du für Dich aus diesem Erlebnis?
Armin: Ich werde mal Ohrenanlegen mit Vollgas in turbulenter Luft trainieren, um das Einsaugen besser verhindern zu können. Und ich fliege lieber ein bis zwei Kreise früher los. Aber ich will auch trainieren, in solchen Situationen entspannter zu bleiben. Da ich dank des Videos nun genauer weiß, was an meiner Wahrnehmung eingeschränkt war, habe ich Anhaltspunkte dafür, woran ich arbeiten muss, um panische Reaktionen eher vermeiden zu können.

Und was hast Du als Tipp für andere Piloten?
Armin: Ich denke, dass man auch als Hobbyflieger vorsichtig sein sollte an den Wolken. Wenn es einen doch einsaugt, ist ein Kompass und das GPS sehr wichtig. Man muss dann tatsächlich diesen Instrumenten mehr folgen als seinem Gefühl. Man muss entspannt bleiben und die angezeigte Richtung zum Ausgang beibehalten.

Kann man denn der Technik immer vertrauen?
Armin: Leider nein. In Namibia beispielsweise hatten wir durch die dort sehr eisenhaltige, rote Erde Schwankungen im Magnetfeld. Der Kompass zeigte dann teilweise 180 Grad in die falsche Richtung. Auch das GPS kann in der Wolke Empfangsprobleme haben und ist mir selbst schon ausgefallen. Die hohe Feuchtigkeit und Wassertröpfchen dämpfen die Signale. Also ist es besser, einfach immer außerhalb der Wolken zu bleiben. Das Fliegen ist zu schön, um es sich durch einen Unfall oder panische Erlebnisse und dann festsitzender Angst zu versauen.

Beim Streckenfliegen gibt es natürlich auch die Angst, abzusaufen. Auch deshalb fliegen viele Piloten sehr nah an die Wolken heran. Ist das nötig, um weit zu kommen?
Armin: In der Praxis beim Streckenfliegen ist es wichtig, zielgenau die nächste Wolken in der gewünschten Flugrichtung anzufliegen. Meiner Erfahrung nach ist es dafür meistens besser, noch etwas Abstand zur Wolke zu halten. Denn so behält man mehr Überblick, wo die nächsten Wolken stehen, wie man seine Flugroute legen sollte, wie die Wolken zum Untergrund passen undsoweiter. Abgesehen von Schlüsselstellen ist es sogar meistens schneller, wenn man etwas Abstand nach oben lässt. Aus Sicherheitsgründen erst recht. Aus rechtlicher Sicht sowieso.

Vielen Dank für das Gespräch, Armin.