Das Fliegen in deutschen Mittelgebirgen war unfallträchtig in den vergangenen Tagen. Das hing mit einer niedrigen, unberechenbaren Inversionslage zusammen.

Windprognosen für ein Fluggebiet im Westerwald am Donnerstag.
Unten rum erscheint der Wind noch soarbar, doch nach oben hin
nimmt er schnell stark zu. Solche Lagen können die Luft auch
in Bodennähe sehr ungemütlich machen und für unverhoffte
Turbulenzen sorgen.
// Quellen: Meteo-Parapente.com, Windy.com
In den vergangenen Tagen erreichten mich gleich mehrere Unfallmeldungen und Berichte über "seltsame" Bedingungen in der Luft. Das traf vor allem auf die westlichen Mittelgebirge in Deutschland zu. Schuld daran dürfte in vielen Fällen eine ungewöhnliche Wetterlage gewesen sein, die zwar mit viel Sonne, Herbstfarben und  augenscheinlich schönen Soaringbedingungen lockte, aber versteckte Giftigkeit im Gepäck hatte.

Was war hier los? Seit Wochenanfang lieferte eine konstante Südströmung sehr warme Luftmassen nach Deutschland. Diese waren für die Jahreszeit so warm, dass sich eine sehr niedrig liegende Inversion ausbildete. Darunter war es dank weitgehend ungehinderter Sonneneinstrahlung im Tagesverlauf durchaus thermisch. Aber diese thermische Entwicklung wurde schon nach wenigen Dutzend Metern wieder gestoppt.

Wer an thermischen Tagen in größerer Höhe an Inversionen stößt, kennt das Phänomen: Es wird ungemütlich. Die Thermikblasen steigen nicht weiter, sondern scheren aus, werden zerrissen und umeinander geworfen. Man hat seine liebe Müh, den Gleitschirm über sich zu halten. Diese Schicht ist klapperträchtig. Wenn man sich mal einen Klapper fängt, kann man freilich noch in Ruhe reagieren, denn man hat in der Regel genug Luft unter sich, um den Schirm wieder auf die Spur zu bringen.

Bei niedrigen Inversionen fehlt dieses Luftpolster. Wer bei solchen Bedingungen fliegen geht, muss sich des erhöhten Risikos bewusst sein. Klapper finden dann immer in Bodennähe statt. Für ein ausgegorenes Rettungsmanöver bleibt möglicherweise gar nicht mehr die Zeit.


Windgradient erhöht das Risiko

In den vergangenen Tagen kam noch ein zweiter Faktor als Risiko-Booster hinzu: Der Wind blies recht kräftig und wurde vor allem auf Höhe der Inversion deutlich verstärkt. Zwischen Bodennähe und vielleicht 100-200 Meter über Grund herrschte laut Prognosen ein Windgradient von zum Teil schon mehr als 10 km/h.

Wenn man solche Differenzen in den Prognosen sieht, sollten immer die Warnleuchten angehen!

Als Daumenregel gilt: Bei mehr als 10 km/h Windgradient auf 500 Meter Höhendifferenz wird es für Gleitschirmflieger grenzwertig. Das gilt erst recht, wenn man mit einer thermischen Ankopplung der tieferen Luftschichten an den Höhenwind rechnen muss.

Je größer der Windgradient auf kleinen Distanzen ist, desto unberechenbarer wird die Lage. Allein durch die Geschwindigkeitsunterschiede der Strömung können sich starke Scherungen ergeben. Diese können sogar Rotoren im freien Luftraum erzeugen. Die mögliche Folge: Piloten bekommen es unverhofft, scheinbar aus dem Nichts, mit starken Turbulenzen zu tun.

Allerdings – so unverhofft ist das ganze gar nicht. Wer seine Hausaufgaben macht und vor dem Fliegen die Windprognosen checkt – und zwar stets nicht nur den Boden-, sondern auch den Höhenwind – der würde solche besonderen Lagen erkennen können. Bei Windprognosen wie den oben gezeigten ist es "gesund", von einem Soaringflug selbst an niedrigen Hängen abzusehen. Es kommen auch wieder bessere Tage, die eindeutig und ohne solche versteckten Risiken zum Fliegen einladen.

Beim Check der Höhenwindprognosen sollte man, gerade im Herbst, nicht nur auf die typischen Windkarten für 925 hPa (~750m) oder 850 hPa (~1500m) schauen. Es gibt auch feiner gestaffelte  Höhenwindprognosen, die man checken kann. Nützliche Quellen dafür sind beispielsweise Meteo-Parapente oder Windy, bei denen man sich für einzelne Punkte entsprechende Windgramme oder Airgramme anzeigen lassen kann, wie sie oben als Grafik zu sehen sind.


Nachtrag (20.10.): Auf diesen Beitrag hin erreichte mich die Nachfrage, ob solche Inversionen nicht auch schützend wirken, indem sie verhindern, dass der starke Höhenwind thermisch nach unten gemischt wird. Die Antwort lautet: Es kommt darauf an. 
In den Wintermonaten, wenn die thermische Entwicklung tatsächlich nur sehr schwach verläuft (da die Sonne einfach nicht stark genug ist, und zudem der Boden feucht und vielleicht von Schnee bedeckt), gibt es tatsächlich kaum eine thermische Ankopplung des Höhenwindes. Inversionen wirken dann wie ein schützendes Tischtuch. Hohe Windgeschwindigkeiten in der Höhe werden dann kaum turbulent nach unten durchgereicht. Die Warmluft will einfach nicht nach unten.
Wenn allerdings der Boden trocken und die Sonneneinstrahlung noch verhältnismäßig stark ist, zumal sie im passenden Winkel auf die Südhänge fällt, kann auch im Herbst die Thermik unten raus stark genug ausfallen, um den Höhenwind aus der niedrigen Inversion heraus gewissermaßen anzuzapfen. Dann ist bei solchen Wetterlagen besondere Vorsicht geboten!