Leeloo X von Profly ist der erste als EN-B zugelassene Zweileiner. Eine gewisse Schlitzohrigkeit macht das Unmögliche möglich

Michael Nesler demonstriert die Zweileiner-Qualitäten
der Leeloo X. Die "Manöverleinen" an der vordersten
Tragegurtebene hat er im Flug einfach durchgeschnitten
(links gut zu sehen). // Quelle: Youtube, M. Nesler

Damit Gleitschirme eine Zulassung gemäß EN-Norm 926:2 erhalten, muss damit eine Reihe von Klapp-Manövern geflogen werden. Bei Zweileinern ist allerdings die A-Aufhängung am Profil so weit zurückgesetzt und so hoch belastet, dass sich damit Klapper kaum noch in geordneter Weise ziehen lassen. Dieses Dilemma wird gelöst, indem die Schirme nur für die Tests mit zusätzlichen Faltleinen ausgestattet werden. Diese sind näher zur Nase hin angebracht, tragen keine Last und haben den einzigen Zweck, die Front kontrolliert herunterziehen zu können . 

Allerdings streiten sich die Experten darüber, ob die sanfteren Faltleinen-Testklapper das eigentliche Klappverhalten eines solchen Schirmes nicht verharmlosen oder gar verschleiern. Auch aus diesem Grund ist der Einsatz von Faltleinen laut EN-Norm bisher nur für Schirme der sportlicheren Klassen EN-D und EN-C erlaubt. Sobald beim Testen eine Faltleine zum Einsatz kommt, bekommt der Schirm zwangsläufig mindestens die Note EN-C.

Die Leinengeometrie der
Leeloo X als Zweileiner,
hier ohne Manöverleinen
(klicke ins Bild zum
Vergrößern) // Quelle: Profly

So weit, so gut. Jetzt hat aber die Marke Profly mit einem Schirm die Zulassungsnote EN-B erhalten, von dem Konstrukteur Michael Nesler sagt, es handele sich um einen Zweileiner. Und tatsächlich wird bei der Leeloo X die Anhängelast im Flug genauso ins Segel eingeleitet wie bei klassischen EN-C- oder EN-D-Zweileinern – über eine zurückversetzte, in den Galerien gesplittete A-Ebene und eine B-Ebene, die sich ebenfalls nur knapp unterm Segel nochmals aufsplittet. Dennoch schaffte Nesler damit die Einstufung als EN-B. Was erst einmal paradox und wunderlich klingt, ist das Ergebnis einer gewissen Schlitzohrigkeit.

Im Spanischen gibt es das schöne Sprichwort: "Hecha la ley, hecha la trampa". Profan übersetzt heißt das soviel wie: "Jedes Gesetz hat immer seine Hintertürchen". Und das gilt offenbar auch für die Faltleinenregelung der EN-Norm 926:2 – wenn man die Faltleinen einfach etwas anders definiert und einsetzt.


Aus Faltleinen werden Manöverleinen

Vordere Aufhängung Leeloo X:
Manöverleine (rot) vor der
eigentlichen A-Ebene (blau)
// Quelle: Profly

Bisher wurden Faltleinen nur für die Klappertests montiert, weil sie ja ansonsten nur unnötigen Luftwiderstand erzeugen. Die damit getesteten Schirme werden am Ende immer ohne montierte Faltleinen verkauft und geflogen. Was aber, wenn man bei einem Zweileiner die Faltleinen auch in der Serie einfach dauerhaft am Schirm belässt und ihnen dann unter dem Titel "Manöverleinen" noch zusätzliche Funktionen zuordnet? 

Beispielsweise kann man die "Manöverleinen" für das Starten vorsehen, um ein viel sanfteres Aufziehverhalten als bei reinen Zweileinern zu erreichen. Oder man kann sie als Hilfsleinen auch nutzen, um die Ohren viel kontrollierter als bei üblichen Zweileinern einholen zu können. Selbst gehaltene Klapper, Big Ears oder das Spiralen mit angelegten Ohren werden damit möglich.

Wenn man also die Funktion der Faltleinen in dieser Weise zu Manöverleinen erweitert und sie auch am Serienschirm belässt, öffnet sich das Hintertürchen in der Zulassung. Dann werden EN-B Zweileiner möglich. Das mussten sogar die anfangs skeptischen Prüfer des DHV einsehen. Sie haben sich nach einigen Diskussionen den Argumenten Neslers gebeugt und der Leeloo X tatsächlich die Note EN-B statt EN-C zugesprochen.

Leeloo X Tragegurt
// Quelle: Profly

Nun könnte man darüber diskutieren, ob die Leeloo X zurecht als Zweileiner bezeichnet werden darf. Schaut man sich den zugehörigen Tragegurt an, so sind dort ja immer noch drei Ebenen zu erkennen. Die vorderste trägt in diesem Fall die Manöverleinen, dahinter folgen der eigentliche A-Gurt und B-Gurt.

Im Flug hängen die Manöverleinen ein wenig durch. Sie sind etwas länger und tragen deshalb keine Last. Michael Nesler hat in einem Video sogar schon vorgeführt, wie er die Manöverleinen während des Fliegens einfach mit einer Schere durchschneidet, ohne dass sich am Flugzustand des Schirmes irgend etwas ändert. Es ist der sichtbare Beweis: Die tragende Aufhängung der Leeloo X entspricht tatsächlich der eines typischen Zweileiners. (Rechtlicher Hinweis: Würde man bei einer Leeloo X in der Praxis die Manöverleinen abschneiden, würde sie damit ihre Zulassung verlieren.)

Weil die Manöverleinen keine Last tragen müssen, sind sie auch sehr dünn ausgeführt, um möglichst wenig Luftwiderstand, sprich Leistungseinbußen zu generieren. Unterm Strich zeige die Leeloo X, die sich ansonsten von ihren technischen Grunddaten her kaum vom klassischen Dreileiner Leeloo unterscheidet, dennoch Leistungsvorteile, ohne den Schirm im Flug anspruchsvoller zu machen, sagt Nesler. Inwieweit das stimmt, wird sich in der Praxis bei unabhängigen Tests noch erweisen müssen. 


Baby-Zweileiner?

Interessant ist diese Entwicklung allemal. Denn sie zeigt einen Weg auf, den künftig vielleicht auch andere Hersteller auf der Suche nach mehr Leistung beschreiten könnten, um die Konstruktionsweise der Zweileiner in die EN-B Klasse hineinzutragen. 

Ob so etwas letztendlich wünschenswert ist? Schon heute ist die B-Klasse sehr breit aufgestellt und von den Schirmcharakteren und ihren Anforderungen her  für die Piloten schwer zu überblicken. EN-B-Zweileiner werden die passende Auswahl noch unübersichtlicher machen. 

Massive Diagonalrippen der
Leeloo X // Quelle:Profly
Zumindest wäre es sinnvoll, für die neue Leinengeometrie mit fest installierten Manöverleinen auch einen neuen Marketingbegriff zur besseren Abgrenzung und Erkennbarkeit einzuführen. Wie wäre es mit "Baby Zweileiner"?

Die Leeloo X könnte für andere Hersteller auch in weiterer Hinsicht zum interessanten Anschauungsbeispiel werden. Michael Nesler ist es gelungen, den Schirm – trotz der größeren Profiltiefe eines EN-B und einer ausgelegten Streckung von "nur" 5,8 – komplett ohne stützende lange Stäbchen im Hinterflügel als Zweileiner abzuspannen.  Auch so etwas galt bisher als schwer möglich. Nesler setzt bei der Leeloo X auf zusätzliche Stabilität durch die bei seinen Konstruktionen übliche Rast-Querwand. Zudem hat er versteifende Gibus-Bögen aus Nitinol über der A-Aufhängung, deutlich breitere Diagonalrippen und ein spezielles oberes Zugband im Hinterflügel verbaut.


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