Lex Robé beim entspannten Ausgleiten in den Sonnenuntergang nach weit über 400 km. // Foto: Lex Robé |
Quixadá im Nordosten Brasiliens hat sich innerhalb weniger Jahre einen Namen gemacht als Streckenflug-Eldorado. Oktober und November sind die Monate, wo dort regelmäßig 200er, 300er oder gar 400er über dem Flachland geflogen werden. Viele Piloten zieht es nach Quixadá in der Hoffnung, dort eigene persönliche Bestleistungen und vielleicht sogar allgemeine Rekorde zu erfliegen. Der Österreicher Lex Robé war in diesem Jahr einer von ihnen. In den Alpen hat er sich einen Namen als sehr erfahrener Streckenflieger gemacht. 2015 gewann er sogar die Weltwertung des XContest. Quixadá war für ihn nun die erste ernsthafte Begegnung mit der Flachlandfliegerei. Am Ende standen unter anderem 462 Kilometer als persönliche Bestleistung und österreichischer Rekord in seinen Büchern. Im ausführlichen Interview mit Lu-Glidz erzählt er von seinen Erfolgen, aber auch von Frustmomenten, der rätselhaften Thermiksuche im Flachland und der passenden Technik für den in Quixadá zwingenden Starkwindstart.
Lex, Du bist ein sehr erfolgreicher Streckenflieger in den Alpen. 2015 hast Du beim XContest die Weltwertung gewonnen. Was hat Dich dazu bewogen, zum Flachlandfliegen ins brasilianische Quixadá zu reisen?
Lex Robé: Wir haben jedes Jahr bei uns im Verein einen sogenannten Streckenflugabend. Da haben wir Joe Edlinger und Berni Peßl eingeladen, bei uns einmal über ihre Quixadá-Fliegerei zu referieren. Die beiden erzählten super begeistert, wie toll das Gesamtpaket dort ist. Von wegen den Leuten, alle so freundlich, und natürlich die Chance, dort wirklich weit fliegen zu können.
Mit Berni Peßl bist Du auch in den Alpen häufig gemeinsam unterwegs. Ende 2015 ist er in Quixadá mehrfach über 300 km weit geflogen. Hast Du nach seinem Bericht gleich angebissen und gebucht?
Lex Robé: Ich war anfangs ein bisschen skeptisch wegen des Wetters. Ich hatte erwartet, dass nach 2015 mit dem trockenen El Niño nun 2016 im Wechsel ein La Niña Jahr wird. Und das hätte für Quixadá mehr Feuchte und Regen bedeutet. Ich habe deshalb abgewartet. Erst als sich im Herbst herauskristallisierte, dass es doch kein La Niña Jahr wird, habe ich relativ spontan erst zwei Wochen vor Abreise gebucht.
Quixadá war Deine erste große Begegnung mit dem Flachlandfliegen. Was war die größte Umstellung dabei?
Lex Robé: Bisher hatte ich mich immer sklavisch an jegliche Art von Hügel oder Berge geklammert. Weil ich dachte, nur dort gibt es verlässliche Thermik. Außer zum Landen habe ich das Flachland und Täler gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Die größte Umstellung bestand darin, einfach davon loszulassen.
Und das hat gleich funktioniert?
Lex Robé: Überhaupt nicht! Das war frustrierend. An den ersten Tagen bin ich gestartet, dann bin ich ein bisschen geglitten, und wenn ich nicht durch Zufall irgendetwas erwischt habe, bin ich sofort am Boden gestanden.
Was war Dein Fehler?
Lex Robé: Ich habe einfach nicht gedacht, dass es im Flachen schönere und bessere Thermik haben kann als auf den Bergen. Man setzt immer darauf, gerade auch bei dem starken Wind in Brasilien, am nächsten Hügel aufzusoaren, irgendwann wird schon was durchziehen. Aber das hat vielleicht in einem von fünf Fällen funktioniert.
Was ist dann die bessere Variante?
Lex Robé: Einfach mal ins Flache fliegen mit ein bisschen Höhe zum Suchen, dann trifft man dort auf Thermik.
Einfach so? In Quixadá wird doch schon sehr früh am Tag gestartet, manchmal noch vor 7 Uhr morgens...
Lex Robé: Der Thermik setzt dort ab 7 Uhr in der Früh ein. Da kommen schon die ersten Blasen hoch. Und ab 7:30 Uhr, wenn es passt, fliegt man ab. Das ist gerade mal zwei Stunden nach Sonnenaufgang. Am Anfang reicht die Thermik gerade mal 1000 Meter über Grund, wenn überhaupt. Man hat eine Abflughöhe von 1200 Metern, wenn es gut geht. Und dann gleitet man erst einmal und hofft.
Man kann also schnell wieder am Boden stehen. Ist der Tag denn dann gelaufen, oder gibt es die Chance, später erneut zu starten?
Lex Robé: Man hat dort üblicherweise einen sogenannten Rückholerservice. Die haben den Job, dich möglichst bald nach der Landung wieder aufzulesen. Wenn du willst, kannst du zwei, drei Mal am Tag starten.
Hast Du das gemacht?
Lex Robé: Am Anfang ja, ich wollte ja etwas lernen. Also bin ich immer wieder hochgefahren. Später am Tag hat sich die Thermik natürlich besser entwickelt, höhere Basis. Aber dann ist es bei mir meistens immer noch schief gegangen. Ich konnte die zweifellos vorhandenen Thermik-Trigger in der Praxis einfach nicht nutzen.
Ist es nicht frustrierend, im Streckenflug-Eldorado früh am Boden zu stehen?
Lex Robé: Wenn du vier Tage lang übst und probierst, und du kommst immer noch nicht weiter als 40 Kilometer, da beginnst du an dir selbst zu zweifeln. Da denkst du: Ich bin zu blöd, ich lasse es. Ich hau mich an den Pool, ich schaue mir das Land an, geh vielleicht abends ein bisschen soaren. Aber da muss man einfach durch. Es ist noch jedem so gegangen. Man muss erst viele seiner Fluggewohnheiten aus den Alpen über den Haufen schmeißen, um dort unten längere Flüge zu haben.
War Dir das nicht vorher klar?
Lex Robé: In der Theorie habe ich mich super vorbereitet. Ich habe mir das Streckenflugbuch von Burkhard Martens nochmal angeschaut, habe Berichte und Tipps über das Flachlandfliegen in diversen Zeitschriften gelesen, all das habe ich zusammengetragen. Die Theorie hatte ich parat: Immer schön geduldig bleiben, Nullschieber drehen und das alles. Aber hey, ich kann Dir sagen: Ich habe es anfangs nicht umsetzen können. Es ist wirklich ein Lernprozess, das auch so zu machen.
Nun bist Du als Newcomer in Brasilien dennoch bald große Strecken geflogen. Ich habe von anderen guten Piloten gelesen, die es erst in ihrer zweiten Saison in Brasilien geschafft haben, wirklich weit zu kommen.
Lex Robé: Bei mir war es nicht die zweite Saison, bei mir war es die zweite Woche. Ich habe immer ein bisschen gehofft, dass ich noch einen 300er fliege. Dass das möglich ist, hat mir eine Gruppe portugiesischer Piloten gezeigt, die zur gleichen Zeit dort war. Die sind wirklich formidabel geflogen. Sie haben bewiesen, dass in Quixadá im Grunde jeder Tag für einen 300er taugt.
Was war der Schlüssel zu Deinem Erfolg?
Lex Robé: Ich bin konservativer geflogen. Ich habe darauf verzichtet, immer bei den ersten dabei sein zu wollen. Ich habe mir gesagt, ich fliege einfach den Portugiesen nach, schaue mir an, wie die das machen. Im Zuge dessen lernst Du dann mal das Gelände besser kennen.
Ist Geländekenntnis wichtig?
Lex Robé: Speziell morgens bei den ersten Bärten, ja. Bis du dann weißt, wie du an dem Tag Deine Linie wählst. Der Wind kommt zwar immer ähnlich, aber doch nicht ganz gleich. Fliege ich heute eher an der Hügelkette haltend, oder fliege ich gleich ins Flache mit der Höhe. Da kriegt man schon eine gewisse Erfahrung, wenn man bestimmte Dinge ausprobiert.
Eine wichtige Regel für erfolgreiches Flachlandfliegen im Cockpit: Basis machen - GEDULD! // Foto: Lex Robé |
Lex Robé: Das war, als ich das erste Mal komplett alleine im Blauen 370 Kilometer weit geflogen bin. In der Früh hatte ich das Glück, dass ich nicht abgesoffen bin. Und dann bin ich konstant extrem konservativ weitergeflogen. Was du da kurbelst, so etwas kurbelst du daheim niemals! Und ich bin da in Bereiche geflogen, da wusste ich nicht, ob es dort thermische Aktivität gibt, da keine einzige Wolke den Himmel zierte. Trotzdem ist sich an dem Tag ein 370er ausgegangen. Das war für mich der Augenöffner. Da habe ich gedacht, so langsam bist du warm geworden mit dem Gebiet.
Du hast also gelernt, der Flachlandthermik zu vertrauen.
Lex Robé: Glück gehört auch noch dazu. Man muss ganz klar sehen: Du kannst alles super machen aber immer noch Pech haben. Wenn zum Beispiel eine Blase gerade 20 Sekunden vor dir vorbei zieht und du sie verpasst. Dann musst du ein, zwei Minuten warten, bis die nächste kommt. Bist du schon tief, wird es schwer. Dieses Pech kannst Du speziell in den ersten 1,5 Stunden einfach haben. Da stehen dann auch die besten Piloten mal am Boden.
Was ist mit Pulkfliegen, um sich gegenseitig zu helfen?
Lex Robé: Wirklich wichtig ist der Pulk eigentlich nur in der Früh. Die Portugiesen waren da super teamflugfähig. Da ist immer irgendwer herumgeschweift, hat nach Thermik gesucht. So haben sie ihr Pech minimiert. Aber das ist im Flachland schon eine große Kunst.
Inwiefern?
Lex Robé: Bei uns in den Alpen kann man Pulkfliegen in Reinkultur betreiben. Man kann super einparken, man kann warten, man kann mit ortsfester Thermik spielen. Im Flachland spielt sich das auf einer viel komplexeren Ebene ab.
Was ist anders?
Lex Robé: Man kann sich im Flachland nur ganz schwer einparken. Die Thermik pulsiert. Die ist halt plötzlich nicht mehr da. Dein Freund, der gerade mal 50 Meter unter dir ist, erwischt den Einstieg nicht. Dich bläst es dann mit einem 30er-, 40er-Wind einfach weiter. Ich war mit anderen Piloten sogar per Funk verbunden. Trotzdem hat es uns schon auf den ersten Kilometern fast immer zerrissen, obwohl wir zusammen losgeflogen sind. Du glaubst gar nicht, wie schnell das geht.
Wer in Brasilien weit fliegen will, muss früh starten und dann am besten bis Sunset in der Luft bleiben. Wird einem da über dem Flachland nicht langweilig? Die Landschaft ist ja nicht so abwechslungsreich wie in den Alpen, wo jeder Talsprung eine neue Welt öffnet.
Lex Robé: Ich liebe jede Sekunde des Fliegens. Und das könnten von mir aus auch 20 Stunden am Stück sein, dann wird es mir immer noch nicht fad. Ich liebe einfach den Moment, wenn ich da im Gurtzeug hänge, wenn es aufwärts geht, oder halt runter. All diese Bedingungen, an denen die liebe Natur mich dran teilhaben lässt. Das habe ich in Brasilien nicht anders erlebt.
Und was ist mit der Eintönigkeit der Landschaft?
Lex Robé: In Quixadá wird auch das Gegend-Bewundern nicht öde. Es geht eh so schnell. Man ist dort beim Kurbeln mit einem 30er-, 40er-Wind unterwegs, und wenn man geradeaus fliegt, geht’s mit 80 km/h über Grund dahin, beschleunigt sogar noch schneller. Am Anfang denkt man, huh, die große Weite, aber nach einer Dreiviertelstunde ist die Weite gegessen. Da ist man schon wieder ganz woanders.
Sind die Bedingungen in der Luft denn anspruchsvoll?
Lex Robé: Außer beim Starten ist es in Quixadá sehr angenehm. Das kannst du mit unserer Alpenfliegerei überhaupt nicht vergleichen. Die Bärte sind ganz homogen, die sind nie scharfkantig. Selbst an einem blauen stabilen Tag ist das noch immer recht sanft. Von Ferne betrachtet glaubt man das ja nie. Die Videos von den Starkwindstarts von Quixadá sehen ja wild aus. Aber das empfundene Thermikfliegen dort ist eine super angenehme Geschichte.
Hattest Du nicht auch starke Bärte mit entsprechenden Abwinden daneben?
Lex Robé: Doch, schon. Aber ich war super überrascht, wie soft das ist. Wenn ein Bart hinter der Wolke aufhört, dann geht es halt abwärts, aber der Übergang ist sanft. Es gibt nie ein starkes Vorschießen. Selbst wenn Du direkt im Lee von einem fünf Meter Bart ausfliegst, dann sinkst Du halt nur einfach. Ich habe mich da pudelwohl gefühlt. Das ist wunderschön zu fliegen. Da wird man auch nicht müde.
Kommen wir zu Deinem Schirm: Du bist den Ozone Zeno geflogen, ein Zweileiner EN-D-Hochleister. Ist das der richtige Schirm für diese Landschaft, oder reicht im Flachland auch ein B-Schirm aus, um mit Rückenwind genauso weite Flüge machen zu können?
Lex Robé: Es hängt davon ab, wie Du gerne fliegst. Am Start in Quixadá muss man mit einem gestreckten Schirm sehr konzentriert sein. Aber einmal in der Luft, hast Du mit einem höher qualifizierten Schirm mehr Möglichkeiten. Der geht halt einfach schneller, hat eine bessere Windpenetration und ist sogar sicherer zu fliegen.
Ein Zweileiner ist sicherer als ein B-Schirm?
Lex Robé: Das mag kontrovers klingen. Aber wenn ich sehe, wie es die Jungs auf den B-Kisten da herumpitcht, speziell nach dem Start, da kriege ich Angst. Weil ich einfach weiß, hey, der ist dem Ding jetzt ausgeliefert, der steht im Gas und kommt nicht vorwärts. Bei meinem Schirm habe ich halt doch Reserven und kann durch die B-Handles selbst stark beschleunigt den Schirm ohne Geschaukel gegen den Wind ziehen lassen.
Sechs 400er-Piloten eines Tages (v.l.n.r.): Konrad Görg, Eusebio Soares, Carlos Lopes, Joe Edlinger, Eduardo Lagoa und Lex Robé. // Quelle: Lex Robé |
Lex Robé: Das stimmt. Für die Distanz in Quixadá ist nicht der Hochleister entscheidend. Es ist eh der Wind, der die Kilometer frisst. Allerdings darf man sich nicht täuschen lassen. Die B-Schirme, die dort weit geflogen sind, das sind alles gute Schirme, kein Thema. Aber hey, wirklich weit fliegt nur der, der als Pilot weiß, wie man sich im Flachland effizient vorwärts bewegt, egal mit welchem Schirm.
Für das Fliegen in Brasilien ist einiges an Logistik nötig, vor allem ein guter Rückholer. Was hast Du dabei für Erfahrungen gemacht?
Lex Robé: Ich habe bewusst die drei mir bekannten Rückholerdienste ausprobiert. Das heißt, ich habe mich bei allen dreien eingebucht. Ich war insgesamt 16 Tage dort. Die ersten Tage war ich bei Quixadá Aventura, um die einmal kennen zu lernen, dann bei TermikZone, und zum Schluss bei Fly with Andi.
Wen kannst Du empfehlen?
Lex Robé: Alle sind super bis hervorragend. Der erste ist halt ein bisschen günstiger, dafür kann er nicht gescheit Englisch, geschweige denn Deutsch. Der zweite ist ein bisschen größer, kann zwar Englisch, hat aber nicht unbedingt die besten Fahrzeuge, die sich für einen richtigen Outback-Retrieve eignen. Und der dritte, Fly with Andi, hat als alter Hase natürlich alles, aber dafür hast Du auch 25 Leute da. Ich kann nur sagen, nimm dir irgendeinen, man fährt mit keinem schlecht.
Rückholservice bedeutet, ich kann als Pilot so weit fliegen, wie ich komme, und werde dort garantiert wieder abgeholt. Wird das wie ein Taxi pro Kilometer bezahlt, oder ist das eine Pauschale pro Tag?
Lex Robé: Es ist eine Pauschale. Je nach Anbieter sind das zwischen 800 und 1000 Euro pro Woche, inklusive Hotel mit Frühstück. Wenn du einen mittelweiten Flug hast und sagst, danke, bitte zurück ins Hotel, kostet es genau das gleiche wie wenn du 450 km weit fliegst und dann bei der Rückfahrt sogar auf der Strecke nächtigen musst. Das Hotel unterwegs, das sind so 15 Euro, die musst Du noch extra zahlen, aber sonst ist dort alles dabei.
Wie lange dauert so ein Retrieve?
Lex Robé: Nach zehn Stunden Flug musst Du mit einer zehnstündigen Rückfahrt rechnen. Die Straßen sind halt schlechter, teilweise Sandpisten, und das dauert einfach.
Ein richtig weiter Flug bedeutet also immer, der folgende Tag ist ein Ruhetag?
Lex Robé: Bis Piripiri, das ist das typische Ziel nach 300 Kilometer Luftlinie, da gehst Du am nächsten Tag wieder fliegen, wenn Du ein Hardcore-Typ bist. Du kannst ja auch im Auto schlafen. Wenn es weiter geht, ist ein Ruhetag sicher notwendig.
Leckere Wolkenstraßen beim 462-km-Flug. // Foto: Lex Robé |
Lex Robé: Der zweite Tag nach meinem Rekordflug war gar nicht mehr so ein Spitzentag. Da war der Wind schwächer, die Thermik zwar gut, aber nicht super gut und erst wieder um 8 Uhr vom Startberg abgeflogen. Trotzdem bin ich auch wieder 450 Kilometer weit gekommen. Da habe ich erst gemerkt, was in Quixadá überhaupt noch geht. Du kannst jeden Tag super fliegen, und selbst an einem mittelmäßigen Tag sind über 300 Kilometer drin.
Wo ist das Ende der Fahnenstange?
Lex Robé: Ich bin überzeugt, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch von Quixadá aus der 500er fällt. Der talentierte Leandro Padua hat ja bereits mit einem 488er gezeigt, dass nicht viel fehlt.
Am Anfang jedes Fluges steht erst einmal der Start. In Quixadá bedeutet das immer: Starkwind. Bei den dort üblichen Windgeschwindigkeiten würde man in den Alpen den Schirm erst gar nicht auspacken. Wie hast Du dich darauf vorbereitet?
Lex Robé: Quixadá Aventura pflegt einen super aufschlussreichen Youtube-Kanal mit Starts von Quixadá. Das ist die Lernressource Nummer 1. Ich würde jedem empfehlen, sich die Starts anzuschauen und zu analysieren. Einfach um zu lernen und zu schauen, was tun die Piloten, wie verhalten sie sich, was funktioniert gut, was überhaupt nicht.
Und was ist Dein Tipp für den Startwindstart?
Lex Robé: Es ist haarsträubend, wenn Leute glauben, sie müssten sich gegen den Wind zurücklehnen und den Schirm aktiv hochziehen. Wir sprechen hier nicht von einem 20er oder 25er Wind, sondern von 30er plus. Da reicht ein Zupferl, damit der Schirm anfängt hochzukommen. Und dann musst du dem Schirm sofort entgegen sprinten. Wirklich Hinsprinten zum Schirm! Bevor du dann den letzten Schritt unter die Kappe machst, fängst du schon an dich auszudrehen, damit der Schirm dich nicht aushebelt. Die Kiste dabei am besten nur für wirklich notwendige Korrekturen anbremsen. Diese Technik lege ich jedem Starkwindstartenden wärmstens ans Herz! Das hat bei mir ausnahmslos gute Starts zur Folge gehabt. Ich hatte keinen einzigen Startabbruch.
Gibt es in Quixadá Locals, die das perfekt vormachen können?
Lex Robé: Du wirst lachen – gerade die Locals, wo man denkt: Hey, jetzt kommen die Brasilianer, die sind dort aufgewachsen, die haben teilweise komplett wilde Starts. Die ziehen halt auf, lehnen sich zurück und lassen sich vom Schirm entgegen ziehen. Da kommen dann die komischsten Sachen bei raus. Aushebeln und Geschaukel zumeist vorprogrammiert.
Was war für Dich das Highlight in Brasilien?
Lex Robé: Natürlich der Rekordflug, herzzerreißend. Wenn Du schon merkst, das wird, das wird, und es geht noch weiter, und dann erwischt Du noch einmal eine Spitzenthermik...
... und gleitest am Ende in den Sonnenuntergang?
Lex Robé: Diese Sunset-Endanflüge sind einfach gewaltig. Du bist mit ganz viel Feingefühl in den Tag gestartet, hast bei stärker werdenden Bedingungen ebenfalls Deine Schlagzahl erhöht, oder auch in schwachen Bärten geduldig in Höhe investiert. Du hast alles hinter dir. Und dann wird alles nur gemütlich am Abend. Wenn Du Glück hast, dann löst von einer Mini-Geländekante irgendein Nullschieber ab und wächst noch langsam zu einem 1,5 Meter Bart. Damit erreichst du um fünf Uhr abends noch einmal Basishöhe in 3000 Meter und weißt, jetzt kannst Du noch weitere 30 Kilometer ausgleiten. Das ist ein Wahnsinn.
Und was waren die spannendsten Momente?
Lex Robé: Speziell sind natürlich immer Low-Saves. Da habe ich während meiner 16 Tage zwei gehabt – wäre ich da nur 20 Meter tiefer gewesen, wäre ich landen gegangen. Spannend ist aber auch das ständige Rate- und Denkspiel, wo geht die Thermik ab, wo ist sie vielleicht besser?
Ein Ratespiel?
Lex Robé: Ganz oft sogar. In Brasilien hatte es zu meiner Zeit so riesige Wolken, die nicht nach oben wuchsen, sondern einfach nur in die Breite. Diese Wolken breiten sich unter einer starken Inversion auf vielleicht drei Kilometer aus und sind homogen grau. Da fliegst Du herum und versuchst einfach das Rätsel zu knacken, wo geht es dort am besten nach oben. Ist es auf der Sonnenseite, in der Mitte oder sonst wo.
Verrätst Du mir die Lösung?
Lex Robé: Untertags kann ich da gar nichts sagen. Da ist es mal so, mal so. Zum Abend hin schaut das anders aus. Ab 3 Uhr am Nachmittag ging bei mir immer die Sonnenseite, beziehungsweise die Schattenabrisskante der ziehenden Wolken, wirklich zuverlässig. Das hat bei mir immer funktioniert. Da kann man dann mit Zuversicht die Wolken anfliegen.
Schwarz abgebrannte Felder stellen zuverlässige Thermikquellen dar. // Foto: Lex Robé |
Lex Robé: Wenn man tief kommt, dann hilft es, windgeschützte Gebiete mit vielleicht 200, 300 Meter Höhenreserve zu überfliegen. Also so Mulden, wo die Sonne ein bisschen reinknallt und wo eine lokale Überhitzung stattfinden kann. Aus diesen windgeschützten Bereichen geht dann zuverlässig ein Bart ab, in den man aber oft überraschend weit hinten erst einsteigt. Ansonsten sind auch abgebrannte Felder sehr zuverlässig. Gute Erfahrungen habe ich zudem mit Schachbrettmustern in der Landschaft gemacht. Hell, dunkel, hell, dunkel, irgendwelche Kontraste. Da ist immer irgendwo etwas. Man sollte nur vorher viel in Höhe investiert haben, um die Chance zu maximieren, dort per Zufall in einen der pulsierenden Bärte zu fliegen.
Könnte Quixadá auch für Piloten interessant sein, die nicht zwangsläufig den 200er oder 300er anstreben, sondern es eher gemütlich angehen lassen wollen, erst um 11 Uhr am Startplatz stehen, um dann ein wenig rumzusoaren?
Lex Robé: Grundsätzlich ja, aber vergiss das mit 11 Uhr. Das ist dort die denkbar sportlichste Zeit. Wenn du ein Genussflieger bist, würde ich die Mittagszeit in Quixadá klar meiden. Man muss das mit der Uhrzeit halt timen. Das heißt, entweder in der Früh im laminaren Wind raus, oder halt am Abend für einen Abendsoaringflug. Das Hotel Pedra dos Ventos hat sogar einen eigenen Startplatz, da kannst Du sogar zu Fuß raufmarschieren. Das ist genauso bereichernd und wunderschön.
Du hast nach 16 Tagen in Quixadá 2055 Punkte auf dem Konto beim XContest. Das ist schon fast so viel, wie Du bei Deinem Sieg in der Weltwertung der Saison 2015 hattest. Muss man heute nach Brasilien fahren, um im Ranking ganz vorne mitfliegen zu können?
Lex Robé: Leider ja. Dass ich 2015 den Welt-XC-Titel holen konnte, ist auch nur dessen geschuldet, dass die guten Leute in der Saison nicht in Quixadá fliegen waren. Heute hat ein Pilot selbst mit 300er FAIs in den Alpen keine Chance mehr. Künftig wird kein Weg an Quixadá vorbei führen. Es werden sicher immer mehr Piloten dorthin pilgern. Und nicht nur der Strecken wegen.
Was ist aus Deiner Sicht sonst noch verlockend?
Lex Robé: Das Gesamtpaket ist einfach super. Wenn Du ein Mensch bist, der gerne fliegt, dann ist das ein Traum: wirklich jeden Tag die Chance weit zu fliegen. Und wenn Du absäufst, hast Du die geilsten Erlebnisse mit den freundlichsten Leuten der Welt. Selbst wenn Du in noch so entlegenen Winkeln der Botanik landest, dauert es keine zehn Minuten und jemand Neugieriger kommt, um Dich besuchen – meistens ganze Scharen. Zudem hab ich es als absolut sicher dort empfunden. Du brauchst dir null Stress machen, dass Du nachts allein am Straßenrand ausgeraubt wirst. Dieses Erlebnis insgesamt, das muss man erst einmal toppen.
Hast Du Brasilien für Dich im nächsten Jahr also schon fest eingeplant?
Lex Robé: Das würde ich liebend gerne tun. Aber dem steht meine Arbeit entgegen. Ich konnte Brasilien jetzt im Herbst nur machen, weil ich mir eine dreimonatige Auszeit genommen hatte. Aber das wird mein Arbeitgeber nicht so schnell wieder mitmachen. Quixadá war für mich wohl eine einmalige Geschichte.
Lex, ich Danke Dir für das Gespräch.
Weiterlesen: Lex Robé hat ausführliche Berichte mit Fotos und Videos zu seinen zwei weitesten Flügen von Quixadá veröffentlicht (462 km | 450 km). Im Netz ist zudem von ihm ein detaillierter Vergleich der Rückholservice-Anbieter von Quixadá zu finden.
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4 Kommentare
Tolles Interview! Auch sehr aufschlussreich!
AntwortenLöschenWie reist man eigentlich am besten von Europa nach Quixada? Über Rio nach Fortalesa? oder gibt es da einen Inlandsflug direkt nach Quixada?
Weiß dass vielleicht jemand?
Am besten nach Fortaleza fliegen. Von da mit Bus oder Taxi nach Quixada. Flüge ab Frankfurt mit Condor, oder ab verschiedenen Flughäfen im deutschsprachigen Raum mit TAP via Lissabon.
AntwortenLöschenGruss Sebi
Wieso brauchte er drei Monate Urlaub um zwei Wochen nach Quixada zu fliegen?
AntwortenLöschenAlso: ich bräuchte die definitiv HINTERHER zum Erholen...! ;-)
AntwortenLöschenUnd Lex hat's irgendwo im Interview erwähnt: um sich ggfls. die beste Zeit rauszupicken ist das sicherlich praktisch.
Und sonst bucht man halt einfach fest - es geht ja wohl fast jeden Tag.
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