Frontklapper: Jetzt anbremsen oder nicht? // Bild: P. Medicus |
Laut Lehrmeinung des DHV ist die beste Reaktion bei einem Frontklapper: Hände hoch! Damit soll verhindert werden, dass ein Pilot seinen Schirm, der sich beim Frontklapper häufig und zumindest kurzzeitig in einem Sackflug befindet, nicht vor Schreck daran hindert, wieder eine tragfähige Strömung aufzubauen und ihn gar in den Fullstall zieht. Diese passive Hände-Hoch-Haltung des Piloten kann freilich im Sinne des o.g. Leistungsmakels dazu führen, dass Schirme überhaupt erst in eine stabile Frontklapper-Situation kommen.
Fragt man heutige Testpiloten nach der besten Reaktion bei einem Frontklapper, so raten die wenigsten zum sturen Hände-hoch. Vielmehr halten sie ein schnelles, beidseitiges, impulsives (d.h. kurzes) Anbremsen für das Mittel der Wahl. Das Runterreißen der Hinterkante presst die verbliebene Restluft in der Kappe nach vorne und lässt die eingeklappte Front schneller wieder aufschnalzen. Eine flotte Bremsreaktion verhindert nicht nur, dass sich besonders große Frontklapper entwickeln, sondern unterstützt die Wiederöffnung. Werden Frontklapper in klassischer DHV-Lehrtradition passiv ausgeleitet, kann das mit teils massivem Höhenverlusten einhergehen (man schaue sich nur mal die abschreckenden Statistiken der DHV-Sicherheitstests an), während die gleichen Schirme mit Bremseinsatz beim Frontklapper häufig völlig harmlos „repariert“ werden können.
Allerdings ist diese Harmlosigkeit an Bedingungen geknüpft: Zum einen muss der Pilot wirklich schnell reagieren. Sobald er die beginnende Entlastung der A-Leinen spürt, gilt es hart (Bamm!) in die Bremsen zu gehen, aber diese dann auch genauso schnell wieder zu lösen (also nix mit Baaaam!). Denn hält er die Bremse zu lange gezogen, ist der Strömungsabriss programmiert, mit allen dann möglichen verhängnissvollen Kapriolen. Viele Fluglehrer trauen eine solche Impulsivität und Geistesgegenwart ihren Schülern, aber auch EN-B-Piloten wohl nicht zu. Deshalb wird weiter stur das Hände-hoch gelehrt und propagiert, obwohl dies bei vielen modernen Flügeln und Flugsituationen eher die schlechtere Wahl darstellt.
Freilich gibt es auch Situationen, bei denen der Bremseinsatz beim Frontklapper kontraproduktiv ist. Und zwar dann, wenn der Bremseinsatz zu spät erfolgt. Ist der Schirm in der Mitte schon wieder geöffnet und beginnt gerade Luft zu holen und Fahrt aufzunehmen, kann schon ein geringer Bremszug ausreichen, um sofort einen totalen Strömungsabriss einzuleiten. Wer jetzt erst die Bremse zieht, wird mit Fullstall und heftigem Vorschießen bestraft. Sollte dieses auch noch unsymmetrisch erfolgen, sind heftige Klapper und Verhänger möglich.
Dieses Verhalten der Schirme nach einem Frontklapper verlangt vom Piloten deshalb noch eine zweite Reaktion: Er sollte auf jeden Fall bei Klappern schnell zur Kappe schauen, um erkennen zu können, in welchen Zustand sie sich befindet. Ist die Front noch eingerollt, ist ein Bremsimpuls durchaus ratsam. Ist die Mitte der Front schon wieder offen, ist Hände hoch und fliegen lassen i.d.R. die bessere Wahl. Nur ein allzu weites Vorschießen sollte dann noch abgefangen werden.
Ist die Mitte allerdings geschlossen, während die Ohren schon ihr volles Profil haben, ist der Bremseinsatz gewissermaßen Pflicht. Sonst riskiert man, vor allem bei gestreckteren Schirmen, dass beide Ohren nach vorne schlagen und sich möglicherweise verhängen. Das sollte in jedem Fall vermieden werden. Nicht von ungefähr nennen Wettkampfpiloten eine solche Konstellation der verschlungenen Stabilos „Kiss of death“, den Todeskuss.
Philipp Medicus, Testpilot bei Nova, hat zum Thema „Bremseinsatz bei Frontklappern“ ein informatives Video produziert. Es entspricht nicht der Lehrmeinung des DHV, illustriert aber gut das hier geschriebene.
Russel Ogden, Testpilot bei Ozone, hielt im vergangenen Jahr vor US-Wettkampfpiloten einen Weiterbildungsvortrag, bei dem es unter anderem um die richtige Pilotenreaktion bei Frontklappern ging. Dort propagierte auch er den beherzten Bremseinsatz, um Schlimmeres schon im Ansatz zu vermeiden – und zwar nicht nur bei Wettkampfsicheln, sondern auch bei niedriger klassifizierten Schirmen. Russel gestand sogar, dass er zumindest beim beschleunigten Fliegen ständig nach oben schaue und die Front seines Flügels beobachte. So könne er mögliche Entlaster viel schneller erkennen und das Problem schon beheben, bevor es sich spürbar entwickeln kann. Auch von diesem Vortrag gibt es ein Video im Netz. Der englische Vortrag dauert 45 Minuten, ist aber sehr informativ.
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2 Kommentare
Hallo Julian, ich finde es als Schüler mit 30 Starts in der Höhenausbildung interessiert zu sehen, was mit der Kappe bei der jeweiligen Reaktion passiert. Nun ist es so das bei der ‚neueren‘ Meinung, Bamm, kurz anbremsen, eine Entscheidung vorausgehen muss, und zwar zu erkennen, um welches Stadium des Klappens es sich handelt, ind zwar auch Bamm. Wenn ich mir die im Video gezeigten Schirmreaktionen auf Frontklapper anschaue, würde ich instinktiv eher die Hände hoch Meinung des DHV bevorzugen, da hier ungeachtet der Art der Verformung erst mal keine Entscheidung nötig ist, sondern eigentlich nur die Entscheidung zum kurzen Bremsimpuls beim vorschiessen der Kappe ( oder auch nicht ) erfolgen muss.
AntwortenLöschen@Christian: Für einen noch wenig erfahrenen Piloten unterm A-Schirm ist "Hände hoch" in solchen Situationen immer die beste Lösung. Denn es braucht Zeit und viele Flüge, um verschiedene Reaktionen einer Kappe überhaupt erst einmal kennenzulernen und dafür ein Gefühl zu bekommen.
AntwortenLöschen"Aktives Fliegen" hat am Ende wenig mit kognitiven Entscheidungen zu tun, die man irgendwie bewusst treffen muss, sondern es wird zum Automatismus. Wie beim Fahrradfahren, wo man ein Abkippen des Rades automatisch durch Lenkbewegungen ausgleicht, ohne darüber nachzudenken, wird man mit der Zeit beim Gleitschirmfliegen (wenn man es denn regelmäßig tut) lernen, Kappenbewegungen und -zustände gewissermaßen intuitiv im Ansatz zu erkennen und bei Bedarf auszugleichen. Mit einem "Bämm" auf den Bremsen zur passenden Zeit lassen sich fast alle Klapper meist schon im Ansatz unterbinden oder zumindest so stark abmildern, dass daraus keine Folgeprobleme mehr entstehen.
Ein "Problem" ist, dass das Gleitschirmfliegen auch Piloten möglich ist, die nur sehr wenige Flugstunden im Jahr zusammen bekommen. Diese Automatismen werden da aber zu wenig trainiert und ins Muskelgedächtnis eingebrannt. Für solche Piloten ist die Empfehlung "Hände hoch" in der Regel tatsächlich die bessere, weil man so dem Schirm zumindest die Chance gibt, das Problem selbst zu lösen (was A- und B-Schirme dann auch meistens sehr gut meistern).
Das ist übrigens auch der Grund, warum man die allgemeine Empfehlung, in seiner Pilotenkarriere nicht zu schnell auf Schirme höherer Klassen umzusteigen, durchaus beherzigen sollte. Diese intuitiven "Bämm"-Reaktionen brauchen Zeit und viele Wiederholungen, um sich derart einzubrennen, dass sie auch schnell genug erfolgen.
Zum Erlernen hilft übrigens auch kein Sicherheitstraining. Ein SIV ist zwar sinnvoll, um mal das Gefühl eines Klappers zu erleben und Vertrauen in seinen Schirm zu entwickeln. Genauso ist es das SIV sinnvoll, um Steuertechniken zu erlernen, wie man einen geklappten Schirm noch kontrollieren kann. Aber das reale Verhindern von Klappern wird man nur in der freien Wildbahn mit viel Flugzeit auch in bewegterer Luft trainieren können.
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