Chrigel Maurer hat einmal mehr die Redbull X-Alps gewonnen. Seinen triumphalen Flug über den Alpenhauptkamm nach Zell am See werden die Verfolger kaum nachmachen können.
Update vom 29.6., 14.30 Uhr: Entgegen der Unterzeile haben Chrigels Verfolger den Flug über den Alpenhauptkamm tatsächlich gewagt und geschafft – trotz starken Höhenwindes. In einem Herzschlagfinale wurde Patrick von Känel Zweiter, knapp vor Simon Oberrauner. Maxime Pinot kam als Vierter ins Ziel.Als Chrigel am frühen Abend auf dem Floß in Zell am See einschwebte, waren die nächsten Verfolger gerade mal am vorletzten Turnpoint angelangt. In einem triumphalen Flug hatte Chrigel zuvor von ebendiesem Turnpoint Kronplatz aus noch den Alpenhauptkamm direkt am Sonnblick überquert.
Dieses Kunststück dürfte dem Rest des Feldes wohl nicht so einfach vergönnt sein. In den Alpen herrscht erst einmal durchwachsenes und in der Höhe recht windiges Wetter mit Föhncharakter. Das Rennen um Platz zwei und drei auf dem Podium könnte deshalb mitunter auch läuferisch entschieden werden. Derzeit liegen Maxime Pinot (FRA1), Simon Oberrauner (AUT1) und Patrick von Känel (SUI2) dicht beieinander. Sie alle haben noch Chancen auf den "first place available" (wie Clement Latour über seinen 2. Platz bei den X-Alps 2013 sagte). Benoit Outters (FRA2) ist schon etwas abgeschlagen dahinter.
Ein "virales" Foto als Anerkennung: Es soll Chrigel im Jahr 2039 zeigen, nach seinem 18. X-Alps-Sieg in Folge. // Quelle: Facebook, Albatros |
Ein weites Stück dahinter hängt das Hauptfeld noch um den Mt Blanc fest, wo schon gestern das schlechte Wetter eingetroffen war und den Piloten nur Abgleiter zwischen den Schauern ermöglichte. Wie viele aus dieser Gruppe bis zum Rennende am Freitag um 11.30 Uhr das Ziel Zell am See auch und überhaupt noch erreichen werden, ist derzeit schwer absehbar.
Rückblickend muss man anerkennen, dass Chrigel einmal mehr mit seiner enormen Erfahrung und fliegerischen Abgebrühtheit und Thomas Theurillat als kongenialem Supporter das Beste aus dem sich ihm bietenden Wetterfenster gemacht hat. Da war ihm freilich auch das Glück des Tüchtigen hold. Sein großer Vorsprung am Ende spiegelt keineswegs den lange wie nie zuvor so extrem dichten Rennverlauf wieder.
Ein enttäuschter Maxime Pinot an dem Tag, als keine Thermik in Tragen wollte und er das Rennen verlor. // Quelle: Facebook, M.Pinot |
Das Motto und der Ansporn für die Redbull X-Alps 2023 sind jedenfalls schon gesetzt. Es ist noch immer das gleiche: Wer schafft es, das schier Unerreichbare zu erreichen und Chrigel zu schlagen?
Vor allem Maxime Pinot hatte in diesem Jahr alles daran gesetzt und sicherlich auch das Zeug dazu. Ein Fehler beim Turnpoint 3 in Kitzbühel, den er mit einer bravourösen Aufholjagd wieder ausbügelte, und die letztlich unvorteilhafte Route über den Simplon sind ihm zum Verhängnis geworden. Er zeigte sich zurecht gefrustet, nachdem er an Tag 8 ein ums andere Mal keinen Thermikanschluss fand, während Chrigel flott durchs Rhone- und Rheintal bretterte und uneinholbar entschwand.
+++ Tagesberichte: Thermik Magazin Tag 9 | Nova Blog Tag 9 +++
+++ Lauries Drama: Laurie Genovese ist heute früh als Letzte im Feld "eliminiert" worden. Allerdings hatte sie zuvor schon aufgegeben und war am TP 7 in Fiesch stehen bzw. sitzen geblieben. Sie zog sich bewusst nicht vorzeitig zurück, um den anderen Piloten vor ihr im Feld (Kaoru Ogisawa und Gavin McClurg) eine weitere Rennteilnahme zu ermöglichen. In einem emotionalen und sehr ehrlichen Post auf Facebook beschrieb sie, wie das Fliegen ihr zuletzt nur noch Angst machte. Offenbar war ihr Retterabgang bei Lermoos (s. X-Alps Highlights 4), der fast in einer Hochspannungsleitung endete, für sie ein doch viel traumatischeres Erlebnis, als es ihr tapferes Weitermachen von außen erkennen ließ. Der Fall zeigt, wie so ein extremes Rennen nicht nur körperliche, sondern auch tiefe seelische Wunden hinterlassen kann. +++
+++ Theos Strafe: Theo de Blic hat zum Ende des Rennens hin noch wegen Einflug in einen Luftraum eine 48 Stunden Zeitstrafe aufgebrummt bekommen. Die wird er ab Dienstag früh absitzen müssen. Für ihn dürfte damit das Rennen so gut wie beendet sein, denn vermutlich wird er durch den Zwangsstopp auf den letzten verbliebenen Rang zurückfallen. Damit könnte ihn auch noch das Schicksal ereilen, eliminiert zu werden. Laut Novas Blog (s. Tagesberichte) war Theo sehenden Auges in den Luftraum geflogen. Man kann das als irrationale Trotzreaktion deuten – auch ein Zeichen für den Frust und die Erschöpfung, die nach so vielen anstrengenden Renntagen die Köpfe der Teilnehmer beherrschen. +++
+++ Patricks Fehldeutung: Patrick von Känel war beim Flug zum Kronplatz gemeinsam mit Simon Oberrauner auf der Überholspur, verlor aber am Ortler den Anschluss. Die Erklärung: Patrick ging nach eigenen Angaben davon aus, dort gäbe es einen Luftraumdeckel auf rund 3900m, weshalb er nicht weiter aufstieg, sondern hinter dem Ortler ins Lee flog, wo er zwangsläufig nach unten gedrückt wurde und sich erst mühsam wieder hinauf kämpfen musste. Tatsächlich hätte er in der Region aber bis fast 5000m aufsteigen oder zumindest gemeinsam mit Simon auf über 4200m den Ortler mit kräftigem Rückenwind sicher überfliegen können. So aber fiel er deutlich zurück und konnte den Kronplatz am Abend nur noch zu Fuß erreichen. Aus der reinen Flugspur im Livetracking sind solche Gedankenfehler als Einflussfaktoren nicht ableitbar. +++
Links rund um die X-Alps:
FRA 1: Maxime Pinot (FB) | FRA 2: Benoit Outters (FB) | FRA3: Theo de Blic (Insta) | FRA5: Damien Lacaze (Insta | YT)
NED1: Ferdy van Schelven (FB | Insta)
1 Kommentare
Rennfieber dank livetracking...
AntwortenLöschenWas habe ich nicht alles mitgefiebert und mitgelitten beim Rennen. Klar, wenn die Athleten in der Luft waren, schaut man die Konturen der Bergwelt und Täler an, um einen eigenen Schlachtplan am Notebook zu entwerfen. Wie kindlich, denn man ist virtuell dabei und das ist quasi nicht-dabei. Wolkenbild, Windverhältnisse, insbesonder der Talwind, die Beeinflussung durch andere Piloten und deren Taktik, sowie der stundenlange Dauerstress und tagelange Zermürbungsabrieb...
Nachdem Chirgel alle durch seine Entscheidung Richtung Andermatt zu ziehen, abgehängt hatte (seine Begründung: absehbare höhere Luftfeuchte auf der Südseite der Alpen), war das Rennen gelaufen. Besonders am Tag als der "Held" die Szene beherrschte und die anderen am Boden sich abquälten (sicherlich auch mental), kamen die Emotionen durcheinander. Ich habe vor allem mitgelitten. Regen, böiger Wind, steile Anstiege zu Fuss, kaum Flugzeit. Und alles, wegen einer falschen Entscheidung. Horror.
Respekt vor allen Athleten im gesamten Feld. Insbesondere der rumänische Dauerbrenner liegt mir am Herzen und auch die kämpferischen Damen. Euer Niveau und Wille bleibt für mich unerreicht. Euer Mut auch.
Und so kullerten beim Einfliegen in Zell am See immer wieder Tränen.
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