Wer seinen Notschirm im Wind tanzend trocknen lässt, kann damit massiv dem Gewebe schaden. Die Sinkraten nehmen deutlich zu

Schädlicher Rettertanz am Gardasee
// Foto: Andreas Hagspiel

Wer am Gardasee ein Sicherheitstraining besucht, kennt das Bild. Rettungsschirme von Pilotinnen und Piloten, die im Wasser gelandet sind, werden einfach an einem Ende des Landeplatzes am Boden verankert. Vom stetigen Wind gefüllt, tanzen die Kappen dann herum und sind nach vergleichsweise kurzer Zeit trocken, um wieder neu gepackt zu werden. Das Training kann also weitergehen!

Was vielen dabei nicht bewusst ist: Dieser Rettertanz im Wind ist Gift für das Gewebe, und das gleich in mehrfacher Hinsicht:
  • Das feuchte Tuch kann unter der Last des Windes gedehnt werden.
  • Die Tücher schleifen ständig über den Boden und erleben so ein starke mechanische Belastung.
  • Durch die Feuchte im Tuch gepaart mit der Sonneneinstrahlung (UV) können chemische Prozesse angestoßen werden, die eine mögliche Beschichtung der Tücher angreifen.

Unterm Strich trägt das alles dazu bei, dass die Rettungsschirme durch einen solchen Trocknungsprozess in kurzer Zeit massiv altern. Man muss damit rechnen, dass die Tücher eine weitaus höhere Porosität entwickeln, was letztlich in deutlich höheren Sinkwerten mündet. Mit bloßem Auge sind die feinen Veränderungen und Schäden im Gewebe nicht zu erkennen.


Ein doppeltes Fiasko

Bei modernen Leichtrettern mit ihren dünnen Tüchern und kleiner Fläche ist das besonders problematisch. Diese Konstruktionen sind in der Regel so ausgelegt, dass sie beim Sinken auch ins Gleiten kommen müssen, um die EN-Grenzwerte von maximal 5,5 m/s auf Meereshöhe einzuhalten. Erst der Auftrieb, der beim Gleiten generiert wird, sorgt für ausreichend niedrige Sinkwerte. 

Wenn nun allerdings das Tuch durch die aggressive Trocknung luftdurchlässiger wird, stellt sich ein doppeltes Fiasko ein: Erstens reduziert sich das Gleiten, wodurch die Sinkwerte schon steigen. Zudem bremst das durchlässigere Tuch auch den senkrechten Fall deutlich weniger, wodurch die Sinkwerte nochmals steigen. Beim nächsten Abgang mit diesem Retter ist das Risiko für einen heftigen Einschlag sehr hoch. Aus Rettern werden Knochenbrecher. 

Was also tun? Wer beim SIV im See landet, sollte seinen Retter möglichst nicht aufgespannt im Wind tanzend trocknen lassen. Locker über eine Wäscheleine gehängt, möglichst im Schatten – das ist die viel materialschonendere Variante. Diese benötigt dann natürlich deutlich mehr Zeit, bis alles trocken ist. Aber diese Zeit sollte man einem Notschirm zur eigenen Sicherheit gönnen. Die andere Sicherheitsvariante wäre, sich gleich einen neuen Retter anzuschaffen.

Dieses Thema touchiert übrigens auch ein gravierendes Problem des Gebrauchtmarkts für Notschirme: Man kann nie wissen, wie der Vorbesitzer tatsächlich mit seinem Schirm umgegangen ist und wie er ihn möglicherweise mal getrocknet hat. Aber das wäre vielleicht mal ein Thema für einen weiteren Post...


Die lose Serie Retterwissen ist 2017 auf Lu-Glidz gestartet. Sie bietet grundlegende Infos, was man bei der Auswahl und dem Einsatz von Rettungsschirmen beachten sollte. Auch die älteren Folgen z.B. zu Grundformen, Sinkgeschwindigkeit, Vorwärtsfahrt (Gleiten), Öffnungszeit etc. sind in den meisten  Aussagen noch immer aktuell. Wer die Serie noch nicht kennt: Nachlesen lohnt!