In diesem trockenen Sommer sind Thermiken besonders kräftig. Entsprechend ausgeprägt sind die zugehörigen Turbulenzen. Besonders tückisch ist das in Bodennähe.

Der Temp eines Ballonsondenaufstiegs in Lindenberg am 5.8.18 mittags.
Bodennah knickt die Temperaturkurve stark nach rechts ab. Dort
herrscht eine überadiabatische Schichtung mit einem
Gradienten deutlich über 1°C/100 m.
Der DHV sah sich schon genötigt, eine Warnung auszusprechen: "Starkböen-Ereignisse im Flachland – die Kehrseite des Rekordsommers", ist ein längerer und lesenswerter Beitrag auf der Webseite des Verbandes betitelt, in dem es um die Gefahren turbulenter Thermiken in Bodennähe geht.

Hintergrund sind zwei tödliche Flugunfälle, die sich im besonders trockenen Nordosten Deutschlands ereigneten. In beiden Fällen waren heftige, thermische Böen in Bodennähe die Ursache. Der DHV rät deshalb Flugschülern, wenig erfahrenen Piloten und Tandemfliegern davon ab, zur thermikträchtigsten Zeit und davor, wenn sich die ersten kräftigen Blasen ihre Bahn brechen, in die Luft zu gehen. Zudem wird empfohlen, vor einem Flugtag eine Gradientanalyse zu machen, um morgens abzuschätzen wie stark thermisch ein Tag wohl werden wird.

Mit dieser zweiten Empfehlung wird der DHV den Zusammenhängen rund um bodennahe Turbulenzen allerdings nicht wirklich gerecht. Und das will ich im folgenden erklären.

Mit Gradientanalyse ist der Blick auf die Temperaturschichtung der Atmosphäre gemeint, wie man sie aus sogenannten Temps oder Emagrammen ablesen kann. Hier wird geschaut, wie sich die Temperatur im Thermikraum mit der Höhe verändert. Herrschen beispielsweise auf 500 Meter 25°C und auf 1500m nur noch 15°C, so beträgt der thermische Gradient -1°/100m. In diesem Höhenband werden Thermiken nahezu ungehindert aufsteigen können. Typischerweise kann man sogar schon ab einem Gradienten von -0,7°C/100m gut nutzbare und im Kern auch recht kräftige Thermiken erwarten!

Einen thermischen Gradienten von mehr als 1°C/100m wird man in der freien Atmosphäre aber so gut wie nicht vorfinden. Denn dann wären die Verhältnisse so labil, dass die Luft selbst ohne thermischen Antrieb vom Boden anfinge, sich konvektiv durch von Temperaturunterschieden getriebenen Strömungen nach oben und unten zu durchmischen. Sogenannte Überadiabaten (das ist eine Luftschichtung mit einem Gradienten von >1°C) werden durch solche Prozesse automatisch egalisiert.

In Bodennähe ist das allerdings anders! Über der "Heizplatte" des Bodens können die aufliegenden Luftschichten durchaus so schnell und so stark erhitzt werden, dass die bodennahen Luftschichten einen Gradienten von deutlich über 1°C aufweisen. Das ist grundsätzlich nicht schlecht und sogar notwendig, damit sich überhaupt Thermiken vom Boden lösen können. Denn die Luft hat die Eigenschaft, wie Honig etwas zäh am Untergrund zu kleben. Nur dank der Überadiabate wird eine Thermikblase es schaffen, von dort loszubrechen. (Hinweis: Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, aber die spielen für dieses Erklärstück keine Rolle).


Trockenheit verstärkt Turbulenz

Die große Besonderheit dieses Sommers, gerade im deutschen Flachland, ist die enorme Trockenheit. Alle Böden sind in den Oberschichten staubtrocken. Das gilt selbst für viele Wälder, die normalerweise im Schatten der Bäume noch eine gewisse Feuchtigkeit bewahren. Jeder Sonnenstrahl, der auf so einen Boden fällt, entfaltet deshalb direkt eine starke Heizwirkung.

In "normalen" Sommern wirkt das Wasser im Boden als Moderator und Puffer. Denn ein Teil der Sonnenenergie wird erst einmal das Wasser aufheizen und nicht die Luft. Das Wasser ist hier ein latenter Wärmespeicher. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Die Luft wird weniger stark und verzögert aufgeheizt.

Dieser Puffer ist im Sommer 2018 vielerorts nicht mehr präsent. Die Sonne erwärmt den Boden, und dieser wiederum "nur" die Luft, da oberflächlich gar kein Wasser mehr im Boden steckt. Und diese direkte Heizwirkung findet über die gesamte Landschaft hinweg statt.

In "normalen" Jahren ist das anders. Da bildet die Landschaft immer ein Patchwork von Flächen, die eine stark unterschiedliche Heizwirkung aufweisen. Da liegt ein trockenes Feld neben einem feuchteren kühleren Wald etc. Wenn über einem trockenen Feld eine Thermikblase aufsteigt, wird dabei aus dem benachbarten Wald kühlere Luft nachfließen, die dann erst wieder neu aufgeheizt werden muss. Deshalb können sich großräumig keine wirklich starken Überadiabaten in der Fläche ausbilden. Die Landschaft "moderiert" sich selbst.

Im Sommer 2018 herrschen andere Verhältnisse. Da liegt neben dem superheißen Feld ein auch selbst gut heizender Wald. Die bodennahe Luft ist deshalb nicht nur punktuell, sondern fast in der gesamten Fläche überhitzt und überadiabatisch. Das heißt aber auch: Aus allen möglichen Ecken könnten jederzeit überhitzte Thermikblasen losbrechen.


Überadiabatische Turbulenzküche

In diese "Turbulenzküche" kommt noch eine weitere Zutat. Wenn Thermikblasen aufsteigen, gibt es immer auch Abwinde als Ausgleichsbewegung. Absteigende Luftmassen erwärmen sich allerdings trockenadiabatisch mit 1°C/100m. Stellt man sich nun einmal eine größere Abwindzone vor, wird sich dort in der Luftsäule automatisch ein Temperaturgradient von 1°C einstellen. Eine überhitzte Thermikblase, die vom Boden aus in diese Luftsäule aufsteigt, würde darin entsprechend knallig nach oben schnellen.

In "normalen" Jahren kommt das selten vor. Wenn dort Luftmassen typischerweise über trockenen Feldern aufsteigen und über feucht-kühlen Wäldern absinken, reicht das bisschen Wärme am Waldboden nicht aus, um diese Absinkbewegung zu durchbrechen. Aus typischen Sinkzonen steigt dann keine Thermik auf.

Nicht so in 2018: Jetzt ist überall eine gute Heizfläche. Und selbst wenn das Aufsteigen von Thermikblasen durch absinkende Luftmassen temporär erst einmal unterdrückt wird, kann sich die bodennahe Luft lokal unter diesem Deckel nur umso kräftiger aufheizen, bevor sie dann doch entsprechend losschießt, sobald sie die Gelegenheit dazu bekommt.

Im Grunde herrscht vielerorts sogar ein System, das sich eine Weile regelrecht aufschaukeln kann. An einer Stelle steigt die Thermik hoch und sorgt daneben für Abwinde, die ihrerseits dort Warmluftpakete erst einmal zu Boden drücken. Diese Luftmassen bekommen dann eine verlängerte Aufheizzeit, bevor sie mit noch größerem Temperaturvorsprung lospreschen, um nun ihrerseits nebenan für kräftige Abwinde zu sorgen, die dort die Warmluftpakete zu Boden drücken usw.

Dass ein solches Hin und Her natürlich für besonders kräftige und kaum abschätzbare Turbulenzen mit umlaufenden Winden aus allen möglichen Richtungen sorgt, ist nicht verwunderlich.

Um solche Bedingungen zu erfassen, hilft eine klassische Gradientanalyse allerdings nicht weiter. Die Temps, die man im Internet finden kann, ob real als Ballonsonde gemessen (s.o.) oder per Meteomodell prognostiziert, schaffen es zwar, die Verhältnisse in den höheren Luftschichten (mit einem gewissen Bodenabstand) halbwegs treffend abzubilden. Aber zu der Stärke der Überadiabaten in Bodennähe und der Homogenität der Heizwirkung der Landschaft liefern sie keine wirklich verwertbaren Informationen.

Anders und einfach gesagt: Bei voller Sonneneinstrahlung auf schnurztrockene Böden ist es den Thermikblasen erst einmal egal, ob in größerer Höhe ein Gradient von 0,5 oder 1°C herrscht. Unten herum kann es immer knallig werden! Und wer hier sein Risiko minimieren will, sollte einfach die Tageszeit der stärksten Heizwirkung der Sonne (wenn sie am Zenith steht) nicht in der Luft verbringen.

Ansonsten gilt es, dem gesunden Bauchgefühl zu folgen. Wenn an einem Standort stark schwankende Winde aus erratisch umherspringenden Richtungen herrschen, wie man sie sonst dort nicht gewohnt ist, dann ist es nicht feige, sondern klug, erst einmal seinen Schirm im Sack zu lassen und die Bedingungen vom Boden aus zu beobachten.


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