Ich habe schon lange keinen Beitrag mehr für die Rubrik "Meteowissen" geschrieben. Einige Erlebnisse der letzten Zeit haben mir nun aber ein passendes Thema geliefert: der Wind im Winter. Denn der hat es in sich, zumindest was die Gültigkeit der Prognosen betrifft. Denn gerade jetzt kommt es häufiger vor, dass man am Startplatz ganz andere Windverhältnisse vorfindet, als von den allgemeinen Windprognosen her herrschen sollten. Woran liegt das?

Wie häufig beim Wetter gibt es natürlich sehr viele Faktoren, die hier eine Rolle spielen. Maßgeblich ist aber vor allem eine Tatsache: Durch die schwache Sonneneinstrahlung im Winter erwärmt und durchmischt sich die bodennahe Luftschicht nicht sehr stark. Diese sogenannte Grenzschicht ist also deutlich dünner als im Sommer. Entsprechend niedriger liegt dann, v.a. bei fliegerisch nutzbarem Hochdruck, die typische Inversionsschicht. Während im Sommer die Inversionsgrenze im Mittelgebirgsraum in der Regel zwischen 1500 und 2000 m MSL liegt, sinkt sie im Winter an manchen Tagen bis auf 300 m ab. Da die meisten Hangstartplätze in den Mittelgebirgen irgendwo zwischen 300 und 700 m MSL zu finden sind, ergeben sich bei niedriger Inversion interessante Effekte - die auch noch von Standort zu Standort deutlich variieren können. Im folgenden werde ich drei klassische Situationen beschreiben:

Im Kaltluftsee:
Durch nächtliche Ausstrahlung bilden sich in geschlossenen Tälern und Senken im Winter ruhige Seen aus kalter Luft. Bei tiefer Inversionsgrenze - etwa auf Kammhöhe - wird der Höhenwind ohne großen Widerstand drüber wegblasen, während an meinem Startplatz am Hang fast kein Lüftchen weht. An solchen Tagen sind nur ruhige Abgleiter möglich. Oder man kennt einen alternativen Startplatz der den Kaltluftsee deutlich überragt.

Inversionsdüse

Beim zweiten typischen Fall liegt die Inversionsgrenze etwas oberhalb der Kammhöhe unseres Flugberges. Unterhalb der Inversion kann also noch Luft "über" die Geländekonturen fließen. Damit ist der bodennahe Wind nicht mehr grundsätzlich blockiert. Da die Inversion aber immer noch sehr nah am Gelände ist, bildet sich zwischen Boden und Inversion über dem Kamm eine deutliche Düse aus. Hier wird der Wind, selbst wenn er sonst am Boden nur schlapp daher kommt, kräftig beschleunigt. An passenden Startplätzen könnte man in so einer Situation möglicherweise noch gut soaren, selbst wenn im Tal die Windfahnen nur leicht vor sich hin baumeln und die Windprognosen allgemein recht schwach sind. Je näher die Kammhöhe der Inversionsgrenze kommt, desto stärker wirkt diese Düse. So können schon von einem Berg zum anderen lokal ganz unterschiedliche Windbedingungen herrschen. "Hier hat's total geblasen", sagen dann die einen z.B. am Finkenberg, während die anderen bei seichtestem Bodenwind im tiefer gelegenen Rodenbach stehen.

Doppelte Düse
Noch trickiger wird es, wenn im Tal vor meinem Startplatz auch noch ein Kaltluftsee liegt, der aber nicht bis oben reicht. Dann habe ich zum einen den Düseneffekt durch die niedrige Inversion. Und zum anderen hat die Luft, die über den glatten Kaltluftsee streicht, wenig an dem sie sich reiben könnte. Dadurch kann sie schneller fließen. In so einem Fall werde ich am Startplatz recht kräftigen, aber auch sehr gleichmäßigen Wind haben. Jetzt bieten sich die besten Winter-Soaringbedingungen, mit zum Teil sehr "laminaren" Bedinungen, fast wie an der Küste. Solange man in diesem Windband bleibt, kann man stundenlang fliegen. Sinkt man allerdings nur ein bisschen zu tief, hat man im Kaltluftsee keine Chance mehr, sich zu halten. Steigt man nur ein bisschen zu hoch, kann knapp unter der Inversiongrenze der Wind wiederum so deutlich zunehmen, dass man fast rückwärts fliegt. Solche Verhältnisse sind in der Eifel z.B. häufiger am Bausenberg anzutreffen.

Die klassischen Wettermodelle im Computer rechnen mit einem viel zu groben Geländemodell bzw. Raster, um solche lokalen Kaltluftsee-, Düsen- und Inversionseffekte überhaupt abbilden zu können. Deshalb liegen v.a. bei Inversionswetterlagen (Hochdruck) im Winter die Windkarten häufig völlig daneben, zumindest was die Windstärke betrifft. Da hilft es auch nicht - wie ich es für den Sommer dringend empfehle - auf die Höhenwindkarten zu achten. Die Höhenwindprognose für 925 hPa zeigen die Wind in ungefähr 850 m Höhe. Das liegt im Winter häufig schon über der Inversion, die in diesem Fall sogar wie eine schützende Grenze wirkt: Selbst wenn er in der Höhe extrem stark bläst, wird der Wind, ohne die im Sommer übliche thermische Durchmischung, nicht in Böen bis zum Boden durchschlagen. Man kann im Winter häufig noch vollkommen harmlos und sicher rumsoaren, selbst wenn der Höhenwind Werte erreicht, die im Sommer "absolut unfliegbar" wären.

Nun ist es leider so, dass man keine allgemeingültige Regel für den Winterwind aufstellen kann - wann er also gut fliegbar, wann zu schwach und wann zu stark sein wird. Hier hilft nur Erfahrung weiter, und zwar für jedes Gelände einzeln. Wer es etwas genauer nehmen will, dem empfehle ich, sich zumindest aktuell gemessene Temps anzuschauen, etwa von Idar-Oberstein (bei Südwind für die Eifel relevant!) oder Essen. Da kann man erkennen, in welcher Höhe typischerweise die Inversionsgrenze liegt. Beginnt sie schon bei etwa 950 hPa, kann man den Höhenwind bei seiner Flugplanung (Hangsoaring) für tiefer gelegene Gelände i.d.R. getrost außer Acht lassen. Hilfreiche Hinweise über bodennahe Winde liefert auch der Ballonwetterbericht. Mehr dazu im früheren Post Höhenwinde in niedriger Höhe.

Neben den oben beschriebenen Effekten kann eine Inversion, die nur knapp über den Kammlagen zu finden ist, noch andere unberechenbare Folgen haben. Eine davon sind Welleneffekte (s. auch mein früherer Post Leewellen im Hügelland). An den Kompressionszonen in den Kammdüsen wird die Inversion wie eine Gummiband ausgelenkt und wellt dann hinter dem Hinderniss noch lange nach. Diese Wellen sind selten so gut zu sehen wie auf dem Foto, aber häufig deutlich zu spüren. Sie sorgen nämlich auch im Winter gelegentlich für überraschende Turbulenzen und Windschwankungen auf kleinem Raum, manchmal noch kilometerweit hinter dem eigentlichen Auslöser. Normale Gleitschirmpiloten kommen selten dazu, die Unterschiede auszutesten, weil man gar nicht weit übers Land fliegt. Aber Motorschirmpiloten werden auf ihren Touren so etwas häufiger begegnen und sich wundern, warum sie plötzlich viel stärkeren und dann, ein paar hundert Meter weiter, wieder nur schwachen Gegenwind spüren. Ob über dem Gelände gerade ein Wellenberg oder ein Wellental liegt, kann durch Abschwächung oder Verstärkung von Düseneffekten zu entsprechenden Windsprüngen führen.