Wenn es darum geht, auch sehr schwache Thermiken mit dem Gleitschirm erfolgreich auszudrehen, sollte man ein paar Grundregeln beherzigen. 

Beim Thermikfliegen in sehr schwachen Bärten ist die oberste Prämisse:
So ruhig wie möglich seine Kreise ziehen, ohne hektische
Steuerbewegungen. // Quelle: Lu-Glidz
Stark kann jeder! Soll heißen: In kräftigen Bärten kommt jeder irgendwie nach oben. Das Steigen ist dann gut genug, um selbst dann, wenn man den Bart nicht perfekt zentriert, unterm Strich einen Höhengewinn zu erzielen. Wer gut zentrieren kann, wird zwar auch hier schneller steigen. Aber wie gesagt: Hoch kommen in solchen Thermiken in der Regel alle.

Die hohe Kunst des Thermikfliegens zeigt sich in den ganz schwachen Bärten. Hier ist nicht nur das Feingefühl des Piloten gefragt, um das Steigen überhaupt erkennen und verorten zu können. Feingefühl muss man auch bei seinen Steuerbewegungen an den Tag legen. Denn es gilt die Regel: Wer schaukelt oder pendelt, der verliert.

Häufig erleben Piloten, dass im schwachen Steigen andere Schirme irgendwie besser nach oben kommen oder die Höhe halten. Man fliegt drei Kreise gemeinsam, doch am Ende ist der andere eine Leinenlänge höher und steigt einem auch weiter davon. In der Regel schreibt man den Unterschied den Schirmen zu. Der andere hat ein besseres Profil, die geringere Flächenbelastung etc. Natürlich spielen solche Faktoren eine wichtige Rolle! Doch auch bei vergleichbaren technischen Daten der Geräte zeigen sich in der Praxis immer wieder deutliche Unterschiede im Steigen. Wer das für sich des öfteren erlebt und dabei immer wieder andere davonsteigen sieht, sollte an seiner Flug- und vor allem der Kurbeltechnik arbeiten.

Die Kunst des Nullschieber-Auskurbelns beruht im Grunde auf drei Regeln, die man beherzigen sollte, und zwar in dieser Reihenfolge der Prioritäten:

(1) so gleichmäßig wie möglich
(2) so flach wie möglich
(3) so eng wie nötig kurbeln.

Hierbei bedeuten die Formulierungen „möglich“ und „nötig“, dass unterm Strich das durchschnittliche, über jeweils einen Kreis integriert gerechnete Steigen den höchsten Wert erzielt – und seien das gerade mal 0,1 m/s. Beim Thermikfliegen gilt am Ende immer noch die Erkenntnis: Wer besser steigt, hat Recht.

Im Folgenden werde ich diese drei genannten Regeln getrennt erläutern. Dabei kann es vorkommen, dass sich manche Aussagen sogar etwas widersprechen. Das ist dann kein Fehler im System, sondern bedeutet, dass es manchmal verschiedene Lösungen geben kann, beziehungsweise dass Kombinationen verschiedener Techniken zum Ziel führen. Je nach äußeren Bedingungen, dem eigenen Schirmtyp, der Flächenbelastung etc. kann mal die eine, mal die andere Variante die momentan bessere sein. Es empfiehlt sich, als Pilot die verschiedenen Steuertechniken mit seinem eigenen Schirm auszuprobieren, um herauszufinden, welche damit letzten Endes wann am besten funktionieren.

Und nicht vergessen: Diese Tipps beziehen sich explizit auf das Kurbeln in sehr schwachen Bärten, die in der Regel kaum turbulent sind. In kräftigeren Thermiken gelten etwas andere Gesetze.


1. So gleichmäßig wie möglich

Ganz ruhig und konstant seine Kreise zu ziehen, ist die wichtigste Steuerregel für schwache Bärte. Es gilt, schnelle Bremsausschläge oder ruckartige Gewichtsverlagerung zu vermeiden. Denn diese führen stets dazu, dass die Strömungsverhältnisse am Flügel zumindest kurzzeitig gestört werden. Es kommt zu Druckschwankungen und unvorteilhaften Ausgleichsströmungen am Profil. All das raubt uns einen Bruchteil des so bitter benötigten Auftriebs. Das kann letzten Endes darüber entscheiden, ob man sich in einem Nullschieber halten kann oder ganz langsam, aber trotzdem sicher „aus der Blase fällt“.

Grafik 1: Wenn man die Innenbremse zu schnell zieht, pendelt der Pilot zu Seite und hebt dadurch  seinen Schwerpunkt an, während sich der Schwerpunkt der Schirmkappe kaum verändert. Das Vario auf Höhe des Piloten wird diesen scheinbaren Höhengewinn dennoch mit einem Piepsen anzeigen. Der Pilot bekommt somit verfälschte Signale und könnte sich dazu verleiten lassen, an der unpassenden Stelle noch stärker einzudrehen. Das dadurch erhöhte Kurvensinken führt in sehr schwachen Bärten in der Regel sogar zu Höhenverlust. // Grafiken: Lu-Glidz

Sehr gleichmäßiges Kurbeln ist auch wichtig, um ein schwaches Steigen überhaupt sauber zentrieren zu können. Sobald man zum Beispiel die Innenbremse etwas schneller zieht, führt dies stets zu einem seitlichen Aufschaukeln bzw. Pendeln des Piloten. Diese Auslenkbewegung geht automatisch mit einer kleinen Höhenänderung des Piloten als Pendelmasse einher (s. Grafik 1). Ein sensibles Vario wird das mit einem entsprechenden Piepton quittieren. Das kann den Piloten veranlassen, darin einen Hinweis auf etwas stärkeres Steigen zu sehen, um erst Recht noch enger einzudrehen. Doch eine schnelle Reaktion ist in diesem Fall völlig kontraproduktiv. Denn es handelt sich de facto nur um ein erpendeltes, kurzzeitiges Pseudo-Steigen, das aber für das Gesamtsystem (Pilot und Schirm) keinen Höhengewinn bringt. Das Piepsen des Varios ist dann vor allem vom Piloten induziert, d.h. dieser trickst sich selber aus. Durch die Pendelei wird zudem auch noch Auftrieb vernichtet. Unterm Strich führt jedwede Hektik im schwachen Steigen zu einem Leistungsverlust.

Wie kann man nun möglichst pendelfrei gleichmäßig kreisen? Am besten gelingt das mit eher mehr Gewichtsverlagerung und eher weniger Bremseinsatz. Alle Schirme lassen sich so auf eine konstante Kreisbahn bringen. Hat man einmal die gewünschte Schräglage und Kurvenradius eingenommen, gilt es als Pilot nur noch so wenig störende Bewegungen wie möglich auf den Schirm zu übertragen. Dafür werden die Körperstellung der Gewichtsverlagerung sowie die Bremsposition konstant gehalten. Feine Steuerbewegungen finden, wenn nötig, über die Außenbremse statt! Denn Bremsausschläge auf der Außenbremse führen weitaus weniger zu störenden Pendelbewegungen.

Grafik 2: In schwachen Thermiken verlagert man seine Kreise
am besten durch ein seitliches Driften. Dafür wird jeweils
für etwa einen Viertelkreis lang die Außenbremse stärker 
gezogen und dann wieder freigegeben. Zugleich behält man die
Gewichtsverlagerung und die Stellung der Innenbremse
unverändert bei. Die in der Grafik markierten Punkte 1 und 2 
zeigen jeweils, wann man auf der Kreisbahn die Außenbremse
setzen bzw. lösen sollte, um sanft und ohne größere
Pendelbewegungen  in die veränderte Kreislage zu driften.
Auch für das Nachzentrieren von schwachen Bärten empfiehlt sich eine besondere Technik: das Driften. Dabei behält man die Gewichtsverlagerung und die Innenbremse so konstant wie möglich bei (s. Grafik 2).

Um ihre Kreise in eine Richtung zu verlagern, geben viele Piloten die Innenbremse frei, reduzieren die Gewichtsverlagerung, fliegen kurz etwas geradeaus, um an passender Stelle wieder die Kurve einzuleiten. Das bringt aber störende Unruhe ins System.

Beim Driften sollte der Pilot maßgeblich mit der Außenbremse arbeiten. Der Trick geht folgendermaßen: Die Außenbremse wird soweit gezogen, dass der Flügel trotz konstanter Gewichtsverlagerung und weiterhin gezogener Innenbremse aus der steten Kreisbahn etwas herausdriftet. Um die Kurve an passender Stelle wieder enger zu ziehen, braucht man nur die Außenbremse langsam freizugeben.


2. So flach wie möglich

Die zweite Regel für das Kurbeln in schwachen Bärten besagt, den Schirm mit möglichst wenig Schräglage über sich zu halten. Dadurch kommt der besonders starke Auftrieb des Profils in der Schirmmitte am besten zum Tragen. Das gilt allerdings nur, solange man auf der zwangsläufig etwas größeren Kreisbahn auch tatsächlich im Steigen bleibt. Gibt der Bart ein weites Kreisen nicht her, sollte die Kurve natürlich enger gezogen werden (siehe unten, Regel Nummer 3).

Flaches Kreisen erreicht man typischerweise, indem man zum einen mit relativ wenig Gewichtsverlagerung arbeitet, zum anderen aber auch die Innenbremse nur wenig zieht. Um dennoch einen halbwegs engen Kreisradius fliegen zu können, muss man bei vielen Schirmen in die Steuer-Trickkiste greifen. Bewährt haben sich drei Techniken (wobei je nach Schirmmodell mal die eine, mal die andere Variante besser funktioniert): Brake-Shifting, C-Leinen-Steuerung und inverse Gewichtsverlagerung.

Beim sogenannten Brake-Shifting zieht man die Innenbremse nicht parallel zum Tragegurt nach unten, sondern verschiebt (shiftet) die Hand auf Höhe der Bremsführung hinter dem Tragegurt seitlich nach innen. Auf diese Weise verändert sich die Bremsgeometrie: Der Bremszug wirkt jetzt über die Bremsspinne stärker am Außen- als am Innenflügel. Das verstärkt die Gierbewegung des Schirmes und ergibt engere Kreise.

Bei der C-Leinen-Steuerung setzt man im Grunde auf den gleichen Effekt. Doch anstatt die Innenbremse zu ziehen, greift man einfach mit einem Finger nur die äußerste C-Leine und zieht diese leicht nach unten. Typischerweise reichen schon ein bis zwei Zentimeter, um das Profil am Außenflügel soweit zu verwinden, dass der Schirm flach in die gewünschte Richtung giert. Bei manchen Schirmen funktioniert diese Steuervariante auch gut mit der Stabilo- anstelle der äußeren C-Leine. Ausprobieren!

Zuguterletzt gibt es noch die inverse Gewichtsverlagerung: Sie bedeutet, dass man sein Gewicht in der Kurve nicht nach innen, sondern sehr deutlich nach außen legt, während man zum Ausgleich die Innenbremse etwas stärker zieht. Durch die stärkere Belastung des Außenflügels fliegt dieser etwas schneller, zugleich sorgt die Innenbremse (am besten noch mit Brake-Shifting) für ein zusätzliches Gier-Moment. Auf diese Weise können manche Schirmen sogar erstaunlich enge Kreise fliegen.

Aber Achtung: Nicht alle Schirmtypen sprechen bereitwillig auf die inverse Gewichtsverlagerung an. Manche wirken damit seltsam sperrig und schwammig in der Kurve. Hier ist es nicht ratsam, die Kappen mit noch mehr Innenbremse in die Kurve zu zwingen, da am wenig belasteten Innenflügel die Strömung schneller abreißen kann (die Bremswege sind kürzer). Bei solchen Schirmen sollte man besser bei einer klassischen Kurventechnik bleiben!


3. So eng wie nötig

Regel Nummer drei für das Kurbeln in schwachbrüstigen Thermiken heißt: enger kreisen. Denn auch bei schwachen Bärten gibt es häufig ein etwas stärkeres Zentrum. Je dichter man an dieses heran kommt, desto besser geht es nach oben. Allerdings muss man dabei einen Kompromiss mit Regel 2 („so flach wie möglich“) eingehen. Denn enge Kurven bedeuten normalerweise eine erhöhte Schräglage. Die Lösung für dieses Dilemma heißt schlicht: langsamer fliegen. Dadurch verringern sich die Fliehkräfte in der Kurve, der Schirm bleibt flacher.

Langsamer fliegt man, indem man sowohl Innen- als auch Außenbremse in der Kurve etwas stärker setzt. Allerdings ist das ab einem bestimmten Punkt auch wieder kontraproduktiv. Denn der Auftrieb, den ein Profil generiert, ist abhängig von Form und Geschwindigkeit. Ein (zu stark) gebremster Schirm wird schlechter steigen. Das gilt vor allem für einige modernere Konstruktionen, die heute mit weniger Fläche und höherer Flächenbelastung geflogen werden. Diese Schirme brauchen den Speed, um nicht abzusacken. Tatsächlich steigen viele neuere Modelle am besten, wenn man zumindest die Außenbremse in den Kurven (fast) ganz frei gibt. Wie kann man da noch langsamer fliegen, möchte man meinen? Hier kommt einem häufig die Thermik selbst zu Hilfe.

In so gut wie jeder Thermik steigen die Luftmassen nicht geradlinig auf, sondern in einer schraubenartigen Bewegung. Thermikbärte besitzen also jeweils eine bestimmte Drehrichtung. Diese wird nicht wie bei Hoch- und Tiefdruckgebieten durch die sogenannte Coriolis-Kraft induziert. Vielmehr gilt: Wenn eine aufsteigende Blase an ihrem Thermikfuß Luftmassen von allen Seiten nachsaugt, werden diese beim zusammenfließen nicht einfach nur nach oben gedrückt, sondern auch in Rotation versetzt. Das kann mal rechts, mal links herum sein.
Grafik 3: Wer in einer Thermik gegen die Drehrichtung der Luftmassen fliegt, ist darin langsamer unterwegs (als Geschwindigkeit über Grund gemessen). Entsprechend kleiner fallen die geflogenen Kreise aus. Die Thermik kann also enger zentriert werden. Hierzu noch einfaches Rechenbeispiel: Beide Schirme in der Grafik sind mit der identischen Geschwindigkeit von 9 m/s (gegenüber der Luft) unterwegs. Die im Uhrzeigersinn drehenden Luftmassen im Bart (blaue Pfeile) haben ihrerseits eine Radialgeschwindigkeit von 1 m/s. Schirm 1 rotiert mit der Thermik und erreicht mit „Rückenwind“ 10 m/s über Grund. Schirm 2 fliegt entgegen gesetzt, was durch den „Gegenwind“ eine Geschwindigkeit von 8 m/s über Grund ergibt. Wenn beide Piloten jeweils 20 Sekunden benötigen, um einen Kreis zu schließen, dann hat dieser Kreis im Fall von Schirm 1 einen Durchmesser von rund 64 Meter. Schirm 2 schafft das gleiche mit einem Durchmesser von 51 Meter. Beim Zentrieren schwacher Bärte mit einem nur minimal stärkeren Kern kann so etwas schon von entscheidender Bedeutung sein.

Als Pilot sollte man – wenn möglich – stets entgegen der Drehrichtung einer Blase fliegen. So hat man gewissermaßen automatisch Gegenwind, fliegt langsamer (Groundspeed) und kann so engere und trotzdem flachere Kreise ziehen (siehe Grafik 3).

Freilich ist es nicht immer leicht, die Drehrichtung von Thermiken zu erkennen. Vögel haben dafür ein gutes Gespür. Wenn Vögel im gleichen Bart drehen, sollte man ihrer Richtungsvorgabe trauen.

Wenn es die Verhältnisse erlauben und man nicht schon extrem ums Absaufen kämpft, kann man auch ruhig in einer Thermik testweise die Drehrichtung ändern. Wenn man dann den Eindruck gewinnt, in die eine Richtung irgendwie besser, enger und mit mehr Druck in der Kappe kreisen zu können als in die andere, dann weiß man, wie herum man diesen Aufwind nehmen sollte.

Aber Achtung: Befindet man sich mit anderen Piloten im gleichen Bart, gelten natürlich die üblichen Thermikflugregeln, und man sollte sich dann strikt an die vorgegebene Drehrichtung halten! Weitere Piloten im gleichen Bart sind gerade in schwachen Bedingungen übrigens sehr willkommen. Durch Beobachtung und in Relation zu den anderen kann man häufig viel schneller erkennen, wo die besseren Steigzonen bzw. der Kern einer Thermik liegen, um dann mit sanften Steuerbewegungen dorthin zu driften.

Hinweis: Dieser Text ist in ähnlicher Fassung zuvor schon in den Magazinen DHV-Info und Swiss Glider erschienen.


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