Start mit dem Skin von Niviuk am Hartkaiser. |
Ich entscheide mit dennoch dafür, den Schirm rückwärts aufzuziehen. Ich will sehen, was die Kappe macht, wie sie sich formt und steigt. Ein lehrbuchmäßiges Auslegen ist an dem steilen Hang sowieso nicht möglich. Ich rechne also mit Startschwierigkeiten, doch dieses Vorurteil bleibt unbestätigt. Ein kräftiger Impuls und der Schirm spannt sich binnen einer Sekunde, steigt schnell und spurtreu. Ein kurzer Zug an den Bremsen stoppt die Kappe über mir, schnell Ausdrehen, nur zwei weitere kurze Schritte, und ich gleite durch die Luft. Sie ist zart wie Seide und schmeckt nach feuchten Wiesenkräutern. Über mir zittern die freiliegenden Profilrippen leicht im Fahrtwind, als spürten sie meine Freude. Ich juchze. Wenige Minuten später lande ich neben dem Wagen. Glücklich wie schon lange nicht mehr nach so einem kurzen Flug. Was für ein Start in den Tag, was für ein Gefühl von Freiheit! Ein halber Schirm, aber doppeltes Vergnügen.
Besonderheit #1: Der Start
Single Skins lassen sich bauartbedingt extrem einfach starten. Das liegt zum einen an ihrem geringen Gewicht um die zwei Kilogramm oder darunter, zum anderen eben gerade am fehlenden Untersegel. Während ein normaler Schirm erst einmal seine Zellen füllen muss, um das Profil sauber und steigfreudig auszubilden, entfällt beim Single Skin die Füllphase. Die von Stäbchen vorgeformte Flügelnase zieht bei der leichtesten Strömung den restlichen Hauch von Stoff in die Höhe. Die etwas kürzeren Leinen tun ihr übriges. Das erlaubt erstaunlich kurze Startstrecken an zuvor undenkbaren Startplätzen - und das selbst bei Nullwind.
Besonderheit #2: Thermikfliegen
In der Luft fliegen sich Single Skins fast wie normale Gleitschirme. In ganz ruhigen Bedingungen kommt ihre Gleitleistung an die eines Schulungsschirmes heran. Das gilt zumindest für die etwas größeren Größen. Durch das fehlende Untersegel weist ihre Profilform eine hohe Wölbung auf. Das ist typisch für eher langsamere Profile, die aber viel Auftrieb erzeugen. In der Thermik wird das deutlich spürbar. Trotz der kleinen Flügelfläche und der somit hohen Flächenbelastung steigen Single Skins gut. Hier zeigen sich gegenüber klassischen Gleitschirmen keine Nachteile. Im Gegenteil: Als Miniwings offenbaren die Single Skins einen quirrligen, kurvenfreudigen Charakter, mit dem sich auch enge Steigzentren sauber zentrieren lassen. Nur an die ungefilterten Rückmeldungen der Kappe – mangels fehlender Luftmasse als Trägheitsdämpfung im Inneren der Zellen – muss man sich erst einmal gewöhnen.
Es herrscht kräftiger Wind, als ich mich am Oststart des Hartkaisers über Ellmau in die Lüfte schwinge. Das Gelände fällt am Anfang nur wenig ab und man muss schon eine Strecke hinausgleiten, um es sicher über die Seile des Ranhardliftes zu schaffen. Allen meinen Vorfliegern mit Normalschirmen gelingt das ohne Probleme. Doch der Single Skin stampft gegen den heute etwas kräftigeren Wind nur unwillig voran. In jeder stärkeren Turbulenz arbeitet der Schirm spürbar und quittiert das mit Höhenverlust. Ich sehe mich gezwungen, sicherheitshalber noch vor der Bahn am Hang wieder einzulanden. Den Schirm für ein paar Schritte geschultert, starte ich auf der anderen Seite des Liftes gleich wieder hinaus. Leid und Freud liegen dicht beieinander. Der weitere Flugweg ins Tal wird abermals spannend. Er hält noch eine Hochspannungsleitung als Hindernis parat. Ich peile und trete den Beschleuniger. Doch der Gleitwinkel scheint kaum besser zu werden. Dafür fängt der Schirm an zu summen. Die Profilrippen flimmern und übertragen die Unruhe auf die Leinen. Ich hoffe, dass der Wind nicht noch stärker wird, denn die alternativen Landemöglichkeiten werden knapp. Als ich die Stromtrasse doch noch sicher überfliege, drücke ich erleichtert den Atem zischend durch die Zähne. Das war spannender als erwartet.
Besonderheit #3: Leistungseinbruch im Gegenwind
Single Skin Schirme besitzen zwar einen Beschleuniger, doch dieser ist weniger effektiv als bei normalen Schirmen. Der Geschwindigkeitszuwachs beträgt selbst bei den modernen Varianten mit Stützzellen kaum mehr als 5-7 km/h. Das untersegelfreie Profil verliert bei einem geringeren Anstellwinkel spürbar an Tragkraft. Vor allem in sinkenden Luftmassen knickt die Leistung eines Single Skins viel stärker ein als bei einem herkömmlichen Schirm. Hinzu kommt, dass die Einfachsegler mangels Innendruck in Turbulenzen stärker in sich arbeiten. Statt in Auftrieb werden die Luftkräfte ständig in kleinere Segeldeformationen umgesetzt. So akzeptabel das Gleiten eines Single Skin in ruhiger Luft noch ist, so unberechenbar schlecht wird es in turbulenter Umgebung. So etwas gilt es zu berücksichtigen bei der Frage, ob und in welche Flugabenteuer man sich mit einem Single Skin begeben will.
Bei der Landung in Ellmau stoße ich auf eine weitere Schwierigkeit. Die Wiesen sind alle frisch mit Gülle gedüngt. Nur eine winzige Ecke ist frei geblieben. Ich fliege punktgenau an und achte darauf, dass der Schirm nicht hinter mir auf den Grund fällt. Der softe Bodenwind reicht aus, um die Kappe mühelos über mir zu halten und aus der „Gefahrenzone“ heraus zu stapfen. Ich lasse die Kappe knapp neben mir zu Boden sinken und teste eine Schnellpackmethode: Den Schirm Stäbchen auf Stäbchen an der Vorderkante zusammenraffen und diesen Stapel voran in den Packsack stecken. Den Rest stopfe ich einfach hinterher. Ohne Untersegel gibt es keine Luft, die man mühsam aus dem Schirm herauspressen muss. Noch ein Vorteil.
Fazit
Das Single-Skin Konzept fasziniert. Das geringe Gewicht, das kleine Packmaß und das einfachste Startverhalten sind vor allem für Piloten interessant, deren Fokus auf einem leichten Aufstieg und sicheres Abgleiten liegt, also ein klassisches Hike & Fly. Mit etwas Biss sind sogar kleinere Streckenflüge möglich. Allerdings sollte man sich der Leistungseinbußen im Gegenwind dabei immer bewusst sein. Einen gleichwertigen Ersatz für einen Normalschirm stellen die Single-Skins nicht dar. Und das lässt sich durchaus über die verschiedenen Marken und Konzepte hinweg verallgemeinern: Bei "bewegterem" Wetter und in Talwindsituationen erfordern sie eine sehr konservative Einschätzung der realen Flugleistung.
Deja-vu? Dieser Bericht ist in einer leicht anderen Fassung schon vor einigen Monaten in einem DHV-Info erschienen. Hat Dir die Lektüre gefallen? Du kannst die Arbeit an Lu-Glidz mit einem Förderbeitrag unterstützen.
4 Kommentare
Neugierig wäre ich, wie sich die Single-Skins in wirklich knackiger Frühjahrsthermik machen, bzw. wie erträglich es für den Piloten ist der drunter hängt ;)
AntwortenLöschenSo komisch es klingen mag, wenn es wirklich zur Sache geht, häng ich lieber unter meinem Mentor als meinem Yeti (in etwa gleiche Flächenbelastung) ... denn der Yeti ignoriert gekonnt jede Form des aktiven Fliegens ;)
Hi Lucian,
AntwortenLöschenletztens habe ich gehört, das Bi-Skin von Niviuk würde flaren, während ich das vom UFO aus eigener Erfahrung nicht sagen kann. Wie hat sich das bei deinem Testflug mit dem Skin (1/2?) von Niviuk angefühlt?
Grüße, Dirk
Dirk, den Bi-Skin bin ich nicht geflogen, von daher kann ich über dessen Flare-Verhalten nichts realistisches sagen. Der Bi-Skin gehört ja schon zur 2. Generation der Single-Skins von Niviuk - mit 6 statt 5 Stützzellen und angeblich auch verbessertem Flare-Verhalten.
AntwortenLöschenGrundsätzlich werden die Single-Skins bauartbedingt kaum ein Flare-Verhalten wie ein echter Double-Skin erreichen können. Allerdings gilt auch: Typischerweise besitzen Schirme mit einer größeren Streckung ein besseres Flare-Verhalten. Da der Skin von Niviuk eine Streckung von 5,5 besitzt während der UFO nur auf eine Streckung von 4,26 kommt, würde ich davon ausgehen, dass der Skin bzw. Skin 2 in dieser Disziplin etwas besser ist.
Das Flare-Verhalten von Schirmen hängt natürlich auch von der eigenen Landetechnik ab. Mit etwas Vornickenlassen und Überfahrt bei der Landung kann man auch einen Single-Skin recht sanft aufsetzen. Wer hingegen den Endanflug mit gesetzter Bremse angeht, wird damit eher hart aufkommen.
Ich dachte nach dem Test des XXLite von Ozone auch, dass Single Skins nicht flaren können. Der Skin und der Bi-Skin von Niviuk machen das schon viel besser. Das UFO steht mit seinem Flare verhalten dabei irgendwo in der Mitte zwischen den anderen.
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