Bei modernen, stabilen Schirmen fällt es Testpiloten häufig schwer, Klapper in wiederholbarer Manier so zu ziehen, dass die Klapplinie sich im normierten EN-Testfeld befindet. Um das zu ermöglichen, wurden bisweilen spezielle Faltleinen eingesetzt, die ein dosierteres "Klapperziehen" erlauben. Doch weil diese im Ruf stehen, das Klappverhalten eines Schirmes unter Umständen zu verharmlosen, ist der Einsatz von Faltleinen seit der Neufassung der Norm für Gleitschirmflugtests EN 926-2:2013 zumindest bei der Zulassung von Schirmen der Klassen A und B offiziell nicht mehr erlaubt.

Es gibt freilich noch eine andere Form der Klapper-Hilfsleinen, die sogenannte Cross-Line. Diese dient eigentlich nur dazu, bei Schirmen, bei denen es schwer fällt ausreichend große Klapper zu ziehen, dennoch große Klapper zu erreichen. Mit diesem Ziel im Sinn ist sie gemäß EN für Tests in allen Gleitschirmklassen zugelassen. Doch offenbar haben Gleitschirmhersteller Möglichkeiten gefunden, auch Cross-Lines verharmslosend einzusetzen.

Um das Verfahren zu verstehen, muss man sich erst einmal Aufbau und Funktionsweise von Faltleinen und Cross-Lines vor Augen führen. Faltleinen stellen eine Kopie der A-Leinen (auf einer Seite) dar, sie setzen nur etwas weiter vorne am Profil an, um ein kontrollierbareres Einklappverhalten mit weniger Kraftaufwand zu erreichen. Bei einem Klapper reißt der Testpilot nicht den A-Gurt, sondern die vorgelagerte Faltleine einer Seite herunter.

Gemäß EN-Norm ist eine Cross-Line (rot) definiert als eine einzelne Leine,
die von einem Tragegurt zu einer beliebigen Position an den
gegenüberliegenden A-Leinen oder A-Aufhängungsspunkten reicht.
Die hier gezeigte Konfiguration, bei der die Cross-Line an einer
äußeren A-Leine ansetzt, erlaubt die im Text beschriebene
"kreative" Einsatzweise als Klapphilfe.
Cross-Lines wiederum stellen eine einzelne zusätzliche Leine dar, die vom Tragegurt auf einer Seite zu einem frei wählbaren Ansatzpunkt an den A-Leinen der anderen Schirmhälfte reicht. Bei einem Klapper zieht der Testpilot normalerweise A-Gurt und Cross-Line zur gleichen Zeit mit einer Hand herunter. Durch den Einfluss der Cross-Line wird dabei auch ein Teil der gegenüberliegenden Schirmhälfte herab gezogen: Der Klapper fällt dann entsprechend größer aus.

In der EN-Norm ist allerdings nur die Anbringung der Cross-Line definiert, nicht deren Einsatzweise. Und kreative Gleitschirmhersteller haben diese "Gesetzeslücke" schon erkannt, um Testergebnisse in ihrem Sinn zu beeinflussen.

Kürzlich reichte ein Gleitschirmhersteller bei einer Teststelle einen Schirm zur Zulassung ein, bei dem die Klappmanöver mit einer Cross-Line geflogen werden sollten. Allerdings sah er dafür ein etwas anderes Verfahren vor: Die Cross-Line war nicht am Tragegurt jener Seite montiert, die geklappt werden sollte, sondern gegenüber. Der Zug der Cross-Line wirkte somit auf die gleiche Schirmhälfte wie der für den Klapper herunter zu reißende A-Gurt. Zugleich sollte der Testpilot den Klapper nicht mit einer, sondern mit zwei Händen ziehen - eine am A-Gurt, die andere an der Cross-Line.

Ein Schelm wer Böses dabei denkt, aber: Durch diese Konfiguration ist es möglich, das Klappverhalten des Schirmes zu beeinflussen - und zwar nicht so, dass Klapper mit Cross-Line größer, sondern die Schirmreaktionen moderater werden. Zieht man die Cross-Line in diesem Setting ein bisschen früher als den A-Gurt herunter, so rollt sich der Flügel anfangs von außen her ein, bevor weitere Schirmteile wegklappen. Dadurch verhält sich der Schirm beim Klapper weniger aggressiv.

Die beauftragte Zulassungsstelle testete auch mit dieser Leinenkonfiguration, entschied sich aber nach längeren internen Diskussionen dafür, den Schirm im Klappertest durchfallen zu lassen. Denn die Reaktionen des Schirmes passten nur dann zur anvisierten Klasse C, wenn es eben diesen kleinen Zeitversatz zwischen dem Zug an der Cross-Line und dem Zug des A-Gurtes gab. Das wollte die Teststelle nicht durchgehen lassen.

Der Hersteller wiederum wollte diese Einschätzung nicht akzeptieren. Er bezeichnete den Einsatz der Cross-Line als normkonform. Am Ende eines Hin und Hers von Emails zog er den gesamten Testauftrag zurück - mit dem sinngemäßen Hinweis, dass andere Zulassungsstellen hier eben auch anders testen würden.

Inwieweit diese Einsatzform von Cross-Lines als Softener für Klapper bei der Zulassung tatsächlich schon verbreitet ist, ist unklar. In jedem Fall macht diese Geschichte wieder einmal deutlich, wie enorm wichtig es wäre, dass sich die Zulassungsstellen gemeinsam auf Standards für ihre Testprozeduren einigen. Angesichts der herrschenden Konkurrenz untereinander ist das aber wohl derzeit ein eher frommer Wunsch.

Anm.: lu-glidz ist der Name der o.g. Zulassungsstelle bekannt. Im Text wurde er aber bewusst außen vor gelassen, um nicht indirekt den Eindruck zu erwecken, es gebe "good guys" und "bad guys" im Zulassungsgeschäft, und wo diese zu suchen sind. Denn diese Zuordnung ließe sich angesichts der wenigen, vorliegenden Fakten zum einen nicht sauber treffen. Zum anderen ist das Problem mangelnder Teststandards am wenigsten dadurch zu lösen, dass man verschiedene Parteien gegeneinander ausspielt.

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