Moderne Wettbewerbsgurtzeuge weisen immer ausgefeilter profilierte Heckflossen auf. Vor allem im Schnellflug bringt das große aerodynamische Vorteile.
Strömungssimulation an einem Gurtzeug mit vergrößertem Heckbürzel. // Quelle: Bach Le Hoang

Viele Piloten gehen noch von der (falschen) Annahme aus, dass eine nach vorne gestreckte Beinverkleidung den Luftwiderstand eines Gurtzeuges wesentlich verringert. Doch dem ist nicht so. Egal ob Sitz- oder Liegegurtzeug: Stets wird sich der Luftstrom vor dem Piloten irgendwie stauen und muss dann um dieses Hindernis herum gelenkt werden. Die Menge der gestauten Luft hängt hauptsächlich von der Stirnfläche ab, die ein Pilot samt Gurtzeug dem Fahrtwind bietet. Und da moderne Liegegurtzeuge (konträr zu ihrem Namen) heute in ähnlich aufrechter Sitzposition geflogen werden wie offene Gurtzeuge, gibt es da kaum Unterschiede.

Das neue Sol CX Max mit wuchtiger Heckflosse. // Quelle: Sol
Viel entscheidender für die Aerodynamik ist das, was sich im Rücken des Piloten abspielt. Dort muss die umfließende Luft wieder, von allen Seiten kommend, zusammentreffen. Dabei entstehen Wirbel und Turbulenzen. Je stärker die Wirbel und Turbulenzen sind, desto größer wird der induzierte Widerstand des Gurtzeugs. Die Wirbel wirken wie ein Sog, der den Piloten zurückhält und damit auch die Gleitleistung schmälert. Besonders ausgeprägt ist das im Schnellflug, da der Widerstand mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst.

Als Abhilfe haben verschiedene Gurtzeughersteller schon vor einigen Jahren damit begonnen, zumindest ihre Wettbewerbsgurtzeuge mit mehr oder weniger ausladenden Heckflossen auszustatten. Sie sollen den umfließenden Luftmassen gewissermaßen geordnete Bahnen vorgeben, auf denen sie wieder zusammenfließen, ohne allzu stark zu verwirbeln.


Länge läuft

Was mit kleinen Heck-Bürzeln begann, hat sich mittlerweile zu weit ausladenden, staudruck-gefüllten Konstruktionen mit etlichen, eingenähten Profilrippen weiterentwickelt. Fast hat man den Eindruck, als wäre ein Wettbewerb á la "wer hat das größte/längste Heck" ausgebrochen. Sol beispielsweise hat seinem erst kürzlich präsentierten Gurtzeug-Modell CX Max eine Flosse spendiert, die nach hinten fast soweit auskragt wie der Beinsack nach vorn.

Advance Impress 4: Schlank wie ein Ruder-Rennboot.
// Quelle: Advance
Es ist, als folgten die Konstrukteure hier Erkenntnissen wie beim Bau schneller Ruder-Rennboote (Anm.: der physikalische Zusammenhang von Wellenlängen und Rumpfform im Wasser ist allerdings ein anderer). Länge läuft, heißt es da. Ein langer und zugleich schmaler Rumpf wird widerstandsärmer durchs Wasser bzw. die Luft gleiten. Auch bei der Konstruktion des neuen Impress 4 von Advance etwa scheint dieser Gedanke Pate gestanden zu haben. In der Draufsicht offenbart es ein besonders schlankes Profil.

In Zukunft ist zu erwarten, dass die aerodynamische Optimierung der Renn-Gurtzeuge noch weiter geht. Heute spielen die Schirme in der CCC-Klasse leistungsmäßig alle in einer sehr ähnlichen Liga – auch weil es immer schwerer wird, sie aerodynamisch noch weiter zu verfeinern (zumal schon kleine Abweichungen von der idealen Leinen-Trimmung den Fortschritt schnell zunichte machen). Auf der Suche nach einem möglichen Vorteil rücken die Gurtzeuge in den Fokus. Gerade im Schnellflug ließe sich mit einer besser profilierten Heckflosse viel leichter das eine oder andere Zehntel bei der Gleitzahl herausholen, was dann im Vollgas-Endanflug den vielleicht entscheidenden Unterschied ausmacht.


Heckflossen-Tuning

Wohin die Reise gehen könnte, zeigt der vietnamesische PWC-Pilot Bach Le Hoang. Er hat damit begonnen, für verschiedene, bestehende Wettbewerbsgurtzeuge neue, verbesserte Heckspoiler zu entwerfen, wie er auf seiner Facebook-Seite schreibt. Dabei arbeitet er mit 3D-CAD-Programmen und Strömungssimulationen im Rechner.

Nicht nur die Länge, auch die Form der Heckflosse hat Einfluss
auf den Strömungswiderstand. Im unteren Beispiel fließt die
Luft hinterm Heck langsamer – wegen stärker bremsender Wirbel.
// Quelle: Bach Le Hoang
Seine Berechnungen zeigen: Länge bringt tatsächlich Vorteile. Beim Schnellflug mit 60 km/h ließe sich mit einem nur etwas längeren Spoiler der Widerstand eines Gurtzeuges um mehr als 10 Prozent gegenüber der Standardversion reduzieren.

Allerdings ist nicht nur die Länge entscheidend. Auch die Form der Kiel-Linie, das Aufragen des Spoilers hinter dem Kopf des Piloten sowie die Dicke des Profils der Flosse im Verhältnis zum "Vorbau" des Gurtzeuges spielen eine wichtige Rolle. Selbst die Neigung eines Gurtzeuges im Verhältnis zum Flugpfad hat Einfluss darauf, welche Heckflossenform zu bevorzugen wäre.

Gurtzeugbau wird damit zur Wissenschaft. Vielleicht ist es in einigen Jahren soweit, dass Wettbewerbspiloten sich die Heckbürzel ihrer Gurtzeuge von Tuning-Schmieden auf ihren persönlichen Flugstil und ihre Körpermaße hin optimieren lassen. Bach Le Hoang hat sich für sein Gurtzeug (Exoceat von Ozone) schon einen Spoiler in gepimpter Fassung selbst genäht.


[Korrekturhinweis vom 20.5.: Ich habe den Absatz mit dem Vergleich zu den Renn-Ruderbooten leicht umgeschrieben. Denn die Strömungsverhältnisse in der Luft um ein Gurtzeug sind nicht direkt mit der Umströmung eines Bootes im Wasser vergleichbar. Danke für Hinweis an Hans Peter Krüsi.]



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