Leichte Gleitschirme ohne Untersegel erfreuen sich wachsender Beliebtheit. In der Luft bleiben Single-Skins aber ein Spezialfall. Ein Erfahrungsbericht

Start mit dem Skin von Niviuk am Hartkaiser.
Es ist eine verregnete Woche in Söll an der Hohen Salve: Morgens früh um halb sechs weckt mich ein Sonnenstrahl, der in mein Zimmer sticht. Der prüfende Blick aus dem Fenster fällt auf die Freifläche hoch oben im Wald des gegenüberliegenden Hanges: die Reiteralm. Grün und steil sieht sie aus, aber startbar. Das Flugfenster gilt es auszunutzen! Ich schultere mein Leichtwendegurtzeug und mache mich auf den Weg. Mit im Gepäck ein Single Skin von Niviuk, ein Leichtschirm ohne Untersegel. Um Zeit zu sparen – der nächste Schauer ist programmiert – fahre ich mit dem Auto bis zum Hangfuß. Dann stapfe ich munter den Forstweg empor. Der Aufstieg von 45 Minuten fällt mir leicht mit dem kleinen Gepäck, kaum größer als ein Tagesrucksack. Oben angekommen entpuppt sich die Wiese als wirklich steil und buckelig. „Wird ein spannender Start“, denke ich. Und das bei nahezu Nullwind.

Ich entscheide mit dennoch dafür, den Schirm rückwärts aufzuziehen. Ich will sehen, was die Kappe macht, wie sie sich formt und steigt. Ein lehrbuchmäßiges Auslegen ist an dem steilen Hang sowieso nicht möglich. Ich rechne also mit Startschwierigkeiten, doch dieses Vorurteil bleibt unbestätigt. Ein kräftiger Impuls und der Schirm spannt sich binnen einer Sekunde, steigt schnell und spurtreu. Ein kurzer Zug an den Bremsen stoppt die Kappe über mir, schnell Ausdrehen, nur zwei weitere kurze Schritte, und ich gleite durch die Luft. Sie ist zart wie Seide und schmeckt nach feuchten Wiesenkräutern. Über mir zittern die freiliegenden Profilrippen leicht im Fahrtwind, als spürten sie meine Freude. Ich juchze. Wenige Minuten später lande ich neben dem Wagen. Glücklich wie schon lange nicht mehr nach so einem kurzen Flug. Was für ein Start in den Tag, was für ein Gefühl von Freiheit! Ein halber Schirm, aber doppeltes Vergnügen.


Besonderheit #1: Der Start 
Single Skins lassen sich bauartbedingt extrem einfach starten. Das liegt zum einen an ihrem geringen Gewicht um die zwei Kilogramm oder darunter, zum anderen eben gerade am fehlenden Untersegel. Während ein normaler Schirm erst einmal seine Zellen füllen muss, um das Profil sauber und steigfreudig auszubilden, entfällt beim Single Skin die Füllphase. Die von Stäbchen vorgeformte Flügelnase zieht bei der leichtesten Strömung den restlichen Hauch von Stoff in die Höhe. Die etwas kürzeren Leinen tun ihr übriges. Das erlaubt erstaunlich kurze Startstrecken an zuvor undenkbaren Startplätzen - und das selbst bei Nullwind.


Der Skin von Niviuk: Fünf große Stützzellen und das weit nach unten
um die Profilnase gezogene Segel verbessern die Aerodynamik.
Dennoch ist die Kappe eines Skins in turbulenter Luft
weniger formstabil als ein klassischer Gleitschirm.
Dann leidet die Gleitleistung. 
Einen Tag später mache ich mit dem Single Skin einen Flug in der Wildschönau. Wieder ist Schauerwetter angesagt, die Flugschule versucht ihre Schüler in den Regenpausen in die Luft zu bringen. Ich mache mich an der Seite des Startplatzes fertig. In Wahrheit werfe ich den Schirm mit nur grob vorsortierten Leinen als Tulpe ins nasse Gras, ohne ihn weiter auszubreiten. Kurz nach dem Start eines Flugschülers laufe ich einfach los. Der Einfachsegler schwingt sich mühelos in den Zenith, und ich folge dem modernen A-Schirm des Vorfliegers im kurzen Abstand. Er fliegt, ich fliege, ohne dass sich unsere Flughöhen auch nach längerem Gleiten nennenswert unterscheiden. Der Single Skin gleitet also gar nicht schlecht. Dann zuppelt es sachte an den Leinen, mein Vario piepst, ich drehe ein. Viel Gewicht, wenig Bremse, um die Leistung des Flügels nicht gleich in den Keller zu schicken. Der Schirm zieht überraschend enge und stabile Kreise. Es geht sanft nach oben. Eine so saubere Thermikansprache hätte ich der kleinen Flügelfläche gar nicht zugetraut.


Besonderheit #2: Thermikfliegen
In der Luft fliegen sich Single Skins fast wie normale Gleitschirme. In ganz ruhigen Bedingungen kommt ihre Gleitleistung an die eines Schulungsschirmes heran. Das gilt zumindest für die etwas größeren Größen. Durch das fehlende Untersegel weist ihre Profilform eine hohe Wölbung auf. Das ist typisch für eher langsamere Profile, die aber viel Auftrieb erzeugen. In der Thermik wird das deutlich spürbar. Trotz der kleinen Flügelfläche und der somit hohen Flächenbelastung steigen Single Skins gut. Hier zeigen sich gegenüber klassischen Gleitschirmen keine Nachteile. Im Gegenteil: Als Miniwings offenbaren die Single Skins einen quirrligen, kurvenfreudigen Charakter, mit dem sich auch enge Steigzentren sauber zentrieren lassen. Nur an die ungefilterten Rückmeldungen der Kappe – mangels fehlender Luftmasse als Trägheitsdämpfung im Inneren der Zellen – muss man sich erst einmal gewöhnen.


Es herrscht kräftiger Wind, als ich mich am Oststart des Hartkaisers über Ellmau in die Lüfte schwinge. Das Gelände fällt am Anfang nur wenig ab und man muss schon eine Strecke hinausgleiten, um es sicher über die Seile des Ranhardliftes zu schaffen. Allen meinen Vorfliegern mit Normalschirmen gelingt das ohne Probleme. Doch der Single Skin stampft gegen den heute etwas kräftigeren Wind nur unwillig voran. In jeder stärkeren Turbulenz arbeitet der Schirm spürbar und quittiert das mit Höhenverlust. Ich sehe mich gezwungen, sicherheitshalber noch vor der Bahn am Hang wieder einzulanden. Den Schirm für ein paar Schritte geschultert, starte ich auf der anderen Seite des Liftes gleich wieder hinaus. Leid und Freud liegen dicht beieinander. Der weitere Flugweg ins Tal wird abermals spannend. Er hält noch eine Hochspannungsleitung als Hindernis parat. Ich peile und trete den Beschleuniger. Doch der Gleitwinkel scheint kaum besser zu werden. Dafür fängt der Schirm an zu summen. Die Profilrippen flimmern und übertragen die Unruhe auf die Leinen. Ich hoffe, dass der Wind nicht noch stärker wird, denn die alternativen Landemöglichkeiten werden knapp. Als ich die Stromtrasse doch noch sicher überfliege, drücke ich erleichtert den Atem zischend durch die Zähne. Das war spannender als erwartet.


Besonderheit #3: Leistungseinbruch im Gegenwind
Single Skin Schirme besitzen zwar einen Beschleuniger, doch dieser ist weniger effektiv als bei normalen Schirmen. Der Geschwindigkeitszuwachs beträgt selbst bei den modernen Varianten mit Stützzellen kaum mehr als 5-7 km/h. Das untersegelfreie Profil verliert bei einem geringeren Anstellwinkel spürbar an Tragkraft. Vor allem in sinkenden Luftmassen knickt die Leistung eines Single Skins viel stärker ein als bei einem herkömmlichen Schirm. Hinzu kommt, dass die Einfachsegler mangels Innendruck in Turbulenzen stärker in sich arbeiten. Statt in Auftrieb werden die Luftkräfte ständig in kleinere Segeldeformationen umgesetzt. So akzeptabel das Gleiten eines Single Skin in ruhiger Luft noch ist, so unberechenbar schlecht wird es in turbulenter Umgebung. So etwas gilt es zu berücksichtigen bei der Frage, ob und in welche Flugabenteuer man sich mit einem Single Skin begeben will.


Bei der Landung in Ellmau stoße ich auf eine weitere Schwierigkeit. Die Wiesen sind alle frisch mit Gülle gedüngt. Nur eine winzige Ecke ist frei geblieben. Ich fliege punktgenau an und achte darauf, dass der Schirm nicht hinter mir auf den Grund fällt. Der softe Bodenwind reicht aus, um die Kappe mühelos über mir zu halten und aus der „Gefahrenzone“ heraus zu stapfen. Ich lasse die Kappe knapp neben mir zu Boden sinken und teste eine Schnellpackmethode: Den Schirm Stäbchen auf Stäbchen an der Vorderkante zusammenraffen und diesen Stapel voran in den Packsack stecken. Den Rest stopfe ich einfach hinterher. Ohne Untersegel gibt es keine Luft, die man mühsam aus dem Schirm herauspressen muss. Noch ein Vorteil.


Fazit
Das Single-Skin Konzept fasziniert. Das geringe Gewicht, das kleine Packmaß und das einfachste Startverhalten sind vor allem für Piloten interessant, deren Fokus auf einem leichten Aufstieg und sicheres Abgleiten liegt, also ein klassisches Hike & Fly. Mit etwas Biss sind sogar kleinere Streckenflüge möglich. Allerdings sollte man sich der Leistungseinbußen im Gegenwind dabei immer bewusst sein. Einen gleichwertigen Ersatz für einen Normalschirm stellen die Single-Skins nicht dar. Und das lässt sich durchaus über die verschiedenen Marken und Konzepte hinweg verallgemeinern: Bei "bewegterem" Wetter und in Talwindsituationen erfordern sie eine sehr konservative Einschätzung der realen Flugleistung.


Deja-vu? Dieser Bericht ist in einer leicht anderen Fassung schon vor einigen Monaten in einem DHV-Info erschienen. Hat Dir die Lektüre gefallen? Du kannst die Arbeit an Lu-Glidz mit einem Förderbeitrag unterstützen.