Ein Flug eines noch unerfahrenen (links) und eines schon erfahrenen Thermikfliegers (rechts) in der Simulation. Grün ist jeweils der Start- und rot der Endpunkt. // Grafik: PNAS, Massimo Vergassola |
Wie schaffen es Vögel, effizient in turbulenter Luft in der Thermik aufzusteigen und Strecken zu fliegen? Welche Informationen aus der Umwelt nutzen sie bei ihren Entscheidungen, ob und wie sie kreisen und wann sie besser geradeaus weiterfliegen sollen? Diese Fragen haben sich Forscher um den Physiker Massimo Vergassola von der University of California in San Diego gestellt. Antworten darauf haben sie mit einer aufwändigen Simulation gefunden. Die Ergebnisse sind jetzt im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences erschienen.
Die Forscher schrieben ein Computerprogramm, das zum einen eine konvektiv brodelnde, also turbulente Atmosphäre mit integrierten Thermikblasen simuliert. In dieses Umfeld entließen sie virtuelle Vögel, die in den Thermiken aufsteigen und möglichst lange fliegen sollten. Wie sie das anstellen, war nicht festgelegt. Vielmehr besaßen die Vögel einen Lernalgorithmus, der so programmiert war, dass erfolgreiche Handlungen eine positive Selbstverstärkung erfahren. "Reinforcement learning architecture", heißt das in der Fachsprache der sogenannten künstlichen Intelligenz. Handlungen, die anfangs nur zufällig geschehen, aber positive Ergebnisse wie etwa einen Höhengewinn liefern, werden mit jedem weiteren Flug verstärkt eingesetzt. So kristallisieren sich über viele "Trainingsflüge" in immer neuen atmosphärischen Bedingungen hinweg schließlich die erfolgversprechendsten Steuertechniken heraus.
Die virtuellen Vögel selbst hatten zwei sehr einfache Steuermöglichkeiten: Sie konnten den Anstellwinkel ihrer Flügel verändern und so langsamer und schneller fliegen, und zudem konnten sie ihre Schräglage beeinflussen. Interessant ist das, weil es im Grunde der Steuerung von Gleitschirmen entspricht und somit eine Übertragung der Ergebnisse erlaubt.
Als Sensoren für das Geschehen in der Luft standen den virtuellen Vögeln wiederum drei Messfühler zur Verfügung. Ein Höhenmesser, eine Art Gyroskop, mit dem sie erkennen konnten, welches Drehmoment die Turbulenzen der Luft auf sie ausüben, und ein empfindliches Thermometer (für kleinste Temperaturschwankungen). Übertragen auf die Gleitschirmfliegerei wären das ein Vario und ein Popometer (das Gefühl des Piloten für die Bewegungen seines Schirmes), während das Thermometer bisher nicht zum klassischen Instrumentarium gehört.
Interessanterweise ergab die Simulation im Lernergebnis der Vögel, dass ein Gefühl für die feinen Temperaturunterschiede der Luft so gut wie keine Vorteile beim Thermikfliegen bringt. Höhen- und Drehmomentmesser, also Vario und Popometer, reichen völlig aus, um aufzusteigen.
Lehren für die Thermikfliegerei
Die Vögel in der Simulation lernten tatsächlich sehr erfolgreich in der Thermik zu fliegen. Welchen Regeln sie dabei genau folgten, lässt sich aus so komplexen Algorithmen der künstlichen Intelligenz, die einem erfahrungsbasierten Lernen entsprechen, am Ende nur schwer herausfiltern. Einige sind freilich schon erkennbar, und sie entsprechen der üblichen Thermikfluglehre: In Aufwinden wird langsamer geflogen und gekreist, um Höhe zu machen; in Abwinden wird beschleunigt. Eingedreht wird entgegen dem durch eine Thermik ausgelösten Drehmoment des Flügels (wenn es den rechten Flügel hebt, dann flieg nach rechts...) etc.
Die Simulationen lieferten aber auch subtile neue Einblicke. Zum Beispiel zeigte sich, dass bei zunehmender Turbulenz der Atmosphäre das Einkreisen in Thermikblasen immer seltener tatsächlich Vorteile verspricht. Die virtuellen Vögel flogen in solchen Bedingungen "besser", wenn sie ihren Kurs beibehielten und auf Turbulenzen nur mit leichten Korrekturen der Ausrichtung und Geschwindigkeit reagierten. Je stärker die allgemeine Turbulenz, desto mehr lohnte es sich offenbar, nur noch in den stärksten Aufwindbereichen einzudrehen. Interessanterweise ist ein solcher Flugstil auch bei besonders effizienten Gleitschirmstreckenfliegern wie zum Beispiel Chrigel Maurer zu beobachten.
Die Forscher analysierten ihre Simulationsergebnisse noch unter einer weiteren Fragestellung? Führen selbstlernende Thermik- und Streckenflugalgorithmen am Ende zu einem Flugverhalten nach der Sollfahrttheorie von McReady? Hier zeigte sich wieder eine interessante Einsicht: Die virtuellen Vögel flogen mit ihrer erlernten Erfahrung am Ende nicht nach McReady, sondern konservativer, also etwas langsamer und auf etwas mehr Sicherheitshöhe bedacht. Unterm Strich führt ein solches Verhalten wohl doch noch häufiger zum Erfolg.
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