Die überarbeitete Norm EN 926.2 ermöglicht die Zertifizierung von Zweileinern als EN-C. Airdesign prescht mit einem ersten Modell vor.
Der Airdesign Volt 4 ist der erste als EN-C zertifizierte Zweileiner. // Quelle: Airdesign |
Anfang Februar wurde eine überarbeite Fassung der EN-Norm 926.2, welche die Zertifizierung von Gleitschirmen regelt, auf der DIN-Website veröffentlicht. Sie trägt nun offiziell die Bezeichnung "EN926-2:2013+A1:2021".
Eine zentrale Anpassung darin: Der Einsatz von Faltleinen zur Einleitung von Front- und Seitenklappern bei der Zertifizierung bedeutet künftig nicht mehr automatisch, dass ein Schirm in die Kategorie D eingestuft werden muss. Auch bei Schirmen der Kategorie C sind im Rahmen der Zulassung Faltleinen erlaubt (bei A und B hingegen weiterhin nicht). Das macht den Weg frei für Zweileiner in der Klasse EN-C.
Überraschend kommt das nicht. Dass die EN-Norm in diese Richtung angepasst würde, ist den Szene-Fachkreisen schon länger bekannt. Es standen nur noch Fragen im Raum wie: Wann wird die Norm veröffentlicht und somit anwendbar? Und welcher Hersteller wird der erste sein, der sich die Lorbeeren des Vorreiters mit der Premiere eines EN-C-Zweileiners sichert? Auch das ist seit dem vergangenen Wochenende bekannt.
Volt 4 als Vorreiter
Airdesign-Konstrukteur Stephan Stiegler nutzte die Online-Ausgabe des Stubai Cups, um in einem Livestream-Video zu verkünden: Der neue Volt 4 ist ein Zweileiner und bereits in zumindest einer Größe (S) als EN-C mit Faltleinen zugelassen. Den Schirm mit Streckung 6,5 bewirbt Airdesign als "#speedmachine", weil er ein auch für C-Schirme enormes Geschwindigkeitsfenster bis zu 20 km/h über Trimm besitzen soll.
Leistungs- und XC-Fetischisten wird das hellhörig werden lassen. Wobei man freilich nicht verkennen sollte: Physik bleibt Physik. Eine hohe Geschwindigkeit bedeutet viel kinetische Energie, die von Schirm und Pilot bei einem Klapper irgendwie abgefangen werden muss. Ein schneller Zweileiner wird, trotz EN-C, sicher nicht das frommste Fullspeed-Klappverhalten an den Tag legen – vor allem bei Frontklappern. Denn von Zweileinern ist bekannt: Die Kappen fliegen ungeheuer stabil, gerade auch im Speed. Aber wenn sie doch einmal unterschneiden, ist ein Pilot gefragt, der weiß, was er tut und der auch schnell reagiert.
Das Lancieren des Volt 4 als Zweileiner ist nicht nur für Airdesign ein Experiment. Es wird auch von den anderen Herstellern aufmerksam verfolgt. Noch weiß niemand: Ist der Markt, ist die Schar der Piloten, die einen C-Schirm fliegen wollen, reif für diese konstruktive Neuerung? Wird es einen Hype um neue EN-C-Zweileiner geben, oder könnte es Jahre dauern, bis sich das Gros der Käufer darauf einlässt?
Zweileiner mit Nachteilen
Der Libanese Ziad Bassil, in der internationalen Szene bekannt für seine Schirmtest unter dem Label Dust of the Universe, hat in den vergangenen Wochen viele Hersteller angeschrieben, um sie nach ihrer Einschätzung zum Thema EN-C-Zweileiner zu befragen. Die eintrudelnden Antworten veröffentlichte er in einer Reihe von Posts im englischen Paraglidingforum (1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6). Daraus wird ersichtlich: Alle Befragten erkennen im Grunde gewisse Leistungs-, aber vor allem auch die Handlingsvorteile von Zweileinern durch die sehr effiziente B-Steuerung im beschleunigten Flug an. Doch nicht alle jubeln ob der neuen Möglichkeit, Zweileiner als EN-C einer breiteren Pilotenschar zugänglich zu machen. Denn diese Bauweise hat auch gewisse Nachteile.
Gut zusammengefasst ist das in einer Antwort von Pierre Yves Alloix, dem Konstrukteur von Supair. Er führt gleich mehrere Minuspunkte an, die man akzeptieren müsse, wenn man einen Zweileiner wählt – darunter: Zweileiner sind komplexer aufgebaut und deshalb teurer. Sie reagieren empfindlicher auf Trimmänderungen und müssen deshalb häufiger nachgetrimmt werden. Sie sind sowohl anspruchsvoller am Boden als auch bei Störungen in der Luft. Und es wird schwieriger, damit zu einem Sicherheitstraining zu gehen, weil man für bestimmte Manöver extra Faltleinen installieren muss.
Passt das wirklich zum Profil typischer EN-C Piloten, oder stellt das nicht schon zu hohe Ansprüche? Auch in anderen Punkten wird aus den diversen Antworten der Konstrukteure eine gewisse Unsicherheit erkennbar. Sie beschäftigen sich mit Fragen wie: Werden sich Zweileiner in der C-Klasse allgemein durchsetzen? Ließen sich überhaupt Zweileiner auch mit einer geringeren Streckung um 6 und folglich einer größeren Flügeltiefe in statisch sinnvoller Weise realisieren? Wird sich die C-Klasse – wie einst schon die B-Kategorie – künftig aufsplitten in High- und Low-C? Wobei das Leistungssegment der High-C dann von den Zweileinern, das der Low-C von Drei- oder 2,5-Leinern bestimmt würde?
Brückentechnologie 2,5-Leiner?
Gerade den letztgenannten Begriff bzw. die Technologie der 2,5-Leiner haben offenbar viele im Blick. Derlei Schirme sind im Mittelflügel über drei (A/B/C), im Außenflügel aber nur über zwei Leinenebenen (A/B) abgespannt. Das erlaubt eine BC-Steuerung, die dem Handling der Zweileiner schon sehr nahe kommt und diesen auch leistungsmäßig kaum nachsteht – aber mit weniger Problemen der Flügelstatik.
2,5-Leiner sind zudem bei der Zulassung nicht zwangsläufig auf den Einsatz von Faltleinen angewiesen. Das bietet den Vorteil, solche Konstruktionen auch unterhalb der C-Klasse realisieren zu können. Erste entsprechende EN-B-Modelle sind schon auf dem Markt oder werden es in Kürze kommen (z.B. Ozone Rush 6, Nova Mentor 7, Flow Freedom 2). Damit können Piloten an die zweileinertypische Steuertechnik über die hinteren Tragegurte herangeführt und gewöhnt werden. Das macht die 2,5 Leiner zu einer Art Brückentechnologie.
Es ist zu erwarten, dass die Ära der EN-C-Zweileiner nicht mit einem ganz schnellen Wandel, sondern einer graduellen Anpassung des Schirmportfolios der Hersteller beginnt. Nach einer Übergangszeit, in der bei den EN-C wie auch den High-B immer mehr 2,5-Leiner erscheinen, könnten dann ab der übernächsten Schirmgeneration (in drei bis fünf Jahren) die echten Zweileiner die C-Klasse übernehmen.
1 Kommentare
Schöne Zusammenfassung! Allerdings komme ich zu einem etwas anderen Ergebnis, wenn ich neben SUPAIR ( Pierre-Yves) auch die anderen Stellungsnamen in Ziads Umfrage berücksichtige. Am besten gefallen hat mir der Beitrag von FLOW ( Felipe Resende). Demnach ist das einzige wirkliche Problem bei 2- Leinern der Front-Klapper. Und wenn man den durchgestochenen Infos zum Swing Sphera im G-D-Forum Glauben schenken darf, ist mit RAST auch schon eine Lösung dazu vorhanden.
AntwortenLöschenWenn man mal so guckt wieviel GS-Flieger überhaupt regelmäßig auf Strecke gehen, komme ich in meinem Umfeld auf deutlich weniger als 10%. Auch bei Ziads Umfrage sollte man im Blick haben, welche der Konstrukteure selber Strecke fliegt und wer nicht.
Seit ich mich vom Wettbewerbsfliegen zurückgezogen habe, liegt mein Fokus auf der Sportklasse, da die Flügel deutlich einfacher zu starten sind als die Rennsicheln, aber noch genügend Feed-back geben. Interessanterweise hatte ich mit dem Mantra M6 (D), den ich zwischendurch mal 2 Jahre geflogen bin, deutlich weniger ernsthafte Störungen als mit den C-Schirmen.
Auf dem letzten Nova H&F konnte ich mit dem Xenon einen 4 stündigen Streckenflug machen und bin zum gleichen Schluss gekommen (wie Filipe Resende), der Xenon ist nicht anspruchsvoller zu fliegen als 3-Leiner mit vergleichbarer Streckung.
Interessant finde ich Ozones Statement, dass der 2,5 Liner Delta 4 12 cm weniger Sinken hat als der Delta 3. Das sind über 10% mehr Strecke schon bei Trimm-Geschwindigkeit.
Mal schauen, vielleicht wird mein nächster Schirm ja ein2,5-Leiner.
Ein anderer Gesichtspunkt ist sicher das Gurtzeug, bei dem man eine Renaissance der Bürzel beobachten kann. Einen AHA Erlebnis hatte ich beim Küstensoaren. Während ich mit dem Supair Strike gerade mal so in der mittleren Höhe mitschwimmen konnte, war ich mit dem Swing Connect Race Lite on Top (dabei ist dieses Gurtzeug ja noch einfach im Vergleich zu einigen anderen aktuellen Entwicklungen, siehe auch Lucians Blog dazu)
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