Eine neue Serie auf Lu-Glidz zeigt auf, was man über Rettungsschirme wissen sollte. In der ersten Folge geht es um die Frage: Welche Rettertypen gibt es überhaupt?

(Update: Diese Folge wurde am 20.3.2018 mit den Infos zur Fünfeckkappe (Pentagon) ergänzt.)

Bei Gleitschirm-Rettungsschirmen wächst die Formenvielfalt.
// Quellen: Highadventure, Independence, Turnpoint, Airdesign
Rettungsschirme sind so etwas wie eine Versicherung, die Piloten immer im oder am Gurtzeug dabei haben sollten. Die Aufgabe ist es, das Schlimmste abzuwenden, sollte der Gleitschirm einmal in eine Konfiguration geraten, die nicht mehr flugfähig oder für den Piloten unkontrollierbar ist. Dann gilt es, die Rettung zu ziehen und in den freien Luftraum zu werfen. Geht sie wie gewünscht auf, sinkt man darunter hängend nicht immer sanft, aber in den meisten Fällen doch ohne größere Verletzungsfolgen zu Boden. Trotz der lebensentscheidenden Rolle, die den Rettungsschirmen  zukommt, ist das Wissen vieler Piloten über deren Funktionsweise und was man bei der Auswahl beachten sollte, eher gering ausgeprägt. Zeit für ein paar Fakten.

Rettungsschirme bremsen unseren Fall, indem sie über unseren Köpfen einen Stoff aufspannen. Dieser kann unterschiedlich geformt sein, erfüllt aber stets die gleiche Funktion: Er bietet der Luft einen Widerstand, und dieser wird maßgeblich durch die Fläche bestimmt. Das ist unterm Strich die entscheidende Größe bei allen Rettern! Mehr Fläche bedeutet jeweils mehr Widerstand und in der Folge ein geringeres Sinken.

Allerdings können wir im Fallen einen Stoff nicht einfach wie ein Betttuch flach aufgespannt über uns halten. Er muss in eine Form gebracht werden, an die man sowohl an Schnüren eine Last anhängen kann (das sind wir), die aber auch aus einer kleinen Packung heraus – allein durch die Luftströmung getrieben – gewissermaßen zu sich selber findet. Am Markt gibt es verschiedene Grundtypen, die das gewährleisten:


1. Rundkappe
Rundkappe: Klassischer Notschirm in Annular-Bauweise.
// Quelle: Independence
Der Klassiker. Die Rundkappe ist, wie der Name schon sagt, kreisrund geformt. Sie wird typischerweise aus einer Reihe von Stoffbahnen genäht, an denen wiederum genauso viele Fangleinen sitzen, die das Pilotengewicht tragen. In der Luft bilden sie eine Art Halbkugel, die allerdings bei den heute üblichen Gleitschirmrettungen durch zusätzliche Leinen in der Mitte so heruntergezogen wird, dass sich eine Annular-Form wie ein halb aufgeschnittener Ring oder Donut ergibt. So benötigt sie nicht nur etwas weniger Stoff als eine echte Halbkugel, sondern bietet dank einer etwas größeren projizierten Fläche auch mehr Widerstand. In der Mitte der Kappe ist ein Loch, durch das ein Teil der darunter gestauten Luft kontrolliert entweichen kann. Das macht den Abstieg ruhiger.
Das System ist seit Jahrzehnten bewährt. Da Rundkappen normalerweise komplett symmetrisch gefertigt werden, sind sie nicht nur am einfachsten zu packen, sondern im Vergleich zu anderen Typen auch preislich am günstigsten zu produzieren.
Die Symmetrie hat aber kleine Nachteile. Die rundum einheitliche Form kann dazu führen, dass die Luftströmung nicht so schnell eine passende Ecke Stoff findet, an der sie die Kappe "aufreißen" kann. Die Öffnung kann etwas zögerlicher ausfallen. Als Abhilfe besitzen manche Rundkappenmodelle zusätzlich kleine Stofftaschen (Ram-Air-Pockets), die sich der Strömung in den Weg stellen und so das Luftfassen beschleunigen sollen.
Der symmetrische Aufbau von Rundkappen hat zudem den Effekt, dass Pendelbewegungen unter Umständen länger anhalten können. Das gilt insbesondere dann, wenn die Retterfläche im Verhältnis zur Anhängelast zu klein gewählt wird.


Kreuzkappe: Quadratische Grundform und Ausblasschlitze an den Ecken.
// Quelle: Turnpoint
2. Kreuzkappe
Im Jahr 2010 präsentierte Dani Loritz, damals als Entwickler für Team 5 tätig (heute: X-Dream.fly), erstmals eine Gleitschirmrettung mit einer quadratischen Form. Von oben betrachtet sieht der Grundschnitt des ausgelegten Stoffes wie ein Kreuz aus. Von daher der Name: Kreuzkappe.
Die Grundidee stammt nicht von Dani Loritz selbst. Er hat nur ein Fallschirm-Design, das u.a. bei US-Fallschimjägern zum Einsatz kommt, für Gleitschirmzwecke adaptiert.
Mittlerweile haben viele weitere Anbieter Kreuzkappen im Programm, und die meisten Neuzulassungen von Rettungsschirmen basieren auf diesem Typ. Kreuzkappen sind "en vogue" und werden verkaufsfördernd dafür gepriesen, etwas besser als Rundkappen zu sein – vor allem hinsichtlich der Pendelstabilität. Allerdings haben sie auch einen etwas höheren Preis (der freilich über die übliche Nutzungsdauer von 10 bis 12 Jahren gerechnet nicht allzu stark ins Gewicht fällt).
Zur Pendelstabilität von Kreuzkappen trägt bei, dass diese an den Ecken oder den Seiten jeweils gezielt eingefügte Schlitze besitzen, durch welche die gestaute Luft kontrolliert abblasen kann. Symmetrische Pendelbewegungen werden dadurch gedämpft und enden eher mal in einem diffusen Wabern der Kappen, das nicht weiter stört.
Manche Kreuzkappen sind gezielt so konstruiert, dass sie in der Luft in eine Richtung driften bzw. gleiten. Das verbessert die Stabilität und sorgt zudem für zusätzlichen Auftrieb, wodurch sich die Sinkgeschwindigkeit reduziert. Das bedingt allerdings eine gewisse Horizontalgeschwindigkeit. Man könnte also seitlich gegen Hindernisse oder Felswände fliegen.
Mittlerweile gibt es auch Sonderformen der Kreuzkappe am Markt, die nicht nur gleiten, sondern dabei auch gelenkt werden können (siehe "Die Kreuzkappe wird steuerbar"). (Künftige Folgen der Serie Retterwissen werden noch das Für und Wider der Retterdrift und der Steuerbarkeit behandeln)
Da die Stoffbahnen nicht rundum symmetrisch geschnitten, genäht und aufeinander liegend gepackt werden, fassen Kreuzkappen unter Umständen etwas schneller Luft und öffnen einen Ticken fixer als Rundkappen. Das wird erkauft mit dem kleinen Nachteil, dass Kreuzkappen nicht so einfach nach Schema F gepackt werden können. Je nach Zuschnitt sind abweichende Regeln für das Legen der unterschiedlich großen Bahnen zu befolgen. Selbstpacker sollten sich deshalb auf ihr spezifisches Modell einweisen lassen.


3. Square-Round (SQR)
Square-Round: Nahezu runder Schirm mit seitlichen Ausblasöffnungen.
// Quelle: Airdesign
Die ersten Kreuz-Rund-Kappen brachte Anfang 2016 der neue Hersteller Companion auf den Markt (s. "Die Verkreisung des Quadrats"). Mittlerweile werden Retter nach dem SQR-Prinzip auch von anderen Marken angeboten.
Die Schirme stellen eine Mischung aus Kreuz- und Rundkappe dar. Die Grundform ist mehr ein Kreis als ein Quadrat, allerdings besitzen die Kappen angedeutete Ecken, in denen wiederum – wie bei den Kreuzkappen – Ausblasöffnungen sitzen.
Durch diese Bauform sollen auch SQR-Kappen weniger zu symmetrischen Pendelbewegungen neigen. Die bei manchen Modellen etwas hervorstehenden Schlitzdüsen können zudem, ähnlich wie Ram-Air-Pockets, die Öffnung unterstützen.
Da bei Square-Round-Schirmen die herunter gezogene Mitte typischerweise geschlossen ist, besitzen sie im Vergleich zur Rundkappe tendenziell eine etwas größere projizierte Fläche, wodurch sich bei gleicher ausgelegter Stofffläche ein geringeres Sinken ergeben könnte. Schirme für gleiche Anhängelast können dann etwas kleiner gebaut werden, was wiederum Gewicht und Packvolumen spart. (Die Rolle von Fläche bzw. Flächenbelastung wird ebenfalls Thema einer weiteren Folge der Retterwissen-Serie sein).
Packtechnisch sind SQR-Schirme den Rundkappen sehr nah.


Rogallo: Der Klassiker einer steuerbaren Rettung.
// Quelle: Highadventure.ch
4. Rogallo
Das Grundprinzip der Rogallo-Schirme unterscheidet sich deutlich von dem klassischer Fallschirme. Erfunden wurde es schon 1948 von Francis Rogallo. Ab Mitte der 1990er Jahre kamen  Gleitschirm-Rettungen in Rogallo-Form auf den Markt. Es gibt sie heute von verschiedenen Herstellern.
Rogallos sind darauf ausgelegt, nicht einfach nur zu sinken, sondern auch eine gewisse Vorwärtsfahrt zu entwickeln und dabei steuerbar zu sein. Die beim Gleiten entstehenden Auftriebskräfte bremsen den Fall zusätzlich. Rogallo-Retter erreichen typischerweise die geringsten Sinkwerte aller hier aufgeführten Modelltypen (zumindest wenn der Hauptschirm getrennt werden kann).
Rogallos sind dreieckförmig aus zwei konisch zulaufenden Stoffbögen mit mehreren Mittelleinen aufgebaut. Die Spitze ist geschlossen, während die hintere Segelkante offen bleibt. Diese Asymmetrie und das gerichtete Ausblasen der Luft nach hinten sorgen nicht nur für Vortrieb, sondern dämpfen das Pendeln sehr effektiv. Auch bei den Öffnungszeiten stehen die Rogallos an der Spitze.
Ein Nachteil: Die aerodynamischen Kräfte können dazu führen, dass Rogallo-Retter unter Umständen mit einem noch "fliegenden" Hauptschirm in eine Scherenstellung geraten, was mit stark erhöhten Sinkwerten einher geht. Lange galt deshalb die Regel, dass Rogallos zwangsläufig nur in Kombination mit Quickout-Karabinern zur Trennung des Hauptschirmes eingesetzt werden sollten. Bei manchen neueren Modellen soll das aber nicht mehr nötig sein. Laut Herstellerangaben können Rogallos mit einer eingebauten Vorbremsung ohne Eingreifen des Piloten fast wie ein Fallschirm senkrecht sinken.
Eine besondere Qualität, welche die meisten anderen Rettungen nicht bieten können, ist die Steuerbarkeit der Rogallos. Man kann damit gezielt Hindernissen wie z.B. Stromleitungen ausweichen oder Landeflächen ansteuern. Das geht allerdings mit der Anforderung an den Piloten einher, auch im Notfall noch handlungsfähig zu sein.
Packtechnisch gesehen sind Rogallos deutlich komplexer als Rundkappen oder deren Derivate und bedürfen eines gezielten Trainings.


5. Dreieckskappe (Triangle)
Triangle: Der Dreiecksfallschirm ist bei Bedarf steuerbar.
// Quelle: X-Dreamfly.ch
Das neueste Kind des Rettungsschirm-Entwicklers Dani Loritz ist eine Kappe mit einer symmetrisch dreieckigen Grundform. Es ist die Adaptation einer Idee, die Fallschirmbauer schon während des Zweiten Weltkrieges hatten.
Die Dreieckskappe soll die Vorteile klassischer Rund- und Kreuzkappen (weitgehend senkrechtes Sinken und einfache Packbarkeit) mit den Möglichkeiten der Rogallos (bei Bedarf steuerbar) verbinden.
Nach Loritz' Angaben ist die Triangle als gleichseitiges Dreieck aufgebaut und so ausgelegt, dass die Kappe erst einmal keine Vorwärtsfahrt entwickelt. Der Pilot kann diese aber gezielt auslösen, indem er spezielle Steuergriffe aktiviert.
Beim gerichteten Gleiten erreicht die Triangle wie eine Rogallo verringerte Sinkwerte. Für eine effektive Steuerung wird vom Hersteller das vollkommene Abtrennen des Hauptschirmes (Quickout-Karabiner) empfohlen.
Eine Triangle-Rettung besitzt dank ihrer Bauweise eine hohe Stabilität, da die Dreiecksform von sich aus kein gleichmäßiges Hin- und Herpendeln auf einer Achse ermöglicht. Ob sich dieser Typus letztlich als Alternative zu Rogallos etabliert, bleibt abzuwarten. Hauptargument könnte hier vor allem die vereinfachte Packweise sein, die der von Rundkappen ähnelt.
Dani Loritz bietet mittlerweile auch eine simplere Version der Triangle ohne Steuermöglichkeit unter der Bezeichnung X-Two. Diese ist als Alternative zu Kreuz- und SQR-Kappen zu sehen. Von ihrer Bauweise her verspricht sie eine besonders hohe Pendelstabilität.


Pentagon: Jeder der fünf Ecken liegt eine breite Stoffseite
gegenüber. Das verspricht eine hohe Pendelstabilität.
// Quelle: Nova
6. Fünfeckkappe (Pentagon)
Nova hat im Frühjahr 2018 eine erste eigene Rettung mit besonderer Fünfeckform präsentiert. Die Pentagon wurde in Zusammenarbeit mit dem Schweizer Urs Haari entwickelt, der mit seiner eigenen Marke High Adventure auch Rogallo-Retter anbietet.
Ein Hauptvorteil des Fünfecks ist, ähnlich wie bei der Dreiecksform, eine erhöhte Pendelstabilität, da die Kappen in der Pendelachse niemals spiegelsymmetrisch sind. Einer spitzen Ecke mit Luftauslassschlitz liegt immer eine breite, geschlossene Seite gegenüber. Die Kappe kann also per se nicht gleichmäßig pendeln, wodurch die Pendelbewegungen schneller gedämpft werden. Von den Sinkwerten her ist die Pentagon mit Kreuzkappen oder SQR-Rettern ähnlicher Fläche vergleichbar.


Base-Fallschirm: Steuerbar und ruckzuck offen.
// Quelle: Youtube, Supair
7. Base-System 
Dieses Rettungssystem bedarf eines speziellen Gurtzeuges. Darin ist ein kleiner, steuerbarer Rettungs-Gleitschirm integriert, wie er auch von Base-Jumpern verwendet wird.
Beim Auslösen der Rettung wird automatisch der Hauptschirm abgetrennt, wobei dieser noch den Container mit der Base-Rettung aus einem Fach zieht. Das ermöglicht sehr kurze Öffnungszeiten bei geringem Höhenverlust – ein großer Vorteil beim Acro-Training über Land. Allerdings werden solche Systeme bisher nur von wenigen Acro-Piloten eingesetzt. Base-Schirme müssen aktiv steuernd gelandet werden, um ein sanftes Aufsetzen zu ermöglichen. Im Rahmen der Serie Retterwissen wird nicht weiter darauf eingegangen.


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