Wie schnell wir unter einem Rettungsschirmes sinken, hängt maßgeblich von dessen Fläche ab. Zusätzlich gilt es zu beachten: Je dünner die Luft, desto schneller geht es nach unten.

Je höher die Sinkgeschwindigkeit in m/s, desto größer ist
die äquivalente Sprunghöhe ohne Fallschirm.
// Grafik: Lu-Glidz, mit Material von Pirk, cc-by-sa 3.0
Wenn wir uns einen Rettungsschirm kaufen, hoffen wir im Notfall möglichst sanft damit auf der Erde aufzukommen. Denn je langsamer der Abstieg erfolgt, desto geringer ist das Verletzungsrisiko.

Am anschaulichsten wird dieser Zusammenhang, wenn man Sinkgeschwindigkeiten einmal umrechnet in die Höhe aus der wir ohne Schirm springen müssten, um genauso hart aufzukommen.

Hüpfen wir von einem Stuhl (0,45 m Höhe), landen wir mit 3 m/s am Boden. Springen wir von einer typischen Küchenarbeitsplatte  (1 m), sind es schon 4,5 m/s.

Die 5,5 m/s, die für die Zulassung eines Schirmes gemäß der EN-Norm als Grenzwert festgeschrieben sind, erreicht man aus rund 1,5 Meter (Sprung vom Dach eines VW Golf). Der LTF-Grenzwert von 6,8 m/s wird ab einer Sprunghöhe von 2,3 Metern geknackt (mit einem zimmerhohen Kleiderschrank vergleichbar).  Und 10 m/s entsprechen gar schon einem Sprung vom Fünf-Meter-Brett – auf harten Untergrund wohlgemerkt.

Um die Landegeschwindigkeit in einem erträglichen Maß zu halten, gilt es also einen Rettungsschirm zu wählen, der unseren Fall entsprechend stark abbremst.

Wenn ein Mensch durch die Luft fällt, wird er dabei erst einmal immer schneller, bis er irgendwann eine bestimmte Maximalgeschwindigkeit erreicht. Schneller geht nicht, weil der Luftwiderstand bei dem Tempo so groß wird, dass der Körper nicht weiter beschleunigen kann. Spannen wir über dem fallenden Menschen einen Fallschirm auf, wird die Geschwindigkeit deutlich niedriger sein. Der erreichbare Wert hängt davon ab, welchen Widerstand der Schirm in der Luft entwickelt.


Die Formel der Fallgeschwindigkeit

Nun wird es kurz etwas mathematisch. Aber es lohnt sich, das Folgende halbwegs nachzuvollziehen! Für die Fallgeschwindigkeit gibt es eine Formel, in die verschiedene Variablen mit eingehen. Und wenn man deren Bedeutung bzw. Einfluss versteht, hat man schon die wichtigste Grundlage, um vielleicht nicht den in allen Fällen besten Retter für sich zu finden, aber zumindest schon viele unpassende aussortieren zu können.

Die Sinkwerte einer Rettung lassen sich mit folgender Formel berechnen:

V = sqrt ((2 · W) / (Cw · rho · A))

Dabei bedeutet:

  • v = Geschwindigkeit in m/s
  • sqrt = "Wurzel aus"
  • W = Anhängelast in Newton (= kg x 9,81)
  • Cw = Widerstandsbeiwert (dieser Faktor wird von der Form des Retters bestimmt. Eine simple Rundkappe in Halbkugelform hat einen Cw-Wert von etwa 1,33. Bei den flacher gebauten Rettungsschirmen ist von etwas höheren Werten auszugehen)
  • rho = Luftdichte (in der Praxis abhängig von der Höhe, der Temperatur und der Luftfeuchtigkeit)
  • A = Schirmfläche (hier müsste man eigentlich die projizierte Fläche ansetzen, doch diese wird bei Rettern nicht angegeben. Behelfsweise nimmt man die absolute Fläche in m²).


Es ist jetzt nicht nötig, den Taschenrechner auszupacken. Mit einem Online-Fallgeschwindigkeitsrechner kann man schnell mal ein wenig mit verschiedenen Werten herumspielen und dabei sehen, wie sie sich auf das Ergebnis auswirken. Ich empfehle einmal mit 120 kg, einem Cw-Wert von 2, einer Luftdichte von 1,225 (das entspricht Meereshöhe in der ICAO-Standardatmosphäre) und einer Schirmfläche von 32 m² zu beginnen. Ein solcher Schirm würde bei dieser Beladung auf ein Sinken von 5,48 m/s kommen und so die EN-Normvorgaben (max. 5,5 m/s) knapp erreichen.


Der Einfluss der Höhe

Interessant wird es, wenn man bedenkt, dass wir mit unseren Gleitschirmen selten auf Meereshöhe herumfliegen, sondern viel häufiger in Gebirgsregionen, teilweise auf 3000 Meter Höhe und mehr. Die offiziellen Angaben der Sinkgeschwindigkeit von Rettern gemäß EN und LTF sind allerdings immer auf Meereshöhe in einer ICAO-Standardatmosphäre bezogen. Um realistischere Werte für den Fliegeralltag zu bekommen, muss man die Fallgeschwindigkeitsformel mit den passenden Daten "füttern".

Betrachten wir einmal einen Retterabgang, bei dem der Pilot in 3000 Meter Höhe im Gelände aufschlägt. Die Luftdichte rho in dieser Höhe beträgt laut ICAO-Standardatmosphäre 0,9091. Setzt man diese in die Formel ein, bei ansonsten identischen Werten wie oben, erreicht das Sinken schon 6,36 m/s. Um auch dort auf 5,5 m/s zu kommen, gäbe es zwei Möglichkeiten. Entweder man senkt die Anhängelast, in diesem Fall auf 89 kg. Oder man wählt einen Schirm mit größerer Fläche. Für 120 kg wären dann schon 43 m² statt 32 m² nötig.

Auf die absoluten Zahlen kommt es am Ende aber gar nicht so an. Wichtig ist es zu verstehen, dass man als Pilot nicht einen Retter kauft, der einen immer mit z.B. 5,5 m/s absetzt, sondern dass dieser Wert nur eine auf Meereshöhe umgerechnete, standardisierte Angabe darstellt. Um sicher zu gehen, auch in größeren Höhen noch ein erträgliches Sinken zu haben, ist es also ratsam, einen Retter mit mehr Fläche zu wählen, bei dem man in der Regel deutlich unter der vom Hersteller angegebenen zulässigen Maximallast bleibt.

Als einfache Daumenregel kann man sich merken: Pro 1000 Höhenmeter muss man von der Maximallast einer Rettung 10 kg abziehen, um bei entsprechender Einschlaghöhe auf ungefähr die gleiche Fallgeschwindigkeit wie auf Meereshöhe zu kommen. (Welche Fallgeschwindigkeit man sich selbst noch zutraut verletzungsfrei abfangen zu können, muss dabei jeder für sich entscheiden.)

Eine weitere einfache Regel, die unter anderem der Retter-Experte Dani Loritz propagiert: Man rechne die Flächenbelastung seines Rettungsschirmes aus (Anhängelast / ausgelegte Retterfläche). Wer nicht riskieren will, in größeren Höhen allzu schnell vom Himmel zu fallen, fährt gut damit, bei seiner Retterwahl Werte unter 3 kg/m² anzupeilen.


Die Rolle der Retterform

Wer sich die Fallgeschwindigkeitsformel genauer angeschaut hat, wird feststellen, dass es noch eine dritte Variable gibt, die man verändern könnte: den Cw-Wert. Je größer der Cw-Wert einer Rettung ausfällt, desto langsamer wird sie in der Praxis bei gleicher Belastung sinken.

Der Cw-Wert wird von der Form des Retters bestimmt. Die Form hat einen Einfluss darauf, welche bremsenden Luftwirbel sich darum bilden und wie stark diese sind. Exakt ermitteln ließe sich der Cw-Wert nur im Windkanal. Aber kein Hersteller macht solche Windkanalversuche. Deshalb gibt es keine Angaben des Cw-Wertes von Gleitschirmrettungen.

Behelfsweise kann man die Cw-Werte aber errechnen. Dafür nimmt man die bei den Testabwürfen ermittelten Sinkwerte und stellt die oben vorgestellte Fallgeschwindigkeitsformel so um, dass sie als Ergebnis den Cw-Wert liefert. (Das lässt sich übrigens auch ganz einfach mit dem schon genannten Online-Fallgeschwindigkeitsrechner machen, indem man das Feld für den Cw-Wert frei lässt und dafür eine Fallgeschwindigkeit mit angibt. Das Programm liefert dann den zugehörigen Cw-Wert.)

Macht man dies einmal für vier recht populäre Rettermodelle mit den von den Herstellern angegebenen Daten, erhält man folgende Ergebnisse für den "rechnerischen" Cw-Wert (gerundet):

  • X-One 120 von X-Dreamfly: 1,6
  • SQR 120 von Companion: 2,0
  • Evo-Cross 120 von Independence: 2,3
  • Beamer 3 von Highadventure: 3,5

Das ist eine große Spannweite, die sich nicht einfach nur auf unterschiedliche Formen zurückführen lässt. X-One und Evo-Cross beispielsweise haben als Kreuzkappen beide eine quadratische Grundform und müssten deshalb viel näher beieinander liegen.

Der deutlich höhere "rechnerische" Cw-Wert der Evo-Cross lässt sich da nur anders erklären: Diese Kreuzkappe entwickelt beim Sinken auch eine Vorwärtsfahrt, was der Kappe neben dem Luftwiderstand zusätzlichen Auftrieb bringt und somit die Vertikalgeschwindigkeit verringert. Das wird von Independence auch so angegeben.

Ein "rechnerischer" Cw-Wert kann also deutlich höher ausfallen aus jener, den man allein als Formfaktor im Windkanal ermitteln würde. Ab welchen "rechnerischen" Cw-Werten man davon ausgehen muss, dass ein Retter seine guten Sinkwerte auch mittels einer gewissen Vorwärtsfahrt erreicht, darüber streiten die Experten.

Von den genannten vier Beispielen geben die Hersteller von X-One und SQR 120 jeweils an, dass ihre Modelle keine gerichtete Vorwärtsfahrt entwickeln, bei Evo-Cross und Beamer 3 hingegen schon. Vertraut man diesen Angaben, so könnte man pi mal Daumen ableiten: Wenn "rechnerische" Cw-Werte deutlich über 2 hinausgehen, ist das ein Hinweis darauf, dass ein Retter sehr wahrscheinlich nicht einfach nur senkrecht sinkt. (Das Für und Wider der Vorwärtsfahrt von Rettern wird eine kommende Folge der Retterwissen-Serie noch aufgreifen).


Das Problem (zu) großer Retter

Am Ende dieser Folge bleibt noch ein anderer wichtiger Hinweis: So ratsam es ist, nicht mit einem zu klein gewählten Retter unterwegs zu sein, so sinnvoll ist es auch, bei der Größe nicht zu übertreiben. Je langsamer ein Rettungsschirm sinkt, desto länger dauert unter Umständen der Abstieg. Bei Wind kann man dann weiter abgetrieben werden als einem vielleicht lieb ist. In stärkeren Aufwinden wird man vielleicht noch weiter steigen. Hängt man zudem ungemütlich im Gurtzeug und drücken die Gurte gar schmerzhaft in die Genitalien, wird man jede Sekunde, die man schneller am Boden ist, ebenso zu schätzen wissen.

Bei geringen Sinkgeschwindigkeiten werden manche Rettungsschirme zudem stärker auf Turbulenzen der Luft reagieren und so eher mal ins Pendeln geraten. Eine Landung aus der Pendelbewegung heraus birgt stets ein höheres Verletzungsrisiko.


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