Immer mehr Gurtzeuge nutzen dünne Koroyd-Protektoren. Doch es gibt Zweifel: Sind sie fürs Fliegen wirklich eine gute Wahl? 

Koroyd-Protektor nach dem Crash von Nick Neynens
// Quelle: Nick Neynens

Im Sommer 2022 ist der von den X-Alps bekannte, neuseeländische Pilot Nick Neynens bei einem Trainingsflug in den Alpen im felsigen Gelände abgestürzt. Er hat den Crash überlebt, ist aber seither querschnittgelähmt. 

An den genauen Hergang seines Unfalls kann er sich nicht mehr erinnern. Dennoch hat er versucht, die Umstände so gut es geht in einem Video auf Youtube aufzuklären. Darin zeigte er auch ein Bild des Protektors – und zwar in der Form, wie er nach dem Crash im Gurtzeug saß (s. Foto). 

Zu erkennen ist, dass die grünen Quader aus sogenannten Koroyd-Röhrchen zwar teilweise verdreht, aber kaum verformt waren. Eigentlich würde man erwarten, dass sich das Koroyd-Material unter der Wucht des heftigen Aufpralls viel stärker hätte zusammenknautschen müssen.

Nun wäre es voreilig, aus einem solchen Bild gleich den Rückschluss zu ziehen, der Koroyd-Protektor habe versagt. Es ist ja nicht bekannt, inwieweit Nick Neynens bei seinem Crash überhaupt auf dem Protektor aufkam. Er könnte auch seitlich im Gelände eingeschlagen sein. 

Dennoch ist mit Blick auf diesen Vorfall eine Diskussion im Paraglidingforum entbrannt und später auch auf das deutsche Gleitschirmdrachenforum übergeschwappt: Könnte es sein, dass Koroyd-Protektoren zwar von der Theorie her und im Teststand gute Ergebnisse erzielen, aber in der Praxis dem Piloten zuweilen nur einen unzureichenden Schutz bieten?

Wie funktioniert Koroyd?

Bevor man sich in die Sicherheitsdiskussionen vertieft, ist es wichtig erst einmal zu verstehen: Wie funktioniert Koroyd überhaupt im Protektor? Anders als bei klassischen Schaumstoff oder Airbag-Protektoren handelt es sich hier um ein relativ festes Material, das auf Druck nicht sofort nachgibt. Koroyd-Elemente bestehen aus dünnen, zusammengeschweißten Plastikröhrchen, die sich gegenseitig stabilisieren. Erst ab einem bestimmten Schwellenwert einer einwirkenden Belastung beginnen sich die Röhrchen wie die Knautschzone eines Autos zu verkrumpeln. Die Energie eines Einschlags wird dabei in eine dauerhafte Verformung umgeleitet und auf diese Weise abgebaut.

Das aus technischer Sicht Überzeugende an Koroyd ist, dass die Verzögerung über den gesamten Knautschweg nahezu konstant ist. Das heißt: Koroyd entfaltet schon ab dem ersten Zentimeter seine volle Wirkung. Ein Schaumstoffprotektor hingegen erreicht erst mit wachsender Kompression höhere Verzögerungswerte. Deshalb können Koroyd-Protektoren viel dünner gebaut werden und dennoch die von der Protektor-Zulassungsnorm EN 1651 geforderten Grenzwerte einhalten. Man beachte: Die in manchen Gurtzeugen von Neo, Gin und Ozone verwendeten Protektoren mit Koroyd-Einsätzen sind nur zwischen acht und neun Zentimeter hoch.

Schwellenwert als Problem

In den Forendiskussionen wird Koroyd dennoch stark hinterfragt. Die Kritik lautet: Koroyd-Protektoren entfalten ihre guten Schutzeigenschaften letztendlich erst ab eben einem bestimmten Schwellenwert. Bei einem leichteren Einschlag behalten sie hingegen ihre intakte Form. Das heißt, sie verhalten sich wie eine feste Platte. Der Aufprall wird in so einem Fall so gut wie gar nicht gedämpft. Der Pilot wird kräftig durchgerüttelt und könnte sich unter Umständen sogar Verletzungen zuziehen, die mit einem softeren Schaumstoffprotektor und seinem von Anfang an elastischen Verhalten möglicherweise verhindert würden.

Im deutschen Gleitschirmdrachenforum gibt es den kurzen Bericht eines Piloten, der genau einen solchen Fall beschreibt. Nach einer etwas härteren Landung auf dem Koroyd-Protektor waren dessen Röhrchen-Dämpfer noch unversehrt. Aber den Schlag ins Rückgrat empfand der Pilot als so unerwartet heftig und schmerzhaft, dass er nach diesem Vorfall das Gurtzeug verkaufte und sich entschloss, lieber wieder anderen Protektorbauarten zu vertrauen.

Zählt nur der "worst case"?

Koroyd-Protektor wie er im Gurtzeug
Neo Suspender eingesetzt wird.
// Quelle: Neo

Hier offenbar sich ein Dilemma: Denn es stellt sich die Frage, auf welches Unfallszenario hin ein Protektor eigentlich zugeschnitten werden sollte.

Man könnte zum Beispiel sagen: Der Protektor muss vor allem das Schlimmste von einem Piloten abwenden können, d.h. er sollte im "worst case" am besten funktionieren. Hierfür könnte Koroyd von seinen Dämpfungseigenschaften her tatsächlich eine sehr gute Wahl sein. Wenn man hingegen erwartet, dass ein Protektor auch weniger heftige Crash-Situationen für den Piloten erträglich machen sollte, dann müsste man Koroyd möglicherweise sogar die Note "mangelhaft" geben.

Ein Problem ist, dass beim Protektortest gemäß EN-Norm aber gar nicht derart verschiedene Szenarien betrachtet werden. Man lässt dort, vereinfacht gesagt, nur einen 50 kg schweren, festen Torso als Prüfkörper aus 1,65 Meter Höhe auf den Protektor plumpsen, um die dabei auftretenden Beschleunigungsspitzen zu messen. Bleiben diese unter dem definierten Grenzwert von 50G, hat der Protektor den Zulassungstest bestanden. Ob der gleiche Protektor bei einem Test aus nur 80 Zentimeter Höhe sich vielleicht als viel schlechter erweisen könnte, lässt dieses Vorgehen nicht erkennen.

Die Crux des doppelten Einschlags

Möglicherweise verhindert sogar eine weitere Vorgabe des Protektortests, dass Koroyd überhaupt seine ganze Stärke in einem Gleitschirmprotektor ausspielen kann. Denn die Norm verlangt, dass jeder Protektor die Testprozedur gleich zwei Mal hintereinander bestehen muss – und zwar derselbe Protektor. 

Für Protektoren aus Schaumstoff ist das in der Regel kein Problem. Der Schaum dehnt sich nach einem Aufschlag einfach wieder zu seiner Ausgangsdicke aus. Damit stellt er erneut den ganzen Weg für die Dämpfung zur Verfügung.

Bei Koroyd ist das anders. Die einmal geknautschten Bereiche der Röhrchen stellen nicht wieder zurück. Um den Protektortest zu bestehen, darf das Koroyd beim ersten Durchgang also höchstens seine halbe Bauhöhe als Knautschzone verbrauchen, damit für den zweiten Test-Einschlag noch genug Knautschweg übrig bleibt. 

Um das zu garantieren, werden die Koroyd-Elemente zwangsläufig steifer sein und einen höheren Verformungs-Schwellenwert haben müssen. Würde hingegen nur ein einzelner Einschlag berücksichtigt, so könnte Koroyd gleich den Großteil seiner Bauhöhe verbrauchen und könnte in einer weitaus softeren Variante in die Gurtzeuge kommen. Das wird durch die Norm verhindert.

Im Grunde kann man daraus ableiten: Die aktuell verwendeten Koroyd-Protektoren sind vor allem auf ein gutes Abschneiden unter den Testvorgaben, aber weniger auf den in allen Szenarien besten Schutz der Piloten ausgerichtet. 

Unklare Zeiten

Koroyd-Element intakt und im 
gekrumpelten Zustand.
// Quelle: DHV

Am Ende stellt sich die Frage: Welche Schlussfolgerungen zieht man daraus? 

Eins ist klar: An den laufenden Diskussionen beteiligen sich einige durchaus erfahrene Mess- und Materialexperten, und deren Kritik erscheint nicht an den Haaren herbei gezogen. 

Bisher fehlen allerdings echte Messreihen, die zeigen: Um wieviel besser oder schlechter schneiden Koroyd-Protektoren bei unterschiedlichen Testszenarien wirklich ab? Und gibt es tatsächlich eine Einschlag-Schwelle, bis zu der so ein Protektor in bereits verletzungsträchtiger Weise wirkungslos bleibt?

Der DHV geht nach Aussagen seines Sicherheitsexperten Karl Slezak solchen Fragen derzeit nach. Wann belastbare Ergebnisse vorliegen werden, ist noch nicht absehbar. 

Genauso unklar sind die möglichen Folgen, sollten sich die Zweifel an den aktuellen Koroyd-Protektoren bestätigen. Die Protektoren würden ja weiterhin der gültigen Norm entsprechen und ihre Zulassung behalten. Offizielle Sicherheitsmitteilungen sind also nicht zu erwarten.

Eher könnten die laufenden Diskussionen und möglichen kritischen Resultate die Gurtzeug-Hersteller dazu bewegen, entweder in künftigen Protektor-Generationen wieder ganz auf Koroyd zu verzichten. Oder zumindest etwas dickere Koroyd-Protektoren mit softeren Elementen zu entwickeln, die schon bei geringeren Drücken zu krumpeln beginnen.

Bis dahin bleiben unklare Zeiten – vor allem für die Piloten, die bereits Gurtzeuge mit Koroyd-Protektoren besitzen oder damit liebäugeln. Die Koroyd-Kontroverse könnte manche in ein persönliches Koroyd-Dilemma stürzen: Sollen sie weiter auf die guten Seiten dieser Protektor-Technologie vertrauen oder den Zweiflern Glauben schenken und besser auf Alternativen setzen? Letzteres würde zwangsläufig bedeuten, nicht nur auf Koroyd-Protektoren, sondern auch auf die darauf zugeschnittenen Gurtzeuge zu verzichten.


Folgende aktuelle Gurtzeuge nutzen Koroyd-Protektoren (ohne Gewähr auf Vollständigkeit): Neo Suspender, Neo Stay Up, Gin Genie Lite 3, Gin Genie Race 4, Gin Genie X-Lite, Ozone Submarine.