Hintergrund sind zwei tödliche Flugunfälle, die sich im besonders trockenen Nordosten Deutschlands ereigneten. In beiden Fällen waren heftige, thermische Böen in Bodennähe die Ursache. Der DHV rät deshalb Flugschülern, wenig erfahrenen Piloten und Tandemfliegern davon ab, zur thermikträchtigsten Zeit und davor, wenn sich die ersten kräftigen Blasen ihre Bahn brechen, in die Luft zu gehen. Zudem wird empfohlen, vor einem Flugtag eine Gradientanalyse zu machen, um morgens abzuschätzen wie stark thermisch ein Tag wohl werden wird.
Mit dieser zweiten Empfehlung wird der DHV den Zusammenhängen rund um bodennahe Turbulenzen allerdings nicht wirklich gerecht. Und das will ich im folgenden erklären.
Mit Gradientanalyse ist der Blick auf die Temperaturschichtung der Atmosphäre gemeint, wie man sie aus sogenannten Temps oder Emagrammen ablesen kann. Hier wird geschaut, wie sich die Temperatur im Thermikraum mit der Höhe verändert. Herrschen beispielsweise auf 500 Meter 25°C und auf 1500m nur noch 15°C, so beträgt der thermische Gradient -1°/100m. In diesem Höhenband werden Thermiken nahezu ungehindert aufsteigen können. Typischerweise kann man sogar schon ab einem Gradienten von -0,7°C/100m gut nutzbare und im Kern auch recht kräftige Thermiken erwarten!
Einen thermischen Gradienten von mehr als 1°C/100m wird man in der freien Atmosphäre aber so gut wie nicht vorfinden. Denn dann wären die Verhältnisse so labil, dass die Luft selbst ohne thermischen Antrieb vom Boden anfinge, sich konvektiv durch von Temperaturunterschieden getriebenen Strömungen nach oben und unten zu durchmischen. Sogenannte Überadiabaten (das ist eine Luftschichtung mit einem Gradienten von >1°C) werden durch solche Prozesse automatisch egalisiert.
In Bodennähe ist das allerdings anders! Über der "Heizplatte" des Bodens können die aufliegenden Luftschichten durchaus so schnell und so stark erhitzt werden, dass die bodennahen Luftschichten einen Gradienten von deutlich über 1°C aufweisen. Das ist grundsätzlich nicht schlecht und sogar notwendig, damit sich überhaupt Thermiken vom Boden lösen können. Denn die Luft hat die Eigenschaft, wie Honig etwas zäh am Untergrund zu kleben. Nur dank der Überadiabate wird eine Thermikblase es schaffen, von dort loszubrechen. (Hinweis: Es gibt auch noch andere Möglichkeiten, aber die spielen für dieses Erklärstück keine Rolle).
Trockenheit verstärkt Turbulenz
Die große Besonderheit dieses Sommers, gerade im deutschen Flachland, ist die enorme Trockenheit. Alle Böden sind in den Oberschichten staubtrocken. Das gilt selbst für viele Wälder, die normalerweise im Schatten der Bäume noch eine gewisse Feuchtigkeit bewahren. Jeder Sonnenstrahl, der auf so einen Boden fällt, entfaltet deshalb direkt eine starke Heizwirkung.
In "normalen" Sommern wirkt das Wasser im Boden als Moderator und Puffer. Denn ein Teil der Sonnenenergie wird erst einmal das Wasser aufheizen und nicht die Luft. Das Wasser ist hier ein latenter Wärmespeicher. Das heißt im Umkehrschluss aber auch: Die Luft wird weniger stark und verzögert aufgeheizt.
Dieser Puffer ist im Sommer 2018 vielerorts nicht mehr präsent. Die Sonne erwärmt den Boden, und dieser wiederum "nur" die Luft, da oberflächlich gar kein Wasser mehr im Boden steckt. Und diese direkte Heizwirkung findet über die gesamte Landschaft hinweg statt.
In "normalen" Jahren ist das anders. Da bildet die Landschaft immer ein Patchwork von Flächen, die eine stark unterschiedliche Heizwirkung aufweisen. Da liegt ein trockenes Feld neben einem feuchteren kühleren Wald etc. Wenn über einem trockenen Feld eine Thermikblase aufsteigt, wird dabei aus dem benachbarten Wald kühlere Luft nachfließen, die dann erst wieder neu aufgeheizt werden muss. Deshalb können sich großräumig keine wirklich starken Überadiabaten in der Fläche ausbilden. Die Landschaft "moderiert" sich selbst.
Im Sommer 2018 herrschen andere Verhältnisse. Da liegt neben dem superheißen Feld ein auch selbst gut heizender Wald. Die bodennahe Luft ist deshalb nicht nur punktuell, sondern fast in der gesamten Fläche überhitzt und überadiabatisch. Das heißt aber auch: Aus allen möglichen Ecken könnten jederzeit überhitzte Thermikblasen losbrechen.
Überadiabatische Turbulenzküche
In diese "Turbulenzküche" kommt noch eine weitere Zutat. Wenn Thermikblasen aufsteigen, gibt es immer auch Abwinde als Ausgleichsbewegung. Absteigende Luftmassen erwärmen sich allerdings trockenadiabatisch mit 1°C/100m. Stellt man sich nun einmal eine größere Abwindzone vor, wird sich dort in der Luftsäule automatisch ein Temperaturgradient von 1°C einstellen. Eine überhitzte Thermikblase, die vom Boden aus in diese Luftsäule aufsteigt, würde darin entsprechend knallig nach oben schnellen.
In "normalen" Jahren kommt das selten vor. Wenn dort Luftmassen typischerweise über trockenen Feldern aufsteigen und über feucht-kühlen Wäldern absinken, reicht das bisschen Wärme am Waldboden nicht aus, um diese Absinkbewegung zu durchbrechen. Aus typischen Sinkzonen steigt dann keine Thermik auf.
Nicht so in 2018: Jetzt ist überall eine gute Heizfläche. Und selbst wenn das Aufsteigen von Thermikblasen durch absinkende Luftmassen temporär erst einmal unterdrückt wird, kann sich die bodennahe Luft lokal unter diesem Deckel nur umso kräftiger aufheizen, bevor sie dann doch entsprechend losschießt, sobald sie die Gelegenheit dazu bekommt.
Im Grunde herrscht vielerorts sogar ein System, das sich eine Weile regelrecht aufschaukeln kann. An einer Stelle steigt die Thermik hoch und sorgt daneben für Abwinde, die ihrerseits dort Warmluftpakete erst einmal zu Boden drücken. Diese Luftmassen bekommen dann eine verlängerte Aufheizzeit, bevor sie mit noch größerem Temperaturvorsprung lospreschen, um nun ihrerseits nebenan für kräftige Abwinde zu sorgen, die dort die Warmluftpakete zu Boden drücken usw.
Dass ein solches Hin und Her natürlich für besonders kräftige und kaum abschätzbare Turbulenzen mit umlaufenden Winden aus allen möglichen Richtungen sorgt, ist nicht verwunderlich.
Um solche Bedingungen zu erfassen, hilft eine klassische Gradientanalyse allerdings nicht weiter. Die Temps, die man im Internet finden kann, ob real als Ballonsonde gemessen (s.o.) oder per Meteomodell prognostiziert, schaffen es zwar, die Verhältnisse in den höheren Luftschichten (mit einem gewissen Bodenabstand) halbwegs treffend abzubilden. Aber zu der Stärke der Überadiabaten in Bodennähe und der Homogenität der Heizwirkung der Landschaft liefern sie keine wirklich verwertbaren Informationen.
Anders und einfach gesagt: Bei voller Sonneneinstrahlung auf schnurztrockene Böden ist es den Thermikblasen erst einmal egal, ob in größerer Höhe ein Gradient von 0,5 oder 1°C herrscht. Unten herum kann es immer knallig werden! Und wer hier sein Risiko minimieren will, sollte einfach die Tageszeit der stärksten Heizwirkung der Sonne (wenn sie am Zenith steht) nicht in der Luft verbringen.
Ansonsten gilt es, dem gesunden Bauchgefühl zu folgen. Wenn an einem Standort stark schwankende Winde aus erratisch umherspringenden Richtungen herrschen, wie man sie sonst dort nicht gewohnt ist, dann ist es nicht feige, sondern klug, erst einmal seinen Schirm im Sack zu lassen und die Bedingungen vom Boden aus zu beobachten.
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Danke!
12 comments
Tolle Erklärung, vielen Dank dafür. Viele Grüße Fabian
AntwortenLöschenSehr zeitiger und guter Beitrag, Danke dafür!
AntwortenLöschenhttps://salzburg.orf.at/news/stories/2930201/
AntwortenLöschenFalls jemand dem Link zu der Story im ORF folgt, hier nur ein kleiner Hinweis. In der Geschichte wird der Eindruck erweckt, als könnten aus solchen Dust-Devils, wenn sie nur stark genug wären, Tornados erwachsen können. Das ist aber nicht der Fall. Die Entstehungsweise von Tornados und Dust-Devils unterscheidet sich voneinander. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun, bis auf der "äußerlichen" Verwandtschaft, dass es sich um stark umeinander wirbelnde Windstrukturen handelt. Vielleicht finde ich in den nächsten Tagen noch die Zeit, den Unterschied zu erklären.
AntwortenLöschenHallo Lucian, Deine Idee mit dem "Patchwork" führt möglicherweise in die Irre.
AntwortenLöschenRäumliche Inhomogenitäten in der Bodentemperatur führen im allgemeinen zu
inhomogener Temperaturverteilung in der bodennahen Luftschicht, welche widerum
einen erhöhten Auftriebsfluss bedingen. Dieser wiederum erzeugt bei labiler Schichtung
kinetische Energie, also die der großen Grenzschichtwirbel, unserer Thermik. Die Thermik
wird also durch ungleichmäßiges Heizen verstärkt. Eher könnte das Fehlen des Inhomogenitäts-
triggers dazu führen, dass der bodennahe Temperaturgradient weiter zunimmt, da quasi
die gespannte Feder sich nicht entspannen kann und auf eine größere Instabilittät warten muss.
Das könnte dann ein Dustdevil sein.
Ich würde daher, genau wie Du eingangs, mit dem großen Fühlbaren Wärmefluß aufgrund
der Trockenheit argumentieren.
Auch dass Argument mit den Abwinden verstehe ich nicht ganz.
Das kleine Blasen in diesen Abwindbereichen sich "verzweifelt" abmühen gilt auch
in "normalen" Jahren. Das ist ja einfach ein Prozess, der den großen
Wirbeln ihre Wärme überträgt, die Sie in der Aufsteige phase dann brauchen.
Das düfrte dem Fall ensprechen, wenn ein Flieger
nur "blubbern" findet aber kein nachhaltiges Steigen, das richtig "durchzieht".
Gruß
Tobias
Nachtrag:
AntwortenLöschenHier ist der "Kampf" der kleinen Blasen gegen den Abwind
in einer Simulation schön dargestellt:
https://vimeo.com/78336339
Gruß
Tobias
Hey Tobias. Du hast grundsätzlich Recht damit, dass ein "Patchwork" von inhomogen erhitzten Flächen die Thermikentwicklung bzw. vor allem deren Auslöse sogar fördern kann. Bei extrem trockenen und heißem Boden kommt es allerdings zu einem deutlich stärkeren Blubbern quasi "überall", was dann vor allem bodennah zur wahrgenommenen starken Turbulenz führt.
AntwortenLöschenDer Kampf der Blasen gegen Abwinde fällt in "normalen" Jahren nicht so dramatisch aus, weil über den feuchteren (Wald-)Flächen des Patchworks die Thermikbildung allein schon vom Wärmefluss her beeinträchtigt ist. Bei großer Trockenheit ist die Überhitzung der Luft unter den Sinkzonen aber viel eher und stärker gegeben. Deshalb können auch dort noch einzelne Blasen sich lösen und damit die Turbulenz der bodennahen Schichten verstärken und unberechenbare machen.
Ich habe bei meinen Flügen in den letzten Tagen und Wochen immer wieder erlebt, dass ich über Wald zu erstaunlich frühen Zeiten am Tag schon Böllerthermik fand, die dort normalerweise erst am späteren Nachmittag und weniger böllerig zu erwarten gewesen wäre.
Hi Lucian,
AntwortenLöschenich stimme zu, dass bei der offensichtlichen Trockenheit
der Wälder die Unterscheidung in thermisch aktive Felder und
eher inaktive Wälder verwischt wird und es somit verstärkt überall
starke Ablösungen geben kann. Leider hatte ich nicht die Zeit,
die meteorologische Situation intensiv zu erfliegen. :-)
Ich wollte auch nur darauf hinweisen, dass sich aber vieles nicht
grundsätzlich ändert dieses Jahr, sondern einfach mehr von
dem üblichen passiert.
Gute Flüge
Tobias
Hallo Lucian,
AntwortenLöschendu behauptest am Ende deines Artikels, eine Gradienten-Analyse würde nicht weiter helfen. Warum sollte das so sein? Du argumentierst, die räumliche Homogenität ist quasi mit verantwortlich für einen sehr starken Temperatur-Gradienten, der wiederum starke lokale Winde verursacht. Warum sollte nun eine Sonde nicht genau diesen starken Gradienten messen können? Auch ein im Verhersage-Modell errechneter Gradient wird sowohl die Feuchtigkeit im Boden als auch die Stärke der Einstrahlung, sowie Albedo, etc. bei der Erwärmung des Bodens mit berücksichtigen und einen entsprechenden Gradienten ausweisen. Somit kann m.E. ein hoher Gradient sehr wohl ein Hinweis auf starke Bodenwinde und turbulente Bedingungen sein.
Grüße, Dirk
@Dirk: Man muss bei der Gradient-Analyse zwei Dinge unterscheiden: Zum einen den bodennahen Gradienten (typischerweise eine Überadiabate) und zum anderen den in der freien Atmosphäre. Letzterer ist sehr gut aus klassischen Temps herauszulesen.
AntwortenLöschenDie "bodennahe" Überadiabate jedoch spielt sich v.a. in den ersten 10-30 Metern über Grund ab. Hier liefern weder die prognostizierten Temps der Modelle noch die echten Ballonsonden eine ausreichend feine Abstufung, um hier eine sinnvolle Analyse zu treffen. Da etwas aus den Temps herauslesen zu wollen, ist wie Kaffeesatzleserei.
Natürlich zeigt der Gradient in der Höhe gut an, ob ein Tag eine gute thermische Entwicklung (gut durchziehende Blasen) zulässt oder nicht. Aber selbst an Tagen mit einem schlechten Gradienten in der Höhe, können sich bodennah recht starke Überadiabaten ausbilden.
Häufig ist es ja sogar so, dass an Tagen mit kräftigem Hochdruck die Thermik oben raus nicht richtig zieht, unten aber sehr giftig und mit hektischen kleinen Blasen vor sich hin köchelt. Der schlechte Gradient "oben" gibt mir also keine Auskunft über das, was bodennah geschieht.
Hier kann man als Pilot nur mit Erfahrung operieren. Und die lautet: Je stärker die Sonneneinstrahlung ist (blauer Himmel, keine Wolken, entsprechende Ausrichtung des Hanges etc.) und je trockener der Untergrund (schnelle Erwärmung), desto kräftiger können sich Überadiabaten ausbilden - mit entsprechend heftigen bodennahen thermischen Böen.
Wenn ich nun eine Landschaft habe, die überall gut heizt, weil es überall trocken ist, ist selbst die Luft, die von einer Thermikblase am Boden "nachgesaugt" wird, schon gut vorgeheizt. Sie kommt z.B. nicht aus einem vergleichsweise "kühlen" Wald. Entsprechend wird diese Überadiabate in der Fläche sehr einheitlich und stark ausfallen.
Interessant ist der Blick auf den Gradienten in der Höhe (sagen wir mal 500m über Grund) in Kombination mit dem Blick auf den Höhenwindgradienten. Je stärker der Wind in der Höhe bläst und je thermischer ein Tag ist, desto eher wird der starke Höhenwind in Böen nach unten angekoppelt. Das kann natürlich einen Tag noch turbulenter machen.
Die bodennahen Turbulenzen in diesem Sommer traten häufig aber auch ohne starken Höhenwind auf. Sie waren hauptsächlich durch die starke Überadiabate bedingt.
Zu deinem letzten Satz: Dass Überadiabatische Erhitzung bei den Phänomenen eine Rolle gespielt hat, stand nicht zur Debatte.
AntwortenLöschenZur Aussagekraft eines Temps: Ein starker Temperatur-Gradient innerhalb der ersten 500m über Grund macht einen ebensolchen in Bodennähe sehr wahrscheinlich, wenn nicht fast zur Voraussetzung. Auch kann ein Temp einen rapiden zeitlichen Anstieg der Bodentemperatur anzeigen, was ein weiterer Hinweis sein kann. Es wurde nicht behauptet, dass ein starker Gradient im Temp notwendige oder gar hinreichende Bedingung sei. Dennoch erscheint mir die Erklärung plausibel, dass ein starker Gradient förderlich ist, zumal wahrscheinlich erst eine in mehrere Hundert Meter Höhe reichende Grenzschicht ausreichend Volumen in Bewegung vesetzt, um starke Bodenwinde als Ausgleich hervorzurufen. Leider habe ich für meine Behauptungen keine Belege wie Tobias (vielen Dank für den Link zum Video). Somit bleibt das meiste Spekulation.
Grüße, Dirk
@Dirk: natürlich ist ein starker Gradient förderlich, aber keine zwingend nötige Voraussetzung für bodennahe, thermische Böen.
AntwortenLöschenIch wollte mit meinem Post hauptsächlich darauf hinweisen, was in diesem Sommer so anders ist: die große Trockenheit. Sie macht die Thermik Entwicklung extremer. Und das gilt auch bei einem schlechten Temp in der Höhe. Man sollte also weniger Kurvenhörig sein, sondern mehr das Bauchgefühl einschalten. Wenn jemand bei so einer Situation einfach nur die Temp Analyse empfiehlt, ist das halt nur dir halbe Wahrheit, da der Temp die aktuellen Risiken nur in Teilen wiedergespiegelt.
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