Die extreme Trockenheit in weiten Teilen Europas verstärkt die Böigkeit der Luftmassen. Gleitschirmfliegen wird zu einer Kampfsportart. 

Windy-Karte der Bodenfeuchte-Anomalie.
Sie zeigt, wo die oberen Bodenschichten
aktuell trockener (braun) oder
feuchter (blau) sind als im langjährigen
Durchschnitt für diese Zeit des Jahres.
// Quelle: Windy.com

Mindestens fünf weitere Tage trocken-heißes Sommerwetter verspricht die aktuelle Prognose für Deutschland. Gutes Flugwetter, könnte man meinen. Doch wer in die Luft geht, bekommt derzeit vielerorts etwas anderen gelehrt: Rundes Thermikkreisen in sauber zentrierbaren Bärten ist kaum möglich. Vor allem in den ersten paar hundert Metern über Grund geht es extrem hackig zu. Hinzu kommen im Tagesverlauf immer stärker werdende Böen. Ruhige Abendflüge? Träum weiter! Selbst der DHV warnt auf seiner Homepage: Aufpassen! Sehr turbulente Flugtage voraus.

Für die starke thermische Entwicklung gibt es eine einfache Erklärung: die extreme Trockenheit gepaart mit weitgehend wolkenlosem Himmel. Nach Monaten ohne ausreichenden Regen ist in den Oberböden kaum noch Wasser enthalten. Bodenwasser wirkt normalerweise als Moderator. Ist es nicht vorhanden, wird deutlich mehr der eingestrahlten Sonnenenergie in die Erhitzung der Oberfläche und der aufliegenden Luftmassen umgesetzt. 

Anders gesagt: Ist die Erde als Heizplatte auf volle Power gestellt, kocht die Luft. Doch woher kommt die starke Böigkeit, die zum späten Nachmittag hin in ungewohnter Weise noch zulegt?


Wenn die Luft kocht

Je stärker die Luft "kocht", desto häufiger lösen sich Thermikblasen in rascher Folge explosiv vom Boden. Steigen sie auf, hinterlassen sie am Boden kein Vakuum. Die Luft muss unten rum irgendwie ersetzt werden. Sie wird von den Seiten her nachgezogen. So entstehen lokal kräftig anschwellende Ausgleichsströmungen aus wechselnden Richtungen. 

Weil trockene Böden auch bei schon tiefer stehender Sonne noch kräftig heizen können, nimmt die Dynamik dieser Böen im Tagesverlauf sogar noch zu. Verstärkt wird das durch einen weiteren Effekt.

Die Tageshöchsttemperaturen der bodennahen Luftschichten werden nicht gegen Mittag, sondern aktuell erst am späten Nachmittag erreicht, in der Regel zwischen 16 und 18 Uhr. Dann beginnt die Zeit, in der mehr und mehr Geländebereiche in den Schatten fallen. 

Die Erdoberfläche kühlt in den Schattenzonen durch Ausstrahlung bald wieder etwas ab, und auch eine direkt dem Boden aufliegende dünne Luftschicht wird entsprechend kälter. Der heißen Luftmasse darüber wird so der Kontakt zum Boden entzogen. Sie wird zwangsläufig "abgelöst". Eine weitere, in der Regel nun größere Thermikblase ist geboren.


Starker Aufwind, starker Abwind

Größere Blasen entwickeln schon allein durch ihr Volumen viel Auftrieb. Das kann auch zum Abend hin noch starke Steigwerte liefern – und auch entsprechend starke Ausgleichsströmungen. 

Zugleich verdrängen große, überhitzte Blasen mehr der "kühleren" Höhenluft. Diese Luftmassen rutschen dann zum Ausgleich ebenfalls in größeren Volumina rund um die Thermikschläuche nach unten.

Beim konvektiven Aufstieg kühlt sich die Luft trockenadiabatisch um 1°C/100m ab. Für die Abwinde gilt das gleiche, nur umgekehrt. Sie erwärmen sich beim Abstieg um 1°C/100m. Das Sinken hält solange an wie die Luftmassen im Abwind einen negativen Temperaturvorsprung zur Umgebungsluft haben. 

In Zeiten der Dürre, die die Heizplattenwirkung des Bodens verstärkt, sind die bodennahen  Luftschichten allerdings überhitzt. Ihr Temperaturgradient liegt bei mehr als 1°C/100m. Diesen Zustand nennt man überadiabatisch. 


Die Sache mit der Überadiabate

An trocken-heißen Sommertagen ist diese überadiabatische Grenzschicht am Boden etwas stärker bzw. dicker ausgeprägt als normal. Dieses Heißluftpolster wächst auch noch im Tagesverlauf. Abwinde, die in die überadiabatische Zone eindringen, werden auf ihrem Weg nach unten sogar noch etwas beschleunigt. Sie wirken wie eine Art Kaltluftausfluss, der sich, wenn er auf den Boden prallt, in alle Richtungen verteilt. Das sorgt für sehr schwer vorherseh- und einschätzbare Turbulenzen. 

Aus diesen Gründen haben wir derzeit:
  • besonders starke und entsprechend turbulente Sinkzonen neben den Thermiken
  • häufig vor allem am späten Nachmittag und bis zum Abend hin in Bodennähe die stärksten Böen
Bei solchen Bedingungen sollte man mit Flügen am Nachmittag und auch Abend besonders vorsichtig sein. Es ist durchaus intelligent, auch einfach mal zu verzichten, um nicht nach einem linken Böen-Haken gefährlich durch die Luft zu taumeln und sich bodennahe Klapper einzufangen. Das gilt besonders, wenn schon die Meteo-Prognosen bis nach 19 Uhr noch starke Böen melden.

Anfängern wird häufig empfohlen, die Zeiten starker Thermik zu meiden und lieber nur morgens und abends zu fliegen. Aktuell muss man das weiter einschränken. Auch den Abend sollte man lieber auslassen und für (ruhige) Abgleiter besser nur die Morgenstunden nutzen.


Hinweis: Die hier beschriebenen Verhältnisse und Tipps gelten vor allem fürs Flachland und die Mittelgebirge mit besonders starker Trockenheit. In den Alpen stellen sich in Teilen die Verhältnisse etwas anders dar. Unter anderem, weil es dort nicht überall so anomal trocken ist, aber auch, weil die Thermikentwicklung an langen Berghängen mit entsprechenden Hangaufwinden und typischen Ablösepunkten noch immer etwas geregelter abläuft. Inneralpin sollte man vor allem das Auftreten besonders hoch reichender und lang anhaltend starker Talwinde mit entsprechenden Turbulenz- und Leezonen bei der Startentscheidung mit einbeziehen.


Am Ende noch ein Lesetipp: Über besondere Effekte starker Trockenheit auf die Thermikentwicklung habe ich auf Lu-Glidz schon in früheren Trockenjahren verschiedentlich geschrieben. Die Posts sind gerade im Sommer 2022 wieder aktuell:


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