Winglets galten jahrelang als Markenzeichen von Advance. Neuerdings setzen immer mehr Hersteller sie ein. Was steckt dahinter?

Winglets in verschiedenen Formen, aber kein Advance.
Von links oben im Uhrzeigersinn: Apco F5, 
Airdesign Rise 5, Macpara Verve, Ozone Photon
// Quellen: Apco, Airdesign, Macpara, Ozone

Schirme mit Öhrchen, das war jahrelang die Domäne von Advance. Der Schweizer Hersteller baute schon seine ersten Modelle mit kleinen Winglets am Außenflügel. Die Idee dahinter: Sie sollten helfen, die Randwirbel der Schirme und damit den induzierten Widerstand zu reduzieren.

Ob sie tatsächlich einen Vorteil bringen? Darüber wurde und wird in der Szene viel diskutiert. Denn die  Winglets stellen ja auch einen zusätzlichen Widerstand dar, der sich der umfließenden Luft in den Weg stellt. Ob unterm Strich dennoch mehr Leistung übrig bleibt, lässt sich nur schwer fundiert beantworten.

Advance ließ zwar einmal von einem Studenten der Fachhochschule Graz die Umströmung des Flügels eines Sigma 8 mit und ohne "Öhrchen" im virtuellen CFD-Windkanal simulieren.  Den Ergebnissen nach reduzierten die Winglets den induzierten Widerstand um 2,85 Prozent, was die Gleitzahl um 1,5 Prozent verbessern sollte. 

Allerdings stellt sich auch hier die Frage: Wieviel davon bleibt in realer, bewegter Luft übrig, wenn es ständig Anstellwinkel- und Strömungswechsel an der Kappe gibt?

Zumindest zeigten die Advance-Schirme keine so eindeutigen Vorteile, dass andere Hersteller daran interessiert waren, die Winglets zu kopieren. Immerhin bedeuten sie ja auch zusätzlichen Materialeinsatz und Produktionsaufwand, also Kosten. 

Die Öhrchen wurden vielmehr allgemein als Markenzeichen von Advance angesehen und respektiert, vergleichbar mit dem aufragenden Mercedes-Stern auf einer Auto-Kühlerhaube.


Winglets als Rollbremse

Was die Winglets betrifft, erlebt die Gleitschirmszene aktuell aber eine Zeitenwende. Immer mehr Hersteller bringen neuerdings Modelle auf den Markt, die ebenfalls mit markanten Öhrchen am Obersegel aufwarten. Zu finden sind sie bei einigen aktuellen und kommenden Schirmen in den Klassen EN-A bis EN-C. Beispiele gibt es von Ozone (Moxie, Photon, Triox 2), Supair (Eona 4), Airdesign (Rise 5), Macpara (Verve), Triple Seven (Matrix, Rook 4) und Apco (F5). Und vermutlich werden noch weitere folgen.

Fragt man nach, wozu die Winglets in diesen Fällen dienen, führt keiner der Hersteller einen direkten Leistungsgewinn an. Vielmehr werden die Winglets damit begründet, Rollbewegungen zu dämpfen.

"Das Rollen ist mit einer Seitwärtsströmung am Flügel verbunden. Dadurch bekommt das Winglet einen gewissen Anstellwinkel, was dem Rollen dann eine Gegenkraft entgegensetzt", erklärt Luc Armant, Konstrukteur bei Ozone.


Entschärfte Spirale

Ein zweiter Punkt ist das Verhalten bei Steilspiralen. Die Winglets behindern hier die Seitwärtsströmung am Obersegel, die durch die Rotation erzeugt wird. 

"Das Winglet steht dann wie eine Barriere im Weg und die Rotation wird dadurch gebremst. Der Schirm beschleunigt auch nicht so stark in der Spirale, was die G-Kräfte reduziert", erklärt Stephan Stiegler von Airdesign.  

Beides, d.h. Rollneigung und Spiralverhalten, lässt sich auch über andere konstruktive Parameter beeinflussen. Dazu zählen die Kappenkrümmung, Leinenlänge, Flügelschränkung etc. Die Winglets eröffnen den Konstrukteuren hier allerdings neue Freiheiten. Sie können z.B. stärker gekrümmte Kappen bauen, die von Natur aus eine höhere Rollneigung aufweisen. Die Winglets gleichen das wieder aus. 

So lassen sich die Vorteile einer High-Arc-Bauweise wie eine höhere Kappenspannung und ein direkteres Kurven-Handling realisieren, ohne größere Nachteile in Kauf nehmen zu müssen. Mit Winglets lassen sich solche Konstruktionen leichter durch die Zulassung bringen, wo sie sonst vor allem durch einen Neigung zur stabilen Spirale vielleicht durchfallen würden.


Psychologischer Vorteil

Als Rollbremse können die Winglets in manchen Flugzuständen sogar die "erfliegbare" Leistung fördern. Das gilt vor allem für den beschleunigten Flug. Viele moderne Schirme tendieren dazu, im Speed durch leichte Kipp- und Gierbewegungen des Piloten in ein Oszillieren um die Längsachse und/oder die Hochachse zu verfallen. Beides kostet letztendlich Leistung – auch deshalb, weil der Pilot sich häufig gezwungen sieht gegenzusteuern. 

Wird dieses Rollen direkt im Ansatz durch die Winglets gedämpft, fliegt der Schirm im Fullspeed eher "wie auf Schienen". Das weckt Vertrauen und kann auch ein psychologischer Vorteil sein.


Verschiedene Positionen

Winglets findet man bei den neuen Schirmkonstruktionen an verschiedenen Positionen: Weit außen wie bei Advance, auf etwa zwei Drittel der Flügelspannweite jeder Seite oder sogar als eine einzelne, aufragende Finne in Flügelmitte wie beim Apco F5.

Ein Winglet erzeugt je
nach Anstellwinkel mehr 
Widerstand // Quelle: Apco

Mohawk (Mohikaner) nennt Apco dieses Konzept und preist es als besonders effiziente Lösung (s. Youtube-Video). 

In der zentralen Position werde die Finne auch bei Anstellwinkelveränderungen des Schirmes immer gleichermaßen von vorne angeströmt, während seitliche Winglets nur bei jeweils einem Anstellwinkel optimal in der Strömung stehen und ansonsten zusätzliche Luftwirbel und somit Widerstand erzeugen, so Apco.

Allerdings sitzt die Finne des F5 in Kappenmitte genau dort, wo besonders viel Auftrieb erzeugt wird. Das kostet wiederum Leistung. Bei einem Motorschirm wie dem F5 fällt dieses Argument freilich weniger ins Gewicht, während eine starke Rolldämpfung besonders erwünscht ist.

Winglets, die mehr Richtung Außenflügel sitzen, entwickeln bei gleicher Größe weniger Rolldämpfung als eine zentrale Finne. Allerdings können sie unter Umständen kleine Leistungsvorteile bringen. Denn ihre Fläche steht dort so im Luftstrom, dass sie einen Beitrag zum Gesamtauftrieb des Flügels liefern .

Ein Konstrukteur wird die Position, Größe und auch das Profil der Winglets danach wählen, welchen Haupteffekt er damit erzielen will. 


Must have?

Bleibt am Ende noch die Frage, ob künftig immer mehr oder gar alle Schirme mit Winglets aufwarten werden? Zum letzten Punkt sagt Luc Armant: Nein. Viele Schirme bräuchten diese Anbauten gar nicht. Aber in manchen Fällen helfen sie halt, ein erwünschtes Gesamtpaket an Flug- und Handlingseigenschaften eines Schirmes zu erreichen.

Stephan Stiegler sagt: "Ich denke, die Winglets werden immer mehr kommen. Bei Schulungsschirmen können sie das Spiralverhalten nochmals verbessern und die G-Kräfte reduzieren. Und bei Hochleistern ist es eine simple Lösung für die Zulassung."

Dass Winglets sich allgemein durchsetzen werden, glaubt er allerdings auch nicht. "Das optimale Design ist immer noch dasjenige, wo man nichts mehr entfernen kann."