Die neue Marke Flare startet innovativ. Ihr Schirm Moustache definiert mit besonderen Steuer- und Flugeigenschaften eine eigene Schirmklasse.

Moustache – der Name prägt auch das Schirmdesign.
// Quelle: Flare
Heute ist unter dem Namen Flare eine neue Gleitschirmmarke offiziell gestartet. Schon seit Wochen wurde auf sozialen Medien stets noch ein wenig geheimniskrämernd die Werbetrommel dafür gerührt. Dabei fiel immer auch das Wort: Revolution. 

Flare ist eine weitere "Brand" aus dem Hause Skywalk, neben den Marken Skywalk und Flysurfer. Sie bringt ein Produkt auf den Markt, das es so bisher nicht gab: Ein Schirm zum Fliegen, aber mit Anleihen bei den Kites und ihren aerodynamischen Eigenschaften und Steuer-Möglichkeiten. Vor allem fürs Soaring und das geländenahe Speedflying eröffnen sich damit neue Möglichkeiten. Das erste Modell dieser Art von Flare heißt Moustache.


Reflex-Profil und Mischer

Der Markenname Flare ist programmatisch. Er unterstreicht eine der zentralen Eigenschaften des neuen Schirmkonzepts, das letztendlich eine neue Klasse definiert: Es kann Geschwindigkeit in beeindruckender Weise in Höhe umsetzen, aber auch Höhe in Geschwindigkeit. Denn der Moustache beherrscht ein Manöver, das kein herkömmlicher Gleitschirm so bietet: Aus dem Normalflug einfach durchs Freigeben der Bremse den Gleitwinkel massiv zu verschlechtern und nach unten wegzutauchen.

Möglich wird das durch zwei bauliche Eigenschaften, die aus der Kite-Entwicklung kommen. Erstens besitzt der Moustache ein sogenanntes Reflex- bzw. S-Schlag-Profil. Das wirkt auto-stabilisierend. Der Schirm kann damit so gut wie nicht unterschneiden und dann einklappen. Durch die spezielle Profilform wirken die aerodynamischen Kräfte immer so, dass sie den Schirm aufrichten und über dem Piloten stabilisieren.

Beim "Mischer"-Tragegurt des Moustache beeinflusst
die Bremsstellung auch die C- und B-Ebene.
// Quelle: Flare
Zweitens besitzt der Moustache eine besondere Leinenaufhängung mit einem sogenannten Mischer. 

Wenn man bei einem normalen Gleitschirm an der Bremse zieht, wird nur die Hinterkante heruntergezogen. Beim Moustache ist die Bremse hingegen über ein Flaschenzugsystem auch mit der C- und der B-Ebene verbunden. 

Wenn man hier die Bremse setzt oder freigibt, werden C und B in einem definierten Verhältnis (ein Drittel und ein Sechstel des Weges auf der Bremse) mit gezogen bzw. ausgelassen. Der Effekt ist der, dass das gesamte Profil wie auf einer Wippe sitzt und kippt, ohne gleich stärker verformt zu werden. Das erlaubt eine sehr weite Kontrolle des Anstellwinkels, und zwar allein über die Bremse.

Aus dem Mischer resultiert noch eine weitere Eigenheit des Moustache: Ein Fußbeschleuniger ist weder vorgesehen noch nötig. Um voll zu beschleunigen, muss man nur die Bremse ganz freigeben, damit sich das Profil auf erhöhtes Sinken mit entsprechender Geschwindigkeit einstellt. Für den Normalflug, analog zum Flug im Trimmspeed eines klassischen Gleitschirms, muss der Pilot die Bremse auf eine bestimmte Höhe (Neutralstellung) ziehen und halten. Von dort aus gibt es dann die zwei Optionen: Steuerleinen lösen für mehr Speed und mehr Sinken, Steuerleinen ziehen für mehr Auftrieb. Die allgemeine (Kurven-)Steuerung ist wiederum weitgehend so wie bei normalen Gleitschirmen. 


Soaring-Maschine

Diese Eigenschaften des Moustache bedingen ein besonderes Einsatzspektrum des Schirmes. Denn man muss auch betonen: Manches ist damit gar nicht so gut möglich. Durch das Reflex-Profil eignet sich der Moustache kaum für dynamische Acro-Manöver mit Pitchbewegungen. Und die Steuerung, die den Piloten dazu zwingt, für den Normalflug die Bremsen immer in der Hand und unter Zug zu halten, macht den Schirm auch fürs Thermik- und Streckenfliegen eher unpassend. Die nötigen Haltekräfte seien auf Dauer zu hoch, um damit stundenlange XC-Flüge genießen zu können, erklärt Flare-Konstrukteur Benni Bölli. Zumal man in der Luft nicht einfach mal die Bremsen loslassen kann, um Instrumente zu bedienen, ein Foto zu machen, ein Müsliriegel zu essen oder einfach mal die Hände auszuschütteln. Dann geht es gleich schnell abwärts. 

Soaringspielchen mit dem Moustache.
// Quelle: Flare
Gedacht ist der Moustache vor allem fürs Soaring. In diesem Punkt könnte Flare mit dem Schirm ein neues Kapitel in der Gleitschirmgeschichte aufschlagen. Denn das Konzept verspricht zum einen mit seinem Tauch- und Steigvermögen viel Spiel und Spaß im Hangaufwind. Zum anderen erweitert es das start- und fliegbare Windfenster enorm. 

Während die meisten Piloten mit klassischen Gleitschirmen bei 30 km/h Wind an die Grenzen ihrer Bodenhandlingfähigkeiten stoßen, lassen sich mit einem Moustache problemlos auch höhere Windstärken meistern. 

Das liegt unter anderem an der von Kites bekannten Möglichkeit des Depowering: Wenn man die Steuerleinen ganz auslässt, stellt sich das Profil so in den Wind, dass es so gut wie keinen Zug mehr auf den Piloten ausübt. Die Gefahr, am Startplatz ausgehebelt zu werden, ist dann nicht mehr vorhanden. Der Schirm steht einfach über einem und entwickelt erst dann mehr Auftrieb, wenn man durch Zug an der Bremse mehr Fläche in den Wind stellt. In den Tutorial-Videos zum Schirm wird das eindrucksvoll demonstriert.

Der Moustache bietet fürs Starkwind-Soaring noch einen weiteren Sicherheitsvorteil: Man kann durch das einfache Abtauchen sehr schnell Höhe abbauen und sich so bei Bedarf, etwa bei auffrischendem Wind, in geschütztere Bereiche vor einem Hang oder einer Düne retten, anstatt vielleicht ins Lee verblasen zu werden. 

Dieses schwungvolle Abtauchen macht den Moustache auch noch für eine andere Fliegergruppe interessant: die Speedflyer-Piloten. Die nutzen bisher sehr kleine Flächen, um im ass-to-grass-Modus knapp über Grund ihre Lines entlang steiler Hangkonturen zu ziehen. Die kleinen Speed-Schirme erschweren es allerdings, mangels Gleitzahl auch mal über längere, flache Hangpassagen hinweg zu kommen. Der Moustache könnte sich hier als Game-Changer erweisen. Denn er vereint zwei Welten miteinander. Den Speed und Dive der Speedglider mit der bei Bedarf abrufbaren Gleitleistung klassischer Gleitschirme.

 

Lange Entwicklungsgeschichte

Gut Ding will Weile haben, könnte man meinen, wenn man sich die Entstehungsgeschichte des Moustache anschaut. Schon vor über zehn Jahren hatte Armin Harich, damals Chefentwickler der Kite-Marke Flysurfer, das Experiment gestartet, einen Race-Kite mit kürzeren Leinen und Tragegurten an ein Gleitschirmgurtzeug zu hängen. Armin soarte 2011 mit ersten Prototypen im Starkwind und schwärmte von den Möglichkeiten, die gesamte Anstellwinkelkontrolle des Profils über die Bremsen auszuüben – samt des oben beschriebenen Depowering. Das Projekt lief damals noch unter dem Namen Skycarver.

Allerdings war es nicht Armin Harich, sondern Benni Bölli, der als weiterer Flysurfer-Konstrukteur die Idee einige Jahre später aufgriff und mit viel Herzblut bis zur Serienreife brachte. In seiner Freizeit zeichnete er den Schirm, entwarf den besonderen Tragegurt zur kite-ähnlichen Leinenanlenkung und investierte schließlich einen ganzen Privaturlaub in Dänemark dafür, die Trimmung der Kappe zu optimieren. Als dann auch andere, ausgewählte Piloten den Prototypen immer wieder mal testen durften und begeistertes Feedback gaben, ließen sich auch die Gesellschafter von Skywalk als Investoren davon überzeugen: Das Ding hat Potenzial. Lasst uns dafür sogar eine eigene Brand gründen.


Spezielles Vertriebskonzept

Das Logo von Flare.

Dass der Moustache nicht als Skywalk-Schirm erscheint, hat seinen Grund. Die Steuertechnik ist schon eine derart andere, dass es allen Beteiligten sinnvoll erschien, hier eine erkennbare Abgrenzung von herkömmlichen Gleitschirmen vorzunehmen, erklärt Flare-Marketingleiter Daniel Ziemer. Zumal der Moustache auch zulassungstechnisch nicht ins Schema passt. 

Die üblichen Klappertests etc. nach der EN-Norm 926.2 lassen sich damit bauartbedingt gar nicht durchführen. Drum kommt der Schirm auch nur mit einem Lasttest zertifiziert auf den Markt. 

Für Deutschland bedeutet das übrigens: Da  die erforderliche LTF-Zulassung fehlt, ist das Fliegen mit dem Moustache hierzulande nicht legal – zumindest wenn man sich damit mehr als 30 Meter über Grund in die Lüfte schwingen würde. Hangnahes Soaring fällt da in eine Grauzone. Im Rest der Welt gibt es aber keine Einschränkungen.

Als eigenständige Brand geht Flare auch im Vertrieb neue Wege. Die Schirme sollen nicht wie bisher bei Gleitschirmen üblich über alle möglichen Flugschulen als Händler auf den Markt kommen, mit der zugehörigen Preiskonkurrenz. Vielmehr soll der Kauf direkt über Flare abgewickelt werden, zu festgesetzten Preisen. Allerdings werden die Schirme dann über lokale "Pro-Partner" der Marke an die Kunden ausgeliefert. Das soll sicherstellen, dass die Käufer eine gute Beratung und wo nötig auch Einweisung zum Gerät erhalten. Zudem sollen erst einmal nur Piloten mit nachgewiesener Flugerfahrung einen Schirm erhalten. 


Was macht die Konkurrenz?

Jetzt wird es erst einmal spannend, ob und wie der Moustache vom Markt auch angenommen und für was er dann am häufigsten eingesetzt werden wird? Eher Küstensoaring oder Speedflying? Hat der Schirm gar das Zeug dazu, zum Ur-Vater einer neuen Spielart oder gar Sparte des Gleitschirmsports zu werden? 

Benni Bölli jedenfalls glaubt fest daran. Und auch, dass bei erkennbarem Erfolg sicher noch andere Marken mit ähnlichen Konzepten nachziehen werden. 

Immerhin gibt es heute schon eine Reihe von Herstellern und Konstrukteuren, die sowohl im Gleitschirm- als auch im Kite-Business zu Hause sind – darunter Ozone, Flow, BGD und LittleCloud. Sie dürften den Start von Flare und den Widerhall des Moustache in der Szene sicher sehr aufmerksam beobachten.  


HÖRTIPP: In der Folge #99 des Podcasts Podz-Glidz erzählt Moustache-Konstrukteur Benni Bölli die Geschichte hinter dem Moustache.