Präfrontales Fliegen ist unberechenbar. Deutlich vor dem Regen kann einer Kaltfront eine Druckwelle mit Starkwind vorauslaufen. Für Gleitschirmflieger ist das besonders gefährlich. 

Die Entwicklung der Druckwelle vom 7. August in der Isobaren- und Wind-Darstellung von Windy.
Innerhalb weniger Stunden bildet sich vor der eigentlichen Kaltfront ein ausgeprägter Trog.
Im Voralpengebiet herrscht im Rückraum der Welle ein lokal begrenztes Starkwindfeld (grüne Zone).
Die Isobaren habe ich zur Verdeutlichung der Welle rot hervorgehoben.
// Quelle: Windy, bearbeitet


Das DHV-Wetter mit einem Hinweis auf eine
mögliche Druckwelle. Wer so etwas liest, 
sollte immer doppelte Vorsicht walten lassen.
// Quelle: DHV
Es regnet ja noch nicht, also kann ich noch fliegen? Diese Einstellung bei aufziehenden Kaltfronten kann sehr gefährlich sein. Denn manche Kaltfronten sind mit einem besonderen Phänomen verbunden: Der eigentlichen Front mit dem dazugehörigen Regengebiet eilt zuweilen eine schmale Zone mit einem wellenartig verringerten Luftdruck voraus. Das kann dramatische Auswirkungen haben. Im Bereich der Welle nimmt der Luftdruck auf kurze Distanz erst ab und dann wieder zu. Daraus ergibt sich ein kleinräumiger Druckgradient, der den Wind gehörig anfacht. Und das kann innerhalb von Minuten geschehen. Wer sich gerade noch bei sanften 15 km/h durch die Lüfte schaukeln ließ, findet sich dann u.U. bei 60 km/h Wind rückwärts fliegend in größter Not wieder.

Dass ich gerade heute diesen Post schreibe, liegt daran, dass gestern eine solche Druckwelle vor den bayerischen Alpen imposant durchzog. Zudem bat mich ein Lu-Glidz-Leser, dieses Phänomen doch einmal etwas genauer zu beleuchten. Freundlicherweise kam die Druckwelle erst am frühen Abend, nach einem schon vom Südwind (Föhn) geprägten Flugtag, weshalb vermutlich oder hoffentlich zu der Zeit niemand mehr in der Luft war und zu Schaden kam. 

Die Messkurven einer Holfuy-Station am Landeplatz des 
Hochfelln zeigen den Windsprung und Temperaturabfall
der Druckwelle. // Quelle: Spotair.mobi
Erhellend ist es aber schon, sich die Messwerte verschiedener Stationen einmal anzuschauen. Das Bild rechts zeigt beispielsweise den Windsprung der Druckwelle am Landeplatz des Hochfelln, südlich des Chiemsees. Um kurz nach 19 Uhr schwoll der Wind in kürzester Zeit von unter 10 km/h auf über 30 km/h (Mittelwind) und 50 km/h in den Spitzen an. Am Gipfel des Hochfelln wurden sogar Windspitzen bis 70 km/h verzeichnet. Regen fiel zu dem Zeitpunkt nicht. Der kam erst über eine Stunde später.

Interessant ist nicht nur der Verlauf der blauen Messkurve des Windes, sondern auch die orange-gestrichelte der gemessenen Temperatur. Denn die fällt ebenso plötzlich von über 25°C auf  unter 15°C. Dieser Temperaturabfall spielt eine zum Druckgradient noch verstärkende Rolle für Wind.

Bodennah vorauseilende Kaltluft

Die Entstehungsweise solcher Druckwellen ist sehr komplex. Viele Faktoren können Stärke und Ausprägung beeinflussen, darunter die Temperaturunterschiede zwischen kalten und warmen Luftmassen an der Front, die Temperaturschichtung und der Feuchtegehalt der einzelnen Luftmassen, etc. Eins haben bodennahe Druckwellen aber immer gemeinsam: Sie treten dann auf, wenn die kalten Luftmassen einer Kaltfront nicht in allen Höhenschichten als weitgehend einheitliche "Front" nach vorne marschieren. Manchmal hat die kalte Luft in den bodennahen Schichten einen deutlichen Vorsprung.

Diese vorlaufende Kaltluftzunge schiebt sich unter die wärmeren Luftmassen und hebt diese an. Sind die Luftmassen nicht nur warm, sondern auch feucht und etwas labil geschichtet, sorgt diese Zwangshebung für eine kräftige Konvektion und Kondensation: Es bilden sich hoch aufschießende Wolken, häufig sogar Gewitter. So kann vor der eigentlichen Kaltfront (bei der dann auch in höheren Luftschichten kältere Luft vorherrscht) eine vorauslaufende Gewitterfront entstehen. Für Gleitschirmflieger ist das übrigens i.d.R. die "bessere" Variante, weil die Gewitter schon einige Zeit im voraus sichtbar werden und man dann die Gelegenheit hat (und nutzen sollte), sicherheitshalber landen zu gehen.

Besonders fies sind Druckwellen, die scheinbar "aus heiterem Himmel" oder mit einem nicht zwangsläufig bedrohlich erscheinenden Wolkenbild daher kommen. Das kann passieren, wenn sich die vorlaufende Kaltluftzunge unter wärmere Luftmassen schiebt, die ihrerseits vergleichsweise trocken sind und stabil geschichtet. Gerade im Alpenvorland, wo die Luftmassen im Tagesgang des Alpinen Pumpens häufig großräumig absinken, ist so eine Situation des Öfteren gegeben.

Stratus-Wolken während der Druckwelle am Hochfelln.
Der Regen kam erst deutlich später. // Foto: Lu-Glidz
Dort wird die bodennah einfließende Kaltluft die darüber liegende Luft zwar auch heben, es kommt aber nicht mehr zu den sich selbst verstärkenden Konvektionsprozessen. Denn alles, was aufsteigen will, wird in der Inversion gleich wieder ausgebremst.

Sind die Luftmassen sehr trocken, werden nicht einmal Wolken sichtbar, die auf eine anrückende Wetteränderung hinweisen würden. Oder es bilden sich unter der Inversion nur harmlos erscheinende Schichtwolken (Stratus), denen man normalerweise kein größeres Gefahrenpotenzial zumisst.

Allerdings ist genau das bei einer Druckwelle ein Fehlschluss. Denn die bodennah einfließende Kaltluft wird bei solchen Schichtungsverhältnissen unter dem Inversionsdeckel regelrecht eingezwängt. Es bildet sich eine Düse, die vor allem an Geländekanten einen noch kleineren Querschnitt bekommt. Dort wird der Grundwind dann zusätzlich unter der Inversion beschleunigt. Es kommt zu enormen Windspitzen. Diese Fälle sind für Gleitschirmflieger, die noch kurz zuvor friedlich an irgendwelchen Kanten soarten, besonders tückisch.


Druckwellen erkennen

Kann man eine solche Entwicklung voraussehen? Mit einem groben Wetterkartenstudium, bei dem man z.B. nur die Bodenwetterkarte mit eingezeichneten Fronten für 12 Uhr mittags anschaut, in der Regel nicht. Auch aus Punktprognosen (Meteogrammen), die einem die Wetterentwicklung an einem Ort in 3-Stunden-Schritten anzeigen, werden kürzere Starkwindphasen wie bei einer Druckwelle nur schwer ersichtlich. 

Da muss man schon deutlich tiefer in die Materie einsteigen und am besten Meteo-Dienste nutzen, die einem die Wetterentwicklung im Stundenrhythmus und auf Basis möglichst feinmaschiger Modelle ausgeben. Wenn man darin z.B. die Isobarenkarten Stunde für Stunde durchklickt, wird man das Aufschwingen und Wandern einer Druckwelle wie im ganz oben gezeigten Bild erkennen können. (Hinweis: Prognosen im Stundenrhythmus gibt es bei Windy nur gegen Bezahlung).

Eine Druckwelle zog am 6. Juli mittags durchs Allgäu.
In den Windprognosen von Meteo-Parapente war die 
Entwicklung erkennbar. Die Grafiken zeigen die Lage
um 10, 12 und 14 Uhr. // Quelle: Meteo-Parapente 
Wichtig ist vor allem, sich an Tagen mit anrückenden Kaltfronten die Bodenwindvorhersagen besonders genau anzuschauen, und zwar wieder anhand von Modellen mit einem sehr feinen Raster und mit stündlichen Zeitschritten über den ganzen Tag. Das geht z.B. mit Meteo-Parapente sehr gut. Eine andere Möglichkeit bietet Meteoblue, wo man zoombare Windprognosen des hochauflösenden ICON-D2 Modells im Stundenrhythmus aufrufen kann. Kachelmannwetter zeigt auch Daten des eigenen Modells Super HD im Stundenrhythmus. In allen Fällen können Druckwellen als schmale, sich verlagernde Starkwind-Streifen in den Windkarten auftauchen (vgl. Bild rechts). 

Wenn einem beim Wettercheck so etwas auffällt, sollte man in den Modus größter Vorsicht schalten und sicherheitshalber schon Stunden vor dem möglichen Eintreffen der prognostizierten Druckwelle das Fliegen einstellen. Denn Meteo-Prognosen haben immer auch eine zeitliche Unschärfe, die man einkalkulieren sollte. Fronten und Druckwellen könnten gelegentlich schneller vorrücken, als von den Wettermodellen berechnet. Und wehe, man befindet sich dann noch in der Luft.

Zum Abschluss noch ein paar Empfehlung, wie man bei präfrontalen Wetterlagen mit angekündigten Kaltfronten seine eigenen Wettercheck-Routinen verfeinern bzw. ergänzen sollte:

1. Lies immer auch das ausführliche Textwetter von Wetterdiensten! Dort werden zu erwartende Besonderheiten wie vorlaufende Gewitterlinien oder Druckwellen in der Regel erwähnt. Besonders aufschlussreich hinsichtlich gefährlicher Windphänomene sind die Ballonwetterberichte! 
2. Checke gerade an Tagen mit anrückenden Fronten das Wettergeschehen möglichst Stunde für Stunde. In den Isobaren- bzw. den Bodenwindkarten werden Druckwellen bzw. wandernde, schmale Starkwindfelder dann besser ersichtlich.
3. Rufe auch im Gelände vor einem möglichen Start immer am Smartphone noch ein aktuelles Regenradarbild ab. Vergleiche die Darstellung mit Niederschlagsprognosen von Wettermodellen für die gleiche Uhrzeit. Liegen deutliche Unterschiede vor? Vor allem wenn der Regen schneller anrückt als laut Prognose solltest Du auf der Hut sein.
4. Man verliert wenig aber gewinnt viel, wenn man vor Kaltfronten die Fliegerei sehr "konservativ" betreibt und beim leisesten Zweifel oder Unbehagen besser auf einen Flug verzichtet. 


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