Der Rescue Ejector schleudert mit Airbag-Technologie einen Notschirm in Sekundenbruchteilen aus dem Gurtzeug.
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Der Rescue Ejector in Aktion. Die gezeigte Sequenz dauert real weniger als eine Zehntelsekunde. // Quelle: rescueejector.com, Youtube
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Ein großes Problem beim Einsatz von Notschirmen ist: Zwischen dem Eintreten einer nicht mehr beherrschbaren Fluglage, der Entscheidung zum Ziehen des Retters und der tatsächlichen Öffnung des Notschirms vergeht häufig viel Zeit. Wertvolle Zeit, in welcher der Gleitschirm möglicherweise schon viel Schwung in einer sat-artigen Rotation aufnehmen kann. Dadurch steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem fatalen Retterfraß kommt.
All das wird von vielen Faktoren beeinflusst. Ein zögerlicher Pilot, das Suchen nach dem Rettergriff, ein zu wenig kraftvoller Retterwurf, etc. Vieles davon ließe sich zumindest abmildern, wenn die Entscheidung zum Auslösen der Rettung entkoppelt würde von der Anforderung, diese auch noch aktiv und schwungvoll werfen zu müssen.
Die Lösung wäre eine Art Notschirm-Schleuder, die gewissermaßen auf Knopfdruck funktioniert und den Retter in Sekundenbruchteilen in den Luftraum spuckt – schneller und wuchtiger als es jeder Pilot mit eigener Kraft schaffen könnte.
Der französische Arzt und Gleitschirmpilot Jean Philippe Gallat hat ein solches System entwickelt. Erste Prototypen seines Rescue Ejector führte er schon 2018 vor (Lu-Glidz berichtete). 2019 gewann er mit der Idee einen Innovationspreis beim Coupe Icare. Doch er brauchte dann noch weitere drei Jahre, um das System bis zur Anwendungsreife zu bringen.
Mittlerweile ist es seiner Ansicht nach soweit. Gallat präsentierte das Ergebnis 2022 abermals beim Coupe Icare und verkündete zudem einen offiziellen Hersteller: Das französische Unternehmen Helite, ein Spezialist für Reiter- und Motorrad-Schutzkleidung mit Airbag-Technologie, wird den Rescue Ejector produzieren.
Wie funktioniert der Rescue Ejector?
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Ejector-Airbag // Quelle: JP Gallat
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Kernstück ist ein Airbag, der von seiner rechteckigen Form her den Dimensionen eines typischen Retterfaches im Gurtzeug entspricht. Er wird zusammengefaltet hinter dem Notschirm im Retterfach installiert.
Wird der Rescue Ejector ausgelöst, füllt sich der Airbag blitzschnell mit Kohlendioxid aus einer kleinen CO2-Patrone. Dabei bläst er sich zu einer Art Stößel auf. So schiebt er die Rettung mit hoher Geschwindigkeit (rund 10 m/s) aus dem Retterfach. Die Wucht reicht aus, das Notschirmpaket so schnell und so weit vom Gurtzeug wegzuschleudern, dass sich die Leinen in deutlich weniger als einer Sekunde komplett strecken.
Angesteuert wird der Ejector-Airbag elektrisch. Das System sieht dafür einen am Schultergurt, im Sichtfeld des Piloten installierten Notgriff vor. Zieht man daran, schließt sich ein elektrischer Kontakt, und die CO2-Patrone wird von einem kleinen pyrotechnischen Bolzen aufgeschlagen. Die nötige Energie liefert eine 9V-Blockbatterie.
Für die Funktion des Rescue Ejector sind auch noch spezielle Kunststoffsplinte wichtig. Mit ihnen wird das Retterfach verschlossen. Die Splinte sind so geformt und flexibel, dass sie sowohl über den normalen Rettergriff des Gurtzeugs gezogen, als auch durch den Airbag von innen heraus aufgedrückt werden können. So ergeben sie ein redundantes System: Sollte der Ejector versagen, kann der Pilot den Notschirm immer noch konventionell von Hand auslösen.
Der Airbag ist wiederverwendbar. Er muss dafür nur mit einer neuen CO2-Patrone ausgestattet werden. Das System erfüllt die Sicherheitsanforderung der Luftfahrtorganisation IATA. Ein Gurtzeug mit Rescue Ejector kann ohne Auflagen im Flugzeug mitgenommen werden.
Lässt sich ein Rescue Ejector nachrüsten?
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Komplett-Kit eines Rescue Ejector. // Quelle: JP Gallat |
Ja, aber nicht generell. Nach Darstellung von Jean Philippe Gallat ist der Rescue Ejector mit vielen heute schon vorhandenen Gurtzeugen kompatibel, wenn auch nicht mit allen. Der Airbag muss zur Breite und Höhe des Retterfaches passen. Zudem muss der Verschluss des Retterfaches mit den speziellen Splinten funktionieren. Bei manchen Gurtzeugen, bei denen zum Beispiel lange Nylondrähte als Splinte dienen, ist das unter Umständen nicht möglich.
Zum Nachrüst-Kit des Rescue Ejector gehört der Auslösegriff zur Befestigung am Schultergurt und das Verbindungskabel. Dieses wird im Gurtzeug im gleichen Kanal wie die Leinen der Retteraufhängung verlegt. Das gesamte System wiegt 300 Gramm.
Gallat empfiehlt, den Einbau von dafür ausgebildeten Personen durchführen zu lassen, z.B. einer Flugschule oder im Fachhandel. Dort muss die Kompatibilität des Rescue Ejector mit dem Gurtzeug geprüft und unter Umständen auch getestet werden.
Gallat hofft zudem, dass Gurtzeughersteller künftig von sich aus die Kompatibilität des Systems mit ihren Modellen testen und dann offiziell ausweisen werden. Noch besser: Die Hersteller bauen neue Gurtzeugmodelle künftig so, dass der Rescue Ejector bereits integriert bzw. alles dafür vorbereitet ist. Dazu würde die passende Auslegung und Stabilität des Retterfaches, dessen Verschluss mit kurzen Splinten, der im Schultergurt integrierte Auslösegriff und eine saubere Verlegung der Kabel gehören.
Gehört dem Rescue Ejector die Zukunft?
Diese Frage lässt sich schwer beantworten. Vieles wird wohl davon abhängen, inwieweit Gurtzeughersteller das System gutheißen und von sich aus Modelle anbieten werden, die dafür ausgelegt sind. Sie könnten dann als "Ready for Rescue Ejector" auf den Markt kommen. Bei solchen Vorzeichen würde die Retterschleuder wohl eine Chance haben, von den Piloten als Sicherheitsfeature anerkannt und nachgefragt zu werden.
Der Sicherheitsreferent des DHV, Karl Slezak, würde sich den Erfolg des Systems durchaus wünschen. Nach etlichen Tests, u.a. im G-Force-Trainer, ist er vor allem von der sehr einfachen Bedienung und der Auslösegeschwindigkeit beeindruckt. "Der Ansatz ist richtig, richtig gut", sagt er. "Ich sehe den Rescue Ejector als große Chance, wenn das Gurtzeug darauf abgestimmt ist."
Letzteres ist allerdings die Crux. Bei einigen Versuchen des DHV mit einer Vorserienausführung des Rescue Ejector gab es auch Fehlauslösungen. In manchen Fällen saßen die Spezialsplinte zu fest, um das Retterfach freizugeben. Oder es entstanden auch Schäden am Retterfach – weil sich Ösen oder Nähte als zu schwach für die nicht vorgesehene Belastung erwiesen.
Fazit: Beim simplen Nachrüsten eines Rescue-Ejector-Kits in ein vorhandenes Gurtzeug ist die tatsächliche Kompatibilität ohne weitere Tests nur schwer ersichtlich.
Verhindert der Rescue Ejector den Retterfraß?
Das wäre eine der großen Hoffnungen Karl Slezaks und wohl auch vieler Piloten. Allerdings zeigten die Versuche des DHV keinen voll umfänglichen Erfolg: Der Rescue Ejector kann den Retter zwar schneller und wuchtiger aus dem Gurtzeug schleudern als jeder Pilot. Doch bei manchen sat-artigen Zuständen wird die Rotation der Kappe innerhalb kurzer Zeit so schnell, dass selbst der per Airbag ausgeschleuderte Retter noch immer vom Gleitschirm eingeholt und "gefressen" wird, bevor er sich weiter entfalten kann.
Das sollte man nicht als Argument gegen das System heranziehen. Der Rescue Ejector dürfte einen echten Sicherheitsgewinn darstellen. Und auch die Wahrscheinlichkeit eines Retterfraßes könnte der Rescue Ejector durchaus reduzieren, aber eben nicht um 100 Prozent.
Hinweis: Auf der Website rescueejector.com gibt es weitere Infos zum Konzept samt einiger Videos von Tests des Rescue Ejector.
Nachtrag vom 19.10., mit einer Klarstellung von Jean Philippe Gallat, Entwickler des Rescue Ejector:
Bei den Exemplaren, die dem DHV zur Prüfung übergeben wurden, handelte es sich um Prototypen, die zu Testzwecken mit allen damit verbundenen Unwägbarkeiten anvertraut wurden. Seitdem wurden mehrere weitere Versionen entwickelt, um Mängel zu beheben, die dem Konstrukteur unter diesen Umständen nicht mitgeteilt worden waren. Wie bei jedem industriellen Prozess entspricht das auf den Markt gebrachte Gerät in keiner Weise den verschiedenen Prototypen und ist absolut zuverlässig.
Dieser Beitrag ist Teil der Serie Retterwissen auf Lu-Glidz. Sie liefert grundlegende Infos, was man bei der Auswahl und dem Einsatz von Rettungsschirmen beachten sollte.
3 Kommentare
nach meiner Erinnerung gab es in den 90ern bereits ein ähnliches System von Charly / Finsterwalder, das sich aber nicht durchsetzen konnte.
AntwortenLöschenSehr spannend! Bei 300g kann ich mir gut vorstellen, dass es zum neuen Standard wird, ausser bei Leichtgurtzeugen. Wenn man sich die Retterstudien anschaut wird schnell klar, dass sehr viele Piloten in Extremsituationen vom Retterwerfen überfordert sind (vgl. https://lu-glidz.blogspot.com/2021/01/retterwissen-9-retterwurf-studie-2.html).
AntwortenLöschenWeitere Vorteile von dem Konzept:
- Formfaktor des elektrischen Auslösers kann prinzipiell frei gewählt werden -- sei es ein klassischer Rettergriff, oder ein T-Griff wie bei Lawinenairbags, oder etwas anderes.
- Die Position kann ebenfalls frei gewählt werden, zum Beispiel um eine leichte und intuitive Erreichbarkeit zu erlangen, um den Auslöser ins Sichtfeld des Piloten zu rücken oder um eine Auslösung mit links und rechts zu ermöglichen.
- Eine Fern-Auslösung durch den Trainer in SIVs ist bereits geplant. Das ist natürlich auch ein sehr nützlicher Anwendungsfall. (siehe https://www.rescueejector.com/phone/professionnal.html)
Gibt es schon Informationen zum Preis?
Ich wäre eher skeptisch ob es viele Piloten gibt die so etwas nachrüsten möchten, aber wenn es Serienmässig in neuen Gurtzeugmodellen eingebaut wird, kann es sicher Erfolg haben.
Gute Analyse. Ich bin auch eher skeptisch, ob viele Piloten ein Nachrüstkit ordern würden, zumal schwer ersichtlich ist, ob das eigene Gurtzeug wirklich dafür tauglich ist. Sind z.B. die Struktur und die Nähte des Retterfaches fest genug, um diese Druckbelastung aufzunehmen, oder muss das Gurtzeug nach dem Rettereinsatz zur Reparatur? Wenn Hersteller beim Gurtzeugdesign von Anfang an den Rescue Ejector mit einbeziehen, wird der RE zu einer wirklich interessanten Option und wäre ein echter Sicherheitsfortschritt.
LöschenEine interessante Designfrage ist auch: Wie kann man den Auslösegriff so sichern, dass er im Ernstfall gut erreicht wird, dass es aber im Fliegeralltag nicht zu Fehlauslösungen kommt. Zum Beispiel: Man zieht das Gurtzeug aus dem Rucksack, der Griff bleibt irgendwo hängen - und POW fliegt einem die Rettung davon.
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