Der neue Rush 4 (EN-B) von Ozone hat 57 Zellen, sechs mehr als der Rush 3. // Foto: Ozone - Loren Cox |
Bei den Wettbewerbsschirmen sind Leistungszuwächse immer erwünscht. So sind Trends bei den Bauformen, welche die Leistung verbessern, dort häufig als erstes zu sehen.
Wer sich die aktuellen "Rennsicheln" wie den Boomerang 9 von Gin oder den Enzo 2 von Ozone anschaut und mit den Vorgängern vergleicht, dem wird ein Merkmal besonders auffallen: Die Konstrukteure haben jeweils die Zellenzahl massiv erhöht. Während der Boomerang 8 noch 85 Zellen besaß (Boom X nur 79), wartet der Boomerang 9 mit 96 Zellen auf. Hatte der Enzo 82 Zellen, kommt der Enzo 2 mit 101 Zellen daher geflogen.
Die Steigerung der Zellenzahl hat ihren Grund: Je mehr Zellen ein Flügel besitzt, desto genauer lässt sich mit weichem Stoff und trotz Ballooning ein gewünschtes Idealprofil annähern (exakte Näharbeiten vorausgesetzt). Noch wichtiger ist in der Praxis allerdings ein zweiter Effekt. Je mehr Zellen ein Flügel besitzt, desto schmaler sind nicht nur die Bahnen zwischen den Halt gebenden Profilrippen, sondern auch die verbauten Diagonalrippen sind weniger ausladend. Und je kürzer alle frei aufgespannten Stoffteile sind, desto weniger können sie in sich arbeiten. Gleitschirme mit mehr Zellen (bei ansonsten ähnlicher Planform und Krümmung) sind in der Regel steifer.
Diese Steifigkeit ist im Sinne des Leistungsgewinns erwünscht. Wird einem Flügel z.B. durch Mikroturbulenzen Energie zugeführt, wird ein wabbeliger Schirm mit größeren Zellen diese Energie vor allem in die Verformung des Stoffes stecken, während ein steiferer Schirm stattdessen die gleiche Energie oder zumindest einen Teil davon für zusätzlichen Höhengewinn nutzt. "Der Schirm gleitet unheimlich gut gegen den Wind und nimmt jeden kleinsten Heber mit", beschreiben Piloten typischerweise, wie sie diesen Effekt in der Luft erleben. [Anmerkung: Solche Eigenschaften von Schirmen werden maßgeblich vom gewählten Profil bestimmt. Vergleicht man allerdings Schirme mit identischem Profil und Planform, aber unterschiedlicher Zellenzahl, wird der steifere Schirm mit höherer Zellenzahl besser abschneiden.]
Die Strategie, die Zellenzahl zu erhöhen, nutzen Konstrukteure mittlerweile nicht nur bei Wettbewerbsschirmen. Auch in der EN-B-Klasse ist dieser Trend schon angekommen. Der neue Rush 4 von Ozone beispielsweise wird mit 57 Zellen auf den Markt kommen, sechs mehr als der Vorgänger Rush 3 (dessen Zellenzahl 51 war bisher ein typischer Wert für Highend-B-Schirme). Der jüngst präsentierte Ion 3 von Nova weist 49 Zellen auf, während der Ion 2 bei ansonsten sehr ähnlichen Segelmaßen 45 Zellen zählt. Es ist zu erwarten, dass sich diese Entwicklung künftig auch in weiteren Modellen anderer Marken mit Leistungsdrang fortsetzen wird.
Auf dem Weg dorthin müssen die Schirmdesigner allerdings eine Schwierigkeit überwinden: Je mehr Zellen ein Schirm besitzt, desto mehr Zellen müssen auch irgendwie abgespannt werden. Das würde normalerweise zusätzliche Leinenmeter bedeuten, was wiederum den Leinenwiderstand erhöht und leistungsmäßig kontraproduktiv wirkt. Um das auszugleichen, gilt es, die Leinensetups weiter zu optimieren. Die üblichen Möglichkeiten dafür sind auch schon von den Wettbewerbsschirmen bekannt: dünnere und unummantelte Leinen, weniger Aufhängungspunkte durch weniger Leinenebenen (z.B. echte Drei- oder sogar Zweileiner) oder durch dem Einsatz von Doppeldiagonalen und 5-Zell-Überspannungen, und die Verwendung besonders kurzer Gabel- und Galerieleinen
Alle bereits erschienenen Teile der Serie Leistungsdrang:
C-Wires, Mini-Ribs, Doppel-Diagonalen, 3D-Shaping, 3D-Shaping doppelt, Längsnahtwölbkontrolle, 5-Zell-Überspannung, Smart Cells, Mehr Zellen.
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3 Kommentare
Servus Lucian,
AntwortenLöschenZitat:
Wird einem Flügel z.B. durch Mikroturbulenzen Energie zugeführt, wird ein wabbeliger Schirm mit größeren Zellen diese Energie vor allem in die Verformung des Stoffes stecken, während ein steiferer Schirm stattdessen die gleiche Energie oder zumindest einen Teil davon für zusätzlichen Höhengewinn nutzt. "Der Schirm gleitet unheimlich gut gegen den Wind und nimmt jeden kleinsten Heber mit", beschreiben Piloten typischerweise, wie sie diesen Effekt in der Luft erleben.
Zitat Ende
Das stimmt nur in sehr geringem Maße. Generell unterscheidet hauptsächlich das gewählte Profil die verschiedene Schirme in ihrem Verhalten bei Böen.
Segelflugzeuge unterscheiden sich hier in gleichem Maße voneinander, haben aber alle steife Flügelstrukturen.
Grüße
Horschd
Servus Lucian,
AntwortenLöschenZitat:
Wird einem Flügel z.B. durch Mikroturbulenzen Energie zugeführt, wird ein wabbeliger Schirm mit größeren Zellen diese Energie vor allem in die Verformung des Stoffes stecken, während ein steiferer Schirm stattdessen die gleiche Energie oder zumindest einen Teil davon für zusätzlichen Höhengewinn nutzt. "Der Schirm gleitet unheimlich gut gegen den Wind und nimmt jeden kleinsten Heber mit", beschreiben Piloten typischerweise, wie sie diesen Effekt in der Luft erleben.
Zitat Ende
Das stimmt nur in sehr geringem Maße. Generell unterscheidet hauptsächlich das gewählte Profil die verschiedene Schirme in ihrem Verhalten bei Böen.
Segelflugzeuge unterscheiden sich hier in gleichem Maße voneinander, haben aber alle steife Flügelstrukturen.
Grüße
Horschd
Hallo Horschd,
AntwortenLöschendanke für den Hinweis. Natürlich ist das Profil erst einmal entscheidend. Aber bei gleichem Profil sind "steifere" Gleitschirme mit mehr Zellen im Vorteil. Ich habe im Text eine entsprechende Anmerkung gemacht, um das deutlicher zu machen.
Lucian
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