Matt Wilkes fliegt mit Atemmaske im Dienste der Wissenschaft. // Foto: Matt Wilkes, Free Flight Physiology Project |
Der Physiologe von der University of Portsmouth ist selbst Gleitschirmflieger. Er initiierte das Free Flight Physiology Project. Ziel ist es, vor allem die körperlichen Ansprüche des Fliegens in großen Höhen genauer zu erforschen. In einer ersten Untersuchung verglich er Messdaten, die zwei gut trainierte Piloten bei mehrstündigen Höhenflügen bis über 6000 Meter im Himalaya gewannen, mit Messreihen von vier anderen Piloten, die in mittleren Höhen bis 3000 Meter in den Alpen unterwegs waren. Ergänzend analysierte er die Herzschlagraten von 17 weiteren Piloten während 138 Flugstunden. Als Basis diente hier die Flugdatenbank von Flymaster. (Einige Flymaster-Instrumente lassen sich mit einem Pulssensor koppeln und zeichnen dann neben dem Flugtrack auch die jeweils aktuelle Herzschlagrate auf).
Die umfangreichsten Messungen fanden bei den Flügen in mittleren Höhen statt. Hier trugen die Piloten, darunter Wilkes selbst, unter anderem auch spezielle Masken, die automatisch das eingeatmete Sauerstoff- und das ausgeatmete Kohlendioxid-Volumen erfassen. Anhand dieser Werte lässt sich der Stoffwechselumsatz abschätzen.
Der Energieverbrauch im Flug ist gering
Interessanterweise fand Wilkes keine auffälligen Unterschiede zwischen den Flügen in mittleren und großen Höhen. Die Herzschlagrate und die Atemfrequenz war zwar bei den Flügen weit über 3000m etwas erhöht, doch deuten die Werte nicht auf übermäßig gestiegene Belastungen durch die Höhe hin. Erklären lässt sich das mit Hilfe einer anderen Beobachtung. Der Energieverbrauch des Körpers beim Gleitschirmfliegen ist im Vergleich zu anderen Tätigkeiten erstaunlich gering. Den Messungen bei den Flügen in mittleren Höhen nach, die in warmen und wenig turbulenten Bedingungen erfolgten, erreicht er durchschnittlich nur 1,7 metabolische Äquivalente. (In kälteren und turbulenteren Bedingungen dürften die Werte freilich etwas höher liegen).
Die Einheit metabolisches Äquivalent (MET) wird von Physiologen genutzt, um den Energieverbrauch verschiedener körperlicher Aktivitäten miteinander zu vergleichen. 1 MET entspricht dabei ungefähr dem Energieumsatz des Körpers in Ruhe. Laut Studien anderer Forscher kommen beispielsweise leichte Hausarbeit wie Geschirrspülen auf 2-2,5 MET, das Wandern mit leichtem Gepäck auf 6-7 MET und Fußballspielen auf 10 MET.
Der niedrige MET-Wert des Gleitschirmfliegens zeigt, dass das in der Regel entspannte Sitzen im Gurtzeug plus leichte Steuerbewegungen eine geradezu geruhsame Tätigkeit darstellt. Laut Matt Wilkes ist sie von der körperlichen Belastung her mit dem Autofahren vergleichbar.
Ein Faktor wird vom MET allerdings nicht erfasst: Das ist die geistige Beanspruchung, die mit einer Tätigkeit verbunden ist. "Es ist deshalb möglich, dass jede Erschöpfung, die nach einem längeren Gleitschirmflug auftritt, einem ähnlichen Mechanismus folgt wie die Ermüdung nach einer langen Autofahrt: Es ist eine Mischung aus geistiger Ermüdung und einer eher nur empfundenen als tatsächlichen physischen Anstrengung", heißt es in der Studie.
Der Start ist am stressigsten
Eine weitere Erkenntnis ist nicht ganz so überraschend, aber ebenfalls bemerkenswert: Der größte körperliche Stress im Flug herrscht in den ersten Minuten nach dem Start.
Matt Wilkes analysierte pro Flug vier typische Phasen: Start- und Landephase, Thermikflug und Gleitflug. Dabei erfasste er jeweils fünf Minuten lang die physiologischen Werte. In seine Betrachtung der Startphase flossen nicht die Vorbereitung und der eigentliche Startlauf mit ein, sondern nur die ersten fünf Minuten des Fluges nach dem Abheben. Und auch da herrschen, gegenüber allen anderen Phasen, deutlich höhere körperliche Belastungen. Der Puls ist erhöht, aber vor allem beim sogenannten Sauerstoffpuls zeigen sich Spitzenwerte. Der Sauerstoffpuls beschreibt die mit dem Herzschlag transportierte Sauerstoffmenge.
Wilkes sieht in diesen körperlichen Reaktionen ein Zeichen von Angst bei den Anfängern, während er bei erfahrenen Piloten dahinter einen gewissen Erfolgsdruck vermutet. Auch aus Studien mit Fallschirmspringern sei bekannt, dass selbst sehr erfahrene Springer noch ähnliche Stressanzeichen beim Start zeigten. Es gebe also keinen Gewöhnungseffekt.
Der Startstress ist nicht unproblematisch. Er geht mit einer Aktivierung des sympathischen Nervensystems einher, das unter anderem die Kampf- und Fluchtimpulse des Menschen steuert und dabei das rationale Denken und kontrollierte Handeln einschränken kann. Angesichts der Tatsache, dass viele Unfälle mit dem Gleitschirm gerade in der Startphase passieren, könnten selbst erfahrene Piloten von Entspannungsübungen vor dem Start profitieren, so Wilkes.
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