Schirmtests auf Lu-Glidz sind weniger Tests, als vielmehr Charakterstudien. Am Ende bleibt die Frage: Bist Du als Pilot bereit, Dich auf bestimmte Schirm-Eigenheiten einzulassen?

Ausgiebiges Groundhandling verrät viel über die Eigenheiten
eines Schirms. // Quelle: Lu-Glidz
Im Laufe meiner Pilotenkarriere bin ich bereits über 80 verschiedene Schirmmodelle geflogen und habe viele davon für Lu-Glidz auch intensiver "getestet".

Anfangs hatte ich noch die Idee oder den Anspruch, mit möglichst ehrlich geschriebenen Tests die Spreu vom Weizen zu trennen. Je mehr unterschiedliche Schirme ich allerdings flog, desto mehr musste ich feststellen: Eine grundsätzliche Einordnung der Modelle in gut oder schlecht bzw. besser oder schlechter ist gar nicht möglich. Denn de facto hat die Schirm-Entwicklung mittlerweile solche Standards erreicht, dass es keine eindeutigen Ausreißer mehr gibt, von denen ich rundherum und guten Herzens abraten würde. Man kann mit allen Modellen, die eine EN-Zulassung durchlaufen haben, sicher in die Luft kommen und eindrückliche Flüge erleben. Vor allem wenn man als Pilot bereit und fähig ist, sich auf die Eigenheiten eines Schirmes einzustellen.

Diese Eigenheiten gilt es allerdings zu kennen. Deshalb fokussiere ich meine Aufmerksamkeit und am Ende auch meine Beschreibungen in den Tests auf jene Eigenschaften eines Schirmes, die mir besonders auffallen – weil sie positiv, negativ oder zuweilen auch ohne eindeutige Wertung aus der Masse der vielen anderen Modelle herausstechen. Denn sie prägen letztendlich den besonderen Charakter eines Schirmes.


Probieren geht über studieren

Manchmal sind es nur kleine Details, die im Text eines Schirmtests auf Lu-Glidz dennoch viel Raum bekommen. Eben weil es Charaktereigenschaften sind, die das getestete Modell von anderen unterscheidbar macht.

Manche Leser könnte das verführen, allein aus der Zahl der Zeilen, die ich für die Beschreibung bestimmter Merkmale verwende, eine Wertung abzuleiten. Dem ist aber nicht so: Zuvorderst geht es mir um eine verständliche und nachvollziehbare Wiedergabe meiner Eindrücke, die ich beim Fliegen und auch intensiven Groundhandling mit einem Schirm gesammelt habe. Gedacht ist das als Hilfe, um anderen Piloten eine Vorstellung davon geben zu können, worauf sie selbst bei eigenen Probeflügen achten bzw. was sie ausprobieren sollten.

Denn wenn ich eine eindeutige Empfehlung zu Schirmen aussprechen kann, dann ist es diese: Kaufe Schirme niemals "blind"; und vertraue auch nicht "blind" den Beschreibungen eines Tests egal welchen Autors. Selber probieren geht über studieren!

Ist im Test vielleicht ein eindeutiger Hinweis auf schlagende Ohren zu finden? Dann empfiehlt es sich bei eigenen Probeflügen mehrfach die Ohren zu ziehen, um zu schauen, ob der Schirmtyp in "meinem" Setting (Schirmgröße, Flächenbelastung, Gurtzeug, Brustgurtweite etc.) das gleiche Verhalten zeigt, und ob ich das mögliche Geschüttel für mich noch als vertretbar oder vielleicht schon unerträglich empfinde.

Ist im Test eventuell ein anspruchsvolles Startverhalten beschrieben? Dann ist es ratsam, diesen Schirm auf einer Wiese selbst Dutzende Male aufzuziehen; mit betont viel und extra wenig Impuls, mit allen und dann auch nur den inneren A-Leinen, aus der Rosette heraus, gerade oder betont bogenförmig ausgelegt, direkt und auch schräg zum Wind, etc. (Derart systematisch gehe ich auch im Rahmen der Lu-Glidz-Tests bei wiederholten Groundhandling-Sessions vor).

Es gibt Schirme, die absolvieren das alles mit Bravour. Andere werden nur in einem sehr engen Handlingfenster ein harmonisches Füll- und Startverhalten zeigen. Dann stellt sich die Frage, ob ich als Pilot willens und fähig bin, meine Starttechnik im Alltag so anzupassen, dass ich den Schirm möglichst nah an dieses Optimum bringe, damit ich mit ihm sicher in die Luft kommen kann.

Test des Kurbelverhaltens – mit vielen Wiederholungen
und diversen Steuertechniken.
Das Gleiche gilt übrigens auch für jedes Schirmverhalten im Flug. Manche Modelle, die zum Beispiel auf den ersten Blick schwerer nachzuzentrieren sind, zeigen sich mit angepasster Steuertechnik durchaus willig. Vielleicht bedarf es eines Brake-Shiftings, vielleicht muss die Außenbremse bewusst ganz frei gegeben werden, damit der Schirm mit einem Mal eine deutlich größere Agilität entwickelt?


In guten wie in schlechten Lüften...

Letzten Endes ist es – wie in jeder Beziehung – eine Frage des Charakters bzw. der Charaktere und wie man miteinander harmoniert. Aber stets geht es auch um die Frage, welche Bereitschaft man zeigt, sich auf Eigenschaften des Gegenübers einzulassen.

Wer von seinem Schirm eine herausragende Gleitleistung im beschleunigten Flug verlangt, wird zum Beispiel deutlich dünnere Leinen akzeptieren (müssen). Damit gehen typischerweise vermehrt Probleme an suboptimalen, hakeligen Startplätzen einher. Ein Hinweis darauf im Test ist in jedem Fall angebracht. Daraus folgt aber keine grundsätzliche Kritik. Die Gewichtung der Vor- und Nachteile liegt stets im Auge des Betrachters.

Es gibt Gleitschirmhersteller, die sich bei mir schon darüber beschwerten, dass ich noch nie einen Schirm von ihnen rundum für gut befunden hätte. Letzten Endes macht das Bestreben, Stärken wie Schwächen offen zu beschreiben, in meinen Augen die Qualität eines guten Tests aus.

Es hilft ja wenig, einen Schirm als Partner wie frisch verliebt mit rosaroter Brille zu betrachten und alles toll zu finden. Auch bei der Schirmwahl gilt der Spruch: Drum prüfe, wer sich ewig (bzw. länger) bindet.

Zu einer Prüfung gehört allerdings nie nur der andere. Auch ich als Pilot muss mich fragen: Bin ich bereit, mich mit allen Eigenschaften eines Schirms zu arrangieren, in guten wie in schlechten Lüften?