Fluggebiets-Tipp: Der isolierte Gebirgszug des Matese im südlichen Appennin lockt die Gleitschirmflieger mit wilden Landschaften und bietet zudem hohe kullinarische Genüsse.

Start nach einer schönen Wanderung bei Campochiaro.
// Foto: Lu-Glidz
Es ist einer dieser Morgen, an denen man die ganze Welt umarmen könnte. Die Sonne lacht vom blauen Himmel, die Luft ist zart wie Seide, und die vom Tau benetzten Feigen am Baum sind noch kühl von der Nacht. Wer hinein beißt, dem läuft ein ganzer Sturzbach an Wasser im Mund zusammen. Die Tagesbesprechung, noch vor dem Frühstück, ist kurz. Heute wandern wir direkt von unserer Unterkunft zum Startplatz Calvisi. Es geht knapp 800 Höhenmeter die Westflanke des Gebirgszuges des Matese hinauf. Der starke Nordostwind hat deutlich abgeflaut.

An den vergangenen Tagen waren unsere Hike-and-Fly-Pläne nicht so aufgegangen. Eigentlich wollten wir unser Mietauto weitgehend stehen zu lassen. Doch dann mussten wir viele Kilo- und Höhenmeter darin zurücklegen, um an passende Startplätze zu gelangen. Eine etwas ungewöhnliche Wetterlage für den September hatte Süditalien einen steten, kühlen Ostwind beschert. Thermisch sehr attraktiv, aber mit Fahrerei verbunden. Denn um von unserer Unterkunft bei San Potito Sannitico zu Startplätzen wie Tre Finestre oder Campochiaro zu gelangen (siehe unten), muss man einmal das gesamte Matese-Massiv kreuzen. Und das bedeutet: Aufkurven von 300 auf 1500 Meter und wieder hinab.

Der Lago del Matese liegt auf einer Hochebene inmitten des
Naturparks. An der rechten Bergflanke gibt es Startplätze.
// Foto: Lu-Glidz
Die Fahrt allerdings führt eindrucksvoll vor Augen, was Matese so besonders macht: Die bis zu 2000 Meter Berggruppe liegt wie eine wilde Insel inmitten eines welligen Hügellandes, rund 50 km nordnordöstlich von Neapel.

Im Kern, der als Naturpark geschützt ist, gibt es eine Hochebene mit einem See. Fliegerisch ergibt das ein extrem abwechslungsreiches Terrain. Thermisch-unterstütztes Soaring an den Bergflanken ist genauso möglich wie entspannende Ausflüge ins Flachland, aber auch felsige Hochgebirgsfliegerei jenseits der Baumgrenze.

Die Siedlungen des Matese liegen fast alle ringsum am Fuß der Berge. Dahinter beginnt wildes Land. Die von steilen Schluchten zerschnittenen Flanken sind von dichten Buchen- und Eichen-, höher auch Nadelwäldern bestanden. Bären und Wölfe leben dort. Wer hindurch streift, hat häufig einen Hund dabei. Das hat aber noch andere Gründe: Matese ist Trüffelland. Die besten schwarzen und weißen Trüffel der Welt finde man dort, sagen die Einheimischen. Abgerichtete Hunde, nicht Schweine, helfen bei der Suche nach den kugeligen Bodenpilzen. Trüffelaroma prägt viele der lokalen Gerichte.

Die Startplätze rund um Matese sind gut in Schuss. Und das, obwohl die aktive Flieger-Community gerade mal rund zwei Dutzend Piloten umfasst, wie Lokal-Matador Leone Antonio Pascale erzählt. Der zweimalige X-Alps-Teilnehmer kennt das Matese-Massiv wie seine Westentasche und weiß die besonderen lokalen Wetterverhältnisse und Winde bestens einzuschätzen. Wer hier sicher fliegen will, tut gut daran, den Kontakt mit Leone aufzunehmen. Hilfreich ist auch das RASP-Thermikmodell, das der lokale Club Parapendio Le Streghe für die Region unterhält.

Der blockierende Inselcharakter des hoch aufragenden Matese bewirkt, dass bei vielen Wetterlagen mit nicht zu starken überregionalen Ost- oder Westwinden sowohl auf der jeweiligen Luv- wie auf der Leeseite (zumindest an den tiefer gelegenen Startplätzen) geflogen werden kann. Das Matese-Massiv erzeugt sein eigenes kleines Hitzetief, das die Winde von allen Seiten her anströmen lässt.

Streckenflug-Ausflug in die Ebene mit Blick zurück auf Piedimonte
und den imposanten Höhenzug des Matese. // Foto: Lu-Glidz
Streckenflieger kommen im Matese voll auf ihre Kosten. Zwar ist das Gelände nicht für Rekordflüge geeignet. Doch wenn es ein abwechslungsreicher Ziel-Rück oder ein flaches Dreieck im Bereich bis 100 Kilometer sein soll, dann ist die Region ein ungeschliffener Diamant. Über den dicht-bewaldeten Flanken darf man sich wie ein Luftpionier fühlen, wohlwissend, dass eine gute Landewiese im Gleitwinkelbereich im vorgelagerten Flachland immer zu finden sein wird.

Für größere Strecken hat Leone Pascale noch einen besonderen Tipp parat: Der Startplatz San Michele, am nächsten Berg zehn Kilometer südlich des Matese gelegen, hat nicht nur wegen des sicheren Thermikeinstiegs einen guten Ruf. Wer dort mindestens 500 Meter aufdreht, kommt in der Regel sicher über den flachen Einschnitt bis San Salvatore Telesino und kann nun die klassische Umrundung des Matese in Angriff nehmen. Von Flachland- bis Hochgebirgscharakter bekommt man dabei in einem Flug alles geboten. Abwechslungsreicher geht es kaum.

Matese ist auch für Hike-and-Fly-Enthusiasten interessant. Alle Startplätze sind vom jeweils zugehörigen Landeplatz in ein bis zwei Stunden zu Fuß zu erreichen. Der Aufstieg erfolgt in der Regel durch schattige Wälder.

Der etwas holprige Startplatz Calvisi. // Foto: Lu-Glidz
Das gilt auch für unsere Wanderung zum Startplatz Calvisi. Wegen seiner Westausrichtung braucht man hier nicht zu früh aufbrechen. Es dauert bis Mittag, bis sich gute Thermik entwickelt. Im Laufe des Nachmittags wird sie umso konstanter und breitflächiger. Der grasbewachsene Startplatz ist von kleineren und größeren Kalksteinen übersäht. Eine längere Startlaufstrecke will sauber zwischen diese Hindernisse gelegt sein. Bei anstehendem Wind ist der Holperhang aber kein Problem. Einmal in der Luft, stehen 30 Kilometer Westflanke zum Abfliegen zur Verfügung. Und zum Abend hin kann man entspannt der untergehenden Sonne im Westen entgegen fliegen. Das vorgelagerte Flachland pumpt lange seine gespeicherte Hitze nach und liefert ein sanft-tragendes Warmluftpolster. Am Ende folgt nur noch das glückliche Ausgleiten bis auf die Wiese direkt hinter der Unterkunft. Die Vorfreude auf die Trüffelpasta steigt.


Die Startplätze des Matese
Die Lage und Ausrichtung der Startplätze am Matese. Die Nummerierung entspricht der unten im Text.
Bild anklicken zum vergrößern. Zoombare Karte auf Opentopomap. // Quelle: Opentopomap, bearbeitet
(1) Calvisi (S-SW):
Einer der meistgenutzten Startplätze an der Westflanke des Matese. Über eine Teerstraße gut vom Talort Calvisi aus anzufahren. Vom Parkplatz geht man noch zehn Minuten über einen Fußpfad. Die Startwiese bietet viel Platz, ist aber von Kalksteinbrocken übersäht, erfordert also einen trittsicheren Startlauf. Ab Mittag bis in den späten Nachmittag hinein thermisch aktiv. Gute Soaringmöglichkeiten. Das vorgelagerte Flachland trägt sehr gut. Offizieller Landeplatz ist eine große Wiese neben der Zufahrtstraße zum Ort Calvisi. Viele alternative Landemöglichkeiten vorhanden.
SP: 41.332 ° N, 14.454 ° E. 1020 m MSL.
LP: 41.321 ° N, 14.417 ° E. 280 m MSL.
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=3796

(2) San Potito Sannitico (S-SW):
Eine Alternative zum Startplatz Calvisi, nur 2,5 km Luftlinie entfernt an der gleichen Kante, aber etwas höher gelegen. Von der Zufahrtstraße aus etwa 15 Minuten Fußmarsch entfernt. Der Startplatz ist weniger stark von Steinen durchsetzt und damit für weniger erfahrene Piloten etwas angenehmer. Gleiche Flugmöglichkeiten und gleicher Landeplatz wie Calvisi.
SP: 41.347 ° N, 14.434 ° E. 1200 m MSL.
LP: 41.321 ° N, 14.417 ° E. 280 m MSL.
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=5387

(3) Gallinola (S):
Landschaftlich der vielleicht schönste Startplatz – mit Blick auf die Hochebene des schilfumstandenen Lago del Matese. Anfahrt über die Bergstraße SP 106. In einer Kurve am Piano della Corte parken und von dort noch zehn Minuten zu Fuß. Ermöglicht den einfachsten Einstieg zur Hochgebirgsfliegerei im Matese. Landung auf der Hochebene am See oder nach Streckenflug im vorgelagerten Flachland. Eine schöne, nicht allzu anstrengende Hike-and-Fly-Tour führt vom Agriturismo Falode (in der Nähe des Landeplatzes) zum Rifugio Concone delle Rose und von dort über eine Bergflanke zum Startplatz, circa 1,5 Stunden Gehzeit.
SP: 41.425 ° N, 14.432 ° E. 1620 m MSL
LP: 41.409 ° N, 14.437 ° E. 1010 m MSL
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=3793

(4) Tre Finestre (NW-N):
Auf einem Sattel gelegener Nordstartplatz mit Blick auf die Nordostflanke des Matese. Auch unter dem Namen Campitello bekannt. Lange Anfahrt über Bergstraße SP 106, dann noch 100 Meter Aufstieg zu Fuß. Gute Soaringmöglichkeiten, aber auch Einstieg für Streckenflüge direkt über die kahlen Hauptgipfel (Monte Mileto, 2031m) des Matese. Viele Landemöglichkeiten im vorgelagerten Flachland. Offizieller Landeplatz direkt neben der Zufahrtstraße.
SP: 41.455 ° N, 14.424 ° E. 1690 m MSL
LP: 41.507 ° N, 14.431 ° E. 520 m MSL
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=5388

(5) Campochiaro (NO):
Dieser Startplatz ist nicht nur ein guter Ausweichort, wenn der Höhenwind in Tre Finestre zu stark weht. Die hinter dem Start weiter ansteigende Bergflanke bildet auch eine perfekte Soaringkante. Der Startplatz kann vom Talort Campocchiaro bequem über eine Teerstraße erreicht werden. Aufstieg auch zu Fuß ist in rund einer Stunde möglich. Zur Landung stehen riesige Flächen entlang der Zufahrtstraße nach Campocchiaro zur Verfügung. Schulungstauglich.
SP: 41.437 ° N, 14.498 ° E. 1070 m MSL
LP: 41.462 ° N, 14.528 ° E. 550 m MSL
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=3792

Am Landeplatz von Bocca della Selva. // Foto: Lu-Glidz
(6) Bocca della Selva (SW-S-SO):
Der größte und angenehmste Startplatz der Region wird auch gerne für Gleitschirmwettbewerbe genutzt. Oberhalb des Talkessels von Cusano Mutri gelegen, kann hier, wenn der überregionale Wind nicht zu stark weht, fast immer in ein kräftiges Aufwindband hinein gestartet werden. Hinter dem Start steigt das Gelände weiter an und bietet so Anschluss an den Monte Mutria und den weiteren hohen Kamm des Matese. Der Landeplatz ist als leicht abschüssige Wiese etwas speziell und sollte unbedingt vor dem ersten Flug besichtigt werden. Der Startplatz eignet sich aber gut zum Toplanden.
SP: 41.369 ° N, 14.522 ° E. 1185 m MSL
LP: 41.342 ° N, 14.523 ° E. 413 m MSL
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=3794

(7) San Michele (SW): (nicht auf der Karte zu sehen)
Dieser Startplatz gehört nicht zum eigentlichen Massiv des Matese sondern ist an einem Berg südlich davon platziert. Doch er wird gerne als Ausgangspunkt für größere Dreiecksflüge rund um das Matese genommen. Nach dem ersten Aufdrehen fliegen die Piloten häufig noch etwas nach Süden, um dort einen Wendepunkt zu setzen, bevor sie über die Ebene zehn Kilometer nach Norden Richtung San Salvatore Telesino queren. Die felsigen Flanken von San Michele liefern oft ruppige Thermik, die ruhigeren Bärte stehen weiter draußen.
SP: 41.166 ° N, 14.54 ° E. 980 m MSL.
LP: 41.15 ° N, 14.516 ° E. 215 m MSL.
Weitere Karten und Infos: www.paraglidingstart.info/#dhv_id=3797


Infos zur Flugregion Matese

Das Gebirgsmassiv des Matese gehört zum Apennin in Italien. Allerdings steht es rund 50 Kilometer nordnordöstlich von Neapel etwas isoliert in der Landschaft. An den Bergflanken findet man Startplätze für fast alle Himmelsrichtungen

Anreise: typischerweise mit dem Flugzeug nach Neapel oder Rom. Von dort weiter mit einem Mietauto. Mit Fahrtzeiten von rund 1,5 Stunden ab Neapel oder drei Stunden ab Rom sollte man rechnen.

Unterkunft: Es gibt verschiedene Hotels, zum Beispiel in Piedimonte Matese. Eine gute Wahl sind Landgasthäuser, sogenannte Agriturismo, die Zimmer mit Halb- oder Vollpension anbieten. Hier bekommt man typischerweise auch sehr gute lokale Küche geboten. Infos zu den Agriturismo rund um Matese findet man auf www.parks.it/parco.matese (unter: Accomodation / Where to Sleep). Empfehlenswert, gerade auch vom kulinarischen Angebot her, ist das Landgasthaus „Bacco e Bivacco“ bei San Potito Sannitico. Dort sind häufiger auch Gleitschirmfliegergruppen zu Gast: www.baccoebivacco.it

Lokale Clubs und Fliegerinfos: www.parapendiomatese.it , www.parapendiolestreghe.it . Ansprechpartner: Fabio Anzovino oder Leone Pascale, s. Kontaktdaten.

Beste Reisezeit: Im Matese wird das ganze Jahr über geflogen. Für Streckenflieger gelten aber März/April, der Sommer und der frühe Herbst als besonders gut geeignet. Eine sehr gute Phase für fliegerische wie lukullische Genüsse ist der September. Im Januar und Februar können die höheren Lagen des Matese tief verschneit sein. Es gibt sogar eine Skistation (Campitello).

Wetterinfos: Neben den üblichen Quellen wie beispielsweise www.windy.com oder www.meteoblue.com lohnt es sich, die mit einem 2-Kilometer-Raster sehr feinen Thermik-Prognosen (RASP-Modell) von Parapendio Le Streghe zu konsultieren. Dort sind auch aktuelle Meteogramme zu verschiedenen Startplätzen zu finden: www.parapendiolestreghe.it/?page_id=1515