Ein viel zu wenig beachtetes Risiko der Föhnfliegerei sind Welleneffekte. Deren unberechenbaren Einflüsse reichen bis zum Boden
Lenticularis-Wolken sind ein klares Zeichen für Wellen in der Atmosphäre. Aber Achtung! Auch ohne Lentis können die Luftmassen bei Föhn in Schwingung sein. // Bilder und Grafiken: Lu-Glidz |
Ein Thema taucht aber so gut wie nicht auf, obwohl es essenziell ist, um das "Risiko" Föhn besser zu verstehen: Föhnströmungen führen in vielen Fällen zur Ausbildung von mehr oder weniger kräftigen Wellen in der Atmosphäre. Unter Gleitschirmfliegern wird leider viel zu wenig über deren Auswirkungen gesprochen.
Wellenflug gilt als eine Domäne der Segelflieger, die bei besonders starkem Höhenwind auf der Luv-Seite von atmosphärischen Wellen bis in große Höhen von teils deutlich über 5000 Meter aufsoaren und dann "in der Welle" sehr weite Strecken fliegen können. Solche Zahlen vermitteln den Eindruck, dass sich Wellenphänomene nur bei starkem Föhn und dann weit über unseren Köpfen abspielen. Doch in der Realität wirken sich Wellen immer (!) auch bis in die tieferen Luftschichten aus. Und es sind vor allem diese Welleneffekte, die die Föhnfliegerei selbst bei scheinbar fliegbaren Windgeschwindigkeiten so unberechenbar und gefährlich machen.
Wie Wellen entstehen
Wellenbildung (klicke ins Bild für größere Ansicht) |
Damit sich Wellen ausbilden, braucht es noch eine zweite Zutat in der Wetterküche: Die Luftmassen oberhalb der Berggrate müssen über ein ausreichend dickes Höhenband hinweg stabil geschichtet sein, d.h. nur einen geringen Temperaturgradienten aufweisen oder sogar den Charakter einer Inversion besitzen. Dann liegt diese stabile Luftschicht wie ein Tischtuch über der Landschaft. Bei Föhnlagen ist das meistens auch der Fall.
Bläst der von den Bergen nach oben abgelenkte Wind von unten gegen dieses "Tischtuch", wird es dadurch aufgewölbt. Es drückt dann die gesamte darüber liegende Luftsäule nach oben.
Nun greift eine allgemeine Meteo-Regel: what goes up, must come down. Deshalb entwickelt sich hinter dem ersten Wellenberg eine Gegenbewegung. Und da Luft ein komprimierbares Medium ist, schießt die Auslenkung dort auch über die Ursprungshöhe des stabilen Luftmassen-Tischtuches hinaus nach unten, was dann abermals eine Gegenbewegung hervorruft, usw.
Letztendlich werden die Luftmassen auf diese Weise großräumig in wellenartige Schwingungen versetzt, die teilweise erst nach mehreren Hundert Kilometern über dem Alpenvorland auslaufen. Die Wellenlänge bzw. der Abstand zwischen den wiederkehrenden Wellenbergen und -tälern hängt dabei maßgeblich von der Windgeschwindigkeit ab.
Kleinräumige Luftdruckdifferenzen
Luftdruckdifferenzen am Boden |
Diese Luftdruckdifferenzen rufen Ausgleichsströmungen hervor, jeweils vom Hoch zum Tief. Bei Föhn mit Wellenbildung liegen gewissermaßen kleine Hoch- und Tiefdruckrinnen in enger Folge hintereinander. Die sich daraus ergebenden Luftströmungen bzw. Windmuster sind dann viel chaotischer, als wenn man es nur mit großräumigen (überregionalen) Ausgleichsströmungen zu tun hätte.
Als einer der Welleneffekte entstehen bänderartige Zonen mit mehr und Zonen mit weniger Wind. Dieses Durcheinander ist beim Fliegen spürbar und wird auch den mit dem Wind driftenden Thermiken aufgeprägt. Deshalb fühlt sich die Luft an Föhntagen häufig seltsam chaotisch, launisch oder irgendwie faulig an.
Wellenabhängige Düseneffekte
Verstärkte Kompression: Wellental trifft Berg |
Liegt ein Gebirgszug hingegen unter einem Wellenberg, ist die Lage dort entspannter und der lokale Wind wird schwächer ausfallen.
Entspannte Strömung: Wellenberg über Berg |
Wären diese Bereiche statisch, dann könnte man vielleicht aus der Erfahrung lernen, wo man bei Föhn noch halbwegs sicher in die Luft gehen kann. Allerdings ist die Wetterküche immer ein dynamischer Prozess, in dem sich alle Parameter mehr oder weniger schnell verändern.
Veränderliche Wellenlänge
Oben schrieb ich schon, dass die Wellenlänge maßgeblich von der Windgeschwindigkeit beeinflusst wird. Und diese wird sich mit der Zeit immer verändern – mal stärker werden, mal schwächer.
Entsprechend passt sich die Wellenlänge daran an. Und so kann es passieren, dass ein Standort am Berg, der vielleicht eine Weile fliegbar erscheint, mit einem Mal derart von der Welle getroffen wird, dass sich die Kompression und damit der Wind lokal deutlich verstärken. Schönes Föhnsoaring kann dann schnell in einen Überlebenskampf umschlagen.
Was kann man daraus lernen? Vor allem sollte man sich bewusst werden, dass das Fliegen bei Föhn immer mit größeren Unsicherheiten bzw. Risiken einhergeht, weil die Lage im Wortsinn einfach unberechenbar ist.
Beispiel Wellenprognose // Quelle: Skysight.io |
Anders als bei Wellen auf dem Meer können wir die Wellen in der Atmosphäre und ihre Veränderung so gut wie nicht sehen. Das heißt: Wir können nicht wissen, was wirklich kommt, wenn wir uns bei Föhn in die Lüfte schwingen. Wir können uns auch nicht auf Erfahrung verlassen. Denn lokale Strömungsmuster eines klassischen Flugtages, die wir glauben verstanden zu haben, können durch Welleneffekte völlig außer Kraft gesetzt werden.
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3 comments
Danke für den tollen Artikel! Gibt es eigentlich Daumenregeln (hängt bestimmt auch von der Föhn/Windstärke ab) wie weit diese Wellen in das Alpenvorland reichen können? Die engmaschigen Wettermodelle (NEMS/ECMWF) sagen bei uns (80km von den Alpen entfernt) meistens eine Föhn- Windschneise aus dem Rheintal kommend voraus, aber es tritt bei 95% der Vorhersagen nicht ein.
AntwortenLöschenBei Föhn & Wellen gibt es keine Daumenregeln. Da spielen zu viele Faktoren hinein. Windgeschwindigkeit, Höhe und Dicke der wellenden Sperrschicht, Windrichtung, Temperaturdifferenzen der Luftmassen etc. Dass Wellen im Alpenvorland noch "gefährlich" werden können, wird eher seltener sein. Dennoch kann es dann einfach unangenehmer sein in der turbulenteren Luft.
LöschenLeider ist die Fliegerei in Herradura bei Almunecar mittlerweile verboten. Bei passendem Wind und Bedingungen konnte man dort vom 70m Hügel überm Strand auf ca. 1200 in der Welle steigen. Diese Welle war ziemlich cool, es ging einfach überall hoch, wenn man den Einstieg mal geschafft hatte. Als Schisser bin ich aber bei 500m ausgestiegen, war mir einfach nicht geheuer. Andere sind wirklich weit überm Meer zum Teil mit Tandems auf 1200m rumgeflogen.
AntwortenLöschenAllerdings habe ich dort unten auch schon erlebt, wie das Windsystem zusammenbricht und die Sonnenschirme mit 30km/h ablandigen Wind Richtung Wasser gefloeen sind. Es ist immer ein schmaler Grat.
Im Condor Segelflugsimulator kann man sehr gut Wellen testen, sehr gute Animation.
Mayer
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