Aufgrund einer Unfallserie warnt der DHV: Etlichen neueren Gurtzeug-Modellen mit Beinsack fehlt eine wirksame Herausfallsicherung.
Ein Pilot rutscht am Startplatz aus seinem Liegegurtzeug. // Quelle: Screenshot Video, DHV |
Das Problem: Bei diesen Gurtzeugen lässt sich der Beinsack samt Cockpit schließen, ohne dass konstruktiv bedingt zugleich auch die Beingurte geschlossen werden müssen bzw. zumindest ein rudimentärer Rausfallschutz aktiviert wird.
Der Pilot kann dann fälschlicherweise den Eindruck gewinnen, sein Gurtzeug korrekt verschlossen zu haben. Durch den Beinsack bzw. das Cockpit wird ihm und anderen ein Kontrollblick auf die Beingurte verwehrt. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Pilot die offenen Beingurte gar nicht bemerkt und so startet.
Unfallserie
Allein in diesem Jahr haben sich laut der Unfalldatenbank der EHPU bereits fünf Unfälle ereignet, bei denen Piloten aus ihren Pod-Gurtzeugen wegen offener Beingurte herausgerutscht sind. Zwei der Unfälle endeten tödlich. Andere Vorfälle verliefen halbwegs glimpflich, weil die Betroffenen sich geistesgegenwärtig noch am Start gezielt aus dem Gurtzeug rutschen ließen (vgl. Bild, entnommen aus einem Video), oder bewusst nach dem Abheben gleich zu einer Seite in den Hang steuerten.
Um 2010 herum gab es laut DHV schon einmal eine ähnliche Unfallserie. Damals führten Gespräche dazu, dass Gurtzeughersteller versprachen, in neuen Modellen solche Herausfallsicherungen zu integrieren. In jüngerer Zeit hätten aber wieder einige Hersteller neue Gurtzeuge auf den Markt gebracht, die keine wirksame Sicherung besitzen, mahnt der DHV. Ein Beispiel ist das Gurtzeug Arrow von Niviuk (s. Video).
Nachtrag vom 19.10.: Niviuk hat reagiert und mittlerweile eine Herausfallsicherung als Nachrüstset entwickelt, die in Kürze für bereits ausgelieferte Arrow-Gurtzeuge verfügbar sein soll. Alle künftigen Gurtzeuge (Arrow und Hawk) werden bereits ab Werk damit ausgestattet sein.
Änderung der Bauvorschriften?
Der DHV will nun erreichen, dass künftig in die LTF-Bauvorschrift und die EN-Norm 1651 für Gurtzeuge Vorgaben für entsprechende Herausfallsicherungen bei Pod-Gurtzeugen aufgenommen werden. Bis es soweit ist, wird es aber noch dauern.
In der Zwischenzeit setzt der Verband auf Aufklärungsarbeit, um die Piloten für diese Sicherheits-Problematik zu sensibilisieren. Unter anderem empfiehlt er einen konsequenten Partnercheck am Startplatz (Vier-Augen-Prinzip). Der DHV regt auch an, dass Piloten bei den Herstellern nachfragen sollten, ob es möglich wäre, bei ihrem Gurtzeug eine Herausfallsicherung nachzurüsten. Das würde den Druck auf die Hersteller erhöhen, hier tätig zu werden.
Laut DHV gibt es allerdings keine Pläne, die am Markt schon verfügbaren Gurtzeugmodelle ohne Herausfallsicherung zu grounden.
9 Kommentare
2010 ging es um das Impress 2+. Daraufhin hatte ich, selbst betroffen, eine sogar nachrüstbare Herausfallsicherung am Getup entwickelt, probegeflogen, veröffentlicht und lizenzfrei mit Zeichnungen und Bildern sowohl an Advance als auch an die PMA weiter gegeben. Dieses Konzept (nur passive Glieder am Gurt) wurde später zuerst von Woody Valley und dann von allerlei anderen übernommen. Die PMA hat das allerdings mir gegenüber als unnötig abgelehnt und Advance sogar mir mit rechtlichen Schritten gedroht.
AntwortenLöschenEs ist wirklich traurig, dass es dem DHV nicht wert ist, potentiell 1-x Menschenleben zu retten und dafür etwas Gegenwind von den Herstellern in Kauf zu nehmen. Groundet diese Gurtzeuge!
AntwortenLöschenIch habe kein Verständnis mehr für die Versäumnisse des DHV!
@Thomas: In diesem Fall sollte man nicht den DHV "bashen", sondern die Hersteller auf die Versäumnisse aufmerksam machen. Wenn die Piloten selbst auf solche Details achten und sie nachfragen würden, wären die Hersteller sicher schnell dabei. Es ist halt auch eine Frage der Nachfrage.
LöschenAußerdem würde es rechtlich wohl gar nicht einfach sein, so ein Grounden durchzusetzen. Denn die GZ entsprechen allen derzeit gültigen Normen, d.h. auch allen bestehenden Sicherheitsvorschriften. Ein vergessenes Schließen der Beingurte ist letztendlich ein Bedienungsfehler des Piloten.
Immerhin kommt jetzt Bewegung in die Sache. Und wenn der DHV erreicht, dass solche Herausfallsicherungen jetzt doch in die LTF und EN-Normen mit aufgenommen werden, wäre das ein großer Sicherheitsfortschritt.
Persönlich finde ich absolut lächerlich den Aufruf das die Gurtzeuge gegroundet werden. Wer nicht in der Lage bei Gurtzeuge eine Routine aufzubauen und diese Ordnungsgemäß dabei zu schließen, sollte sich Gedanken machen ob er in die Luft gehört. Bedenklich ist schon das der DHV hier intervieren möchte, obwohl die Gurtzeuge Absatz finden aber der Kunde in einer kleinen Anzahl , einfach nicht fähig ist eigenverantwortlich zu handeln. Im Grunde passt das aber ganz gut in unsere Zeit.
AntwortenLöschenGrüße Michael Hartmann
Genau so habe ich - einigermaßen arrogant, wie ich das heute sehe - bis 2010 auch gesprochen, als es zu mehreren Toten mit "meinem" Gurtzeug kam und das öffentlich diskutiert wurde. Allerdings hat es mich dann nach Hinderten Flügen trotz sauberer Startroutine selbst erwischt: Ein anderer Pilot hatte einen Notfall, ich habe meinen Start abgebrochen, bin aus dem Gurt raus und habe erst mal geholfen. Dann wieder - immer noch voll Adrenalin - in den abgelegten Gurt zurück, aufgezogen und nur dank ebendieser Routine zum Glück richtig reagiert (Arme hoch), als der Gurt wider Erwarten vom Schirm nach oben gezogen wurde...
LöschenDanach habe ich meine Einstellung zu "Macht halt Eure Checks richtig" überdacht, mich öffentlich dafür entschuldigt, die Konstruktion(en) analysiert und eine Lösung geschaffen. Denn auch die Sicherheitsgurt-Diskussion aus meiner Kinderzeit hätte, wäre sie mit "Fahrt halt vorsichtig!" erschlagen, keinem was gebracht.
Natürlich gibt es hier mehrere Grau Töne und nicht nur Schwarz Weiß, finde aber den Vergleich mit dem Sicherheitsgurt nicht gut passend. Dieser suggeriert das kein Schutz gegeben ist, eher würde ich sagen es ist ein Gurt und Airbags vorhanden, wir sprechen aber über eine Meldeanlage ob der Gurt auch Angelegt worden ist. Hier lässt sich sich natürlich Vortrefflich darüber diskutieren ob es das braucht oder nicht. Deine Position mit dem Backround, lässt sich finde ich sehr gut nachvollziehen daher spricht auch nichts dagegen hier das Produkt zu verbessern. Im Gegensatz finde ich wenn Hersteller und Kunde natürlich nach reiflicher Überlegung sich ohne diesen zusätzlichen Schutz einig werden, muss das auch völlig legitim sein. Es wird ja dadurch nicht lebensgefährlich. Grüße Michael Hartmann
LöschenWas ich mir angewöhnt habe, aber eher weil die Verschlüsse bei kalten Finger oft schwer zu schließen sind: das Gurtzeug gar nicht öffnen sondern am Landeplatz einfach "rausschlüpfen"- Am Starplatz dann einfach umgekehrt. So bleiben die Bein-Gurte immer gechlossen...
AntwortenLöschenNachtrag vom 19.10.: Niviuk hat reagiert und mittlerweile eine Herausfallsicherung als Nachrüstset entwickelt. Es soll in Kürze für bereits ausgelieferte Arrow-Gurtzeuge verfügbar sein. Alle künftig produzierten Gurtzeuge (Arrow und Hawk) werden bereits ab Werk damit ausgestattet sein.
AntwortenLöschenEs ist schon viele, viele Jahre her, da hatten wir einen PWC-Durchgang in Saint Hilaire. Ein deutscher Pilot den ich persönlich sehr schätze, vergaß an seinem Genie Race 2 die Beingurte zu schließen. Er hat es glücklicherweise beim Startlauf noch gemerkt und ist kurz vor dem Abheben noch aus dem Gurt herausgeschlüpft. Den Anblick des fliegenden Schirms ohne Piloten und dem vor Schreck kreideweissen Gesicht des Piloten werde ich nie vergessen. Sehr schade, dass dies bis heute ein Thema ist, obwohl längst bekannt.
AntwortenLöschenGrüße Reiner
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