Diverse Berichte von Wolkenflügen liefern Stoff für Diskussionen: Könnte Wolkenfliegen mit dem Gleitschirm nicht legalisiert werden? Ein Gastbeitrag von Otto Voigt.

Ein vereister Pilot nach einem Wolkenflug bis auf 5000 Meter.
// Quelle: Youtube (Video nicht mehr verfügbar)
Es kommt selten vor, dass auf Lu-Glidz Texte von fremden Autoren erscheinen. Das Thema Wolkenflug, zu dem ich in jüngerer Zeit eher zufällig mehrfach berichtete (siehe: Panik in der Wolke und Ein vereister Rekord) scheint allerdings für manche Piloten durchaus eine Faszination auszuüben. Wolken sind Grenzen, aber eben keine festen, weshalb es den einen oder anderen reizen würde, diese Grenzen einfach zu überschreiten - und sei es erst einmal nur in Gedankenspielen. Otto Voigt, erfahrener Segelflieger und Gleitschirmpilot aus der Schweiz, liefert im folgenden Gastbeitrag einige interessante Argumente, die teils für, teils gegen die Wolkenfliegerei mit dem Gleitschirm sprechen. 


Im Segelflugzeug auf 4500 Meter oben aus der Wolke fliegend, habe ich auch schon Gleitschirme und Deltas weiter unten seitlich aus der gleichen Wolke herauskommen sehen. Ein mulmiges Gefühl, wenn man sich vorstellt, vielleicht an denselben in der Suppe vorbei gestiegen zu sein. Wenn das viele so machen, wird es da mal krachen. Andererseits: Weshalb sollen sie nicht das Erlebnis haben, wenn sie Wolkenfliegen können und dabei keine anderen gefährden? Sie sollten sich halt wenigstens am Funk melden! 

Der Gleitschirm hat für Fluggeräte einzigartig stabile Eigenschaften, ungebremst geradeaus zu fliegen oder mit geringer Asymmetrie eine stabile Kurve zu halten. Dass verleitet Piloten dazu, vor dem Talsprung mal ein paar Höhenmeter im überschaubaren Kumuli geradeaus noch "mitzunehmen". Natürlich völlig illegal. Aber ist es tatsächlich so gefährlich? 

Erahnen lassen sich solche Wolkenflüge meist aus der Höhenaufzeichnung im OLC, wenn vor dem Talsprung die Steighöhe plötzlich 300 Meter höher lag als zuvor. Tatsache ist: Man kann den illegalen Wolkenflug kaum kontrollieren, und solange keine Unfälle daraus entstehen, muss man sich fragen, ob eine andere Regelung nicht sinnvoller wäre?

Schauergeschichten durchziehen die Szene und bewirken bei einigen - ungewollt in der Wolke gesogen - gleich für Panikstimmung. Aber nicht wenige werden danach eher übermütig, drehen gleich mal ein paar hundert oder mehr Meter in der Wolke auf. Sie stellen dann erstaunt fest: Es geht tatsächlich. Es ist überhaupt nicht turbulenter, und man wird nur etwas durchgeschüttelt beim Ausflug aus der Wolke. 

Wenn einige das Wolkenfliegen weiter auskosten stellen sie fest, dass sie bald patschnass werden, was sicher nicht gerade angenehm ist. Noch höher hinauf, zwischen 0 bis minus 12 Grad Celsius, kommen die unterkühlten Wassertropfen, die ganz schnell gefrieren. Ein komplett vereister Schirm ist ein faszinierender Anblick, allerdings für die Aerodynamik des Schirmes leider nachteilig, denn er wird langsamer.

Das Mittelohr sorgt für Desorientierung
Alle machen mit dem Phänomen der räumlichen Desorientierung Bekanntschaft. Einmal mehrere Kreise drehend, beruhigt sich die Flüssigkeit im horizontalen Bogengang des Mittelohrs wieder, und jeder würde bei Tod und Teufel unterschreiben, dass er jetzt geradeaus fliegt. Aber das GPS zeigt klar eine Drehung an. Kaum fliegt der Pilot tatsächlich geradeaus, rotiert die Flüssigkeit nun andersherum und vermittelt ihm den Eindruck, auf die Gegenseite zu drehen. Das Gefühl ist so stark, dass er ungewollt korrigierend immer wieder in die alte Kurve fällt. 

Wenn diese Gefühle gewinnen, vertraut man dem Instrumenten nicht mehr. Man meint sogar, der GPS-Empfang müsse gestört sein. Wem soll man glauben? 

Diese Gefühle zu unterdrücken und den Instrumenten zu "vertrauen", ist das Ergebnis einer gezielten Schulung und verlangt nach ständiger Übung und Selbstbeherrschung.

Solche Lagegefühle können einem total irrige Bilder vorgaukeln. Nach einer Kurve wieder geradeaus fliegend, bei nun geringerer G-Belastung, meint man in einen Sturzflug überzugehen. Oder nach Einleiten der Kurve mit nun erhöhten G's bald senkrecht nach oben zu steigen. Das ist total faszinierend, aber sehr unangenehm, wenn die Panik ausbricht. Irgendwann ist man fertig, fix und fertig. Der Segelflieger zieht dann die Sturzflugbremse und stellt die Steuer in die Mitte. Ruhe kehrt ein und man fällt halt irgendwo aus der Wolke. Aber am Gleitschirm, wenn man Glück hat und der Kumulus nicht überentwickelt, sollte man die Ohren angelegen und so stabiler geradeaus fliegend irgendwann auch mal herauskommen. 

Übrigens: Beim Geradeausfliegen kann es bei zunehmenden Höhenwinden zu seltsamen Angaben kommen. So geht es bei über 40 km/h Höhenwind immer irgendwie in nur eine Richtung, egal wohin man dreht, der Groundspeed lässt grüssen. Auch der magnetische Kompass verliert bei Querneigungen über 25 Grad durch die hängenden Feldlinien des Erdmagnetfeldes jede Orientierung und tanzt sinnlos hin und her. 

Am gefährlichsten wird ein Wolkenflug in einem Kumulus, der gerade überentwickelt. Normalerweise nimmt das Steigen in der Wolke bei stabiler Schichtung zur Inversion hin ab. Bei flacher Druckverteilung, eher stabiler Grundschicht und feuchtlabiler Höhenschichtung geht's unten meistens eher mühsam los. Der zunächst harmlose Kumulus schluckt einen mit weiträumigen schwachem Steigen. Die Steigwerte steigern sich jedoch bald. 3, 4, 5 Meter pro Sekunde lassen bald das Variometer schrill heulen. Selbst mit angelegten Ohren und voll beschleunigt geht es weiter aufwärts, manchmal unheimlich ruhig. 10 bis 20 m/s Steigen sind keine Seltenheit.

Das Segelflugzeug hat da wenig Probleme, zischt mit 150 km/h seitlich davon. Der Ausflug aus der Wolke ist optisch atemberaubend schön, und das Eis fällt irgendwann wieder weg. Man staunt dann nicht schlecht, was aus dem kleinen Baby-Kumulus geworden ist. Am Gleitschirm hängend will man längst unbedingt da raus, aber das Teufelsding saugt auch Luft von der Seite an und bald empfangen einen Eis, Graupel, Blitz und Donner. Jeder kennt unterdessen die unheimlichen Berichte, die man sich kaum vorstellen will.

Historisch ist der thermische Wolkenflug so alt wie der Segelflug selbst. Das Wolkenflug gefährlich sein konnte, wurde schnell erkannt, wenn das Sperrholzgerät, in seine Einzelteile zerlegt, aus der Wolke heraus regnete. Dem Kontrollverlust der Fluglage und Richtung wurde durch den Einbau eines Wendezeigers und eines Kompasses begegnet. So konnte die Rotation um die Hochachse und die Flugrichtung erfasst werden. Der Pilot konnte geradeaus fliegen oder Kurven erkennen. 

Die Geschwindigkeit kontrollierte er durch das Höhensteuer wobei gilt: Geschwindigkeit steigt => ziehen, Geschwindigkeit sinkt => stossen. Ein Kontrollverlust war jedoch trotzdem möglich, wogegen man für Segelflugzeuge Sturzflugbremsen entwickelte, die gefährlich hohe Geschwindigkeiten verhinderten. Einflüge in Wolken ohne Instrumente durch unausgebildete Motorpiloten führen noch heute unweigerlich zum Kontrollverlust der Fluglage und oft zu fatalen Abstürzen.

Zur Vermeidung von Zusammenstössen in der Wolke wurden Absprachen über Funk vorgenommen. Für die Schweiz wurden Wolkenflugzonen errichtet und die Separation erfolgte ohne ATC (Air Trafik Control) über "Blindcalls" der Piloten untereinander. Das klappte über viele Jahrzehnte unfallfrei und war sehr beliebt. Insbesondere mit dem zusätzlichen Einbau erschwinglicher künstlicher Horizonte konnte der unangenehmen räumlichen Desorientierung besser begegnet werden. 

Eine grobe Lagebeherschung war dem Piloten nach 10 bis 20 Minuten Schulung bereits möglich. Durch juristischen Druck europäischer Normen wurde das bewährte Schweizer Modell leider abgeschafft. Bodenleitstellen erhielten die Kontrolle zurück und ein Transponder wurde Pflicht. Gleichzeitig wurde Wolkenflug in Segelflugzonen mit reduzierten Wolkenabständen verworfen und dadurch in der Praxis unmöglich.

Wäre ein Wolkenflug mit Gleitschirmen rechtlich überhaupt möglich? 
Viele mögen alleine bei dem Gedanken daran empört sein. Eine mögliche Selbstgefährdung mal ausgeblendet, ist ein legaler Wolkenflug mit Gleitschirmen nicht völlig undenkbar, wenn die Rechte und Pflichten für Wolkenflüge eingehalten würden. Also mit Flugfunk, Sprechfunkerlaubnis, Höhenmesser und Transponder ausgerüstet, wäre eine Anfrage bei der ATC nicht aussichtslos. 

Die Eignung des Fluggerätes ist wegen der Zulassungsbefreiung des Gleitschirmes in den meisten Ländern ausgeklammert, außer im Handbuch des Herstellers steht ausdrücklich "Wolkenflug mit diesem Muster ist nicht gestattet". Der Pilot bräuchte zudem die Ausbildung und Berechtigung für Wolkenflüge, für die allermeisten Tuchflieger eine unüberwindbare Hürde. Für einen Controler am Boden jedenfalls bräche die Panik aus, wenn hunderte von Gleitschirmen mit Transpondern plötzlich um Erlaubnis für Wolkenflug ansuchten. Eine völlig liberale Lösung ohne Ausbildung, ohne Zulassung und mit "Blindcall" Separation in ausgewiesenen Räumen wäre aber bestimmt ein interessantes Experiment.

Nicht nur Wolkenflüge mit Gleitschirmen sondern bereits die Nichteinhaltung der Wolkenabstände sind eigentlich illegal. Doch die wenigsten halten sich in der Praxis daran. Sind wir nun alle gefährliche Straftäter? Im Luftraum E, ein Mischraum von ATC geführtem IFR-Verkehr und teils unbekanntem VFR-Verkehr ist der Wolkenabstand 300 Meter vertikal und 1.5 Kilometer horizontal einzuhalten. Diese Regel entstand aus der Annahme, dass ein Motorflugzeug aus der Wolke mit 250 Knoten fliegend noch sieben Sekunden Zeit hat, ein Fluggerät zu erkennen und ihm auszuweichen.

Doch wer Motorflieger ist, meidet Kumulis mit ihren unangenehmen Turbulenzen ohnehin, auch wenn er unter IFR Regeln fliegt, außer er möchte seine Passagiere zum Kotzen bringen oder befindet sich im Instrumentenanflug zu einer Piste. Doch diese Lufträume sind in diesen Höhen meistens durch die Luftraumklasse D abgedeckt und für Gleitschirme ohne ATC Bewilligung tabu. 

So kommt es, dass wohl nur sehr sehr selten ein Hängegleiterpilot einen solchen Brummer aus "seiner" Wolke im Luftraum E hat fliegen sehen. Darum hält sich tatsächlich und verständlicherweise kaum jemand an diese "theoretischen" Sicherheitsabstände, natürlich völlig illegal, aber ist das gefahrlich? 

Die ungenutzten Ansprüche einiger weniger IFR-Teilnehmer nach den großen Wolkenflugabständen im Luftraum E stehen in einem unglaublich unfairen Verhältnis von tausenden Thermikhungrigen an einem schönen Thermiktag. Gefährlich ist da eher das an der "Basis kratzen" von mehreren Gleitschirmen und pfeilschnellen Segelflugzeugen, wo tatsächlich gefährliche Annäherungen wahrscheinlich werden. 

Die Schweizer Lösung weiträumig definierte Segelflugzonen im Luftraum E zu definieren und zeitlich mit einem "NO IFR" zu belegen, ist ein sehr intelligenter Weg. Realistische 50 Meter vertikaler bzw. 100 Meter horizontaler Wolkenabstand sind viel vernünftiger und werden auch weitgehend von allen akzeptiert. Solche Ansprüche werden aber in anderen Ländern völlig ignoriert. Im Gegenteil: In vielen Ländern wird der Luftraum auf Vorrat sogar einfach ab 1000 Fuß mal auf D oder gar noch restriktiver gesetzt und der "Vol Libre" praktisch in die Illegalität gezwungen. Wenn schon illegal, dann muss man sich an nichts halten, Vernunft ade?! Wer mal in Spanien die weiteren Streckenflüge im OLC anschaut und auf "Luftraum" drückt, kommt da echt ins Staunen.

IFR-Piloten wollen eigentlich vom Wetter unabhängig und durch die ATC sicher geleitet von A nach B gelangen. Dabei im Luftraum E Kumuluswolken auszuweichen oder davor den Steigflug etwas anders zu legen, wäre eigentlich kein großes Opfer. Doch bereits der Aufwand, im Luftraum E "See and avoid" zu praktizieren, ist vielen IFR-Piloten zu unsicher, zu mühsam oder gar artfremd. Dann erst noch einem kleinen Spaßflieger den Vortritt gewähren zu müssen, kann zu einem empörenden "near miss" Rapport führen, was den Druck auf die Luftraumverteilung weiter erhöht. 

So ist es noch ein weiter Weg, bis unserem freien Flugsport jene Rechte und Räume zur Verfügung gestellt werden, der auch seinen gestiegenen Dimensionen entsprechen.

Fazit: Lufträume sollten wesentlich Anwender gewichtet aufgeteilt werden. Wolkenflug mit dem Gleitschirm sollte man nicht einfach vorschnell pauschal verteufeln. Doch das Risiko des Kontrollverlustes bei stärkerer Überentwicklung ist durch die geringen Leistungswerte, der möglichen Desorientierung und ungenügenden Notabstiegsmöglichkeiten zu groß und unverantwortlich. 

Otto Voigt - Segelflieger, Motorflieger und Gleitschirmpilot.


Hinweis: Diesen Gastbeitrag habe ich auf Lu-Glidz übernommen, nicht um für Wolkenflüge eine Lanze zu brechen, sondern weil der Text eine ganze Reihe interessanter, teilweise bisher nur selten thematisierter Aspekte rund um dieses Thema aufgreift. Als Gastbeitrag spiegelt der Text freilich die Meinung des Autors, aber nicht zwangsläufig die von Lu-Glidz wider. Ich selbst bin überzeugt, dass ein Gleitschirm in Wolken nichts verloren hat. Man sollte die weißen Bäusche einfach als natürliche Grenze akzeptieren.