Die Website Comparaglider nutzt Flugdatensammlungen, um daraus statistische Leistungsparameter für Gleitschirmmodelle abzuleiten
Ausschnitt der Leistungsdaten auf Comparaglider, gefiltert für EN-B mit einer Streckung >5,3. (Ein Klick ins Bild vergrößert die Ansicht) // Quelle: Comparaglider |
Dennoch lässt das Thema Leistung die Szene nicht los. Jedem neuen Modell wird in der Regel unterstellt, dass es besser "gehen" müsse als der Vorgänger. Aber ist das so?
Seit kurzem ist im Web eine interessante Seite zu finden, die nicht nur für diesen Punkt ein wenig Aufklärung verspricht. Sie liefert auch interessantes Zahlenfutter für weitere Diskussionen. Es handelt sich um Comparaglider.com.
Dort kann man Leistungsdaten vieler aktueller und früherer Gleitschirmmodelle vergleichen. Einige Aha-, aber auch Oha-Momente sind garantiert. Über deren Wert werde ich weiter unten noch ein paar Worte verlieren.
Die Methodik
Erst einmal gilt es den methodischen Ansatz zu verstehen, mit dem Comparaglider arbeitet. Die von einem französischen Piloten namens Basile aufgesetzte Website zielt darauf, zu jedem der analysierten Schirmmodelle drei Werte zu ermitteln: die Geschwindigkeit, das Sinken in m/s und die daraus ableitbare Gleitzahl. Als Datengrundlage dienen die Aufzeichnungen Tausender Flüge aus XC-Datenbanken.
In jedem Flug sucht Comparaglider mit einem Algorithmus nach Passagen, die mindestens eine Minute lang ohne Höhengewinn in eine stete Richtung weisen – wie bei einer typischen Talquerung. Diese Abschnitte werden dann als Gleitflug gewertet, um dann dafür jeweils Geschwindigkeit, Sinken und Gleitzahl rechnerisch zu bestimmen. Pro Modell fließen Hunderte solcher Flüge dann in die Statistik ein, um eben für die Geschwindigkeit etc. sowohl den Mittelwert, als auch den Median zu ermitteln.
Für die weitere Betrachtung sollte der sogenannte Median besser geeignet sein als der Mittelwert. Der Median gibt jenen Wert in der Mitte wieder, für den genau 50% aller "Messwerte" darüber und 50% darunter liegen. Durch diese Rechnung bekommen untypische Extremwerte (besonders schnell / besonders langsam) einzelner Flüge weniger Gewicht. Beim statistischen Mittelwert hingegen können solche Extremwerte das Ergebnis eher verfälschen.
Aggregierte Leistungswerte
Die von Comparaglider gewählte Berechnungsweise darf man nicht als direkte Analyse der Leistung eines Schirmes sehen. Es handelt sich letztendlich um stark aggregierte Werte. Sie zeigen nicht, wie schnell ein Schirmtyp tatsächlich fliegt oder wie gut er gleitet, sondern wie schnell und effizient er von den typischerweise darunter hängenden Piloten auf typischen Gleitpassagen geflogen werden. Am deutlichsten wird das bei der ermittelten Geschwindigkeit.
Piloten, die EN-A Schirme fliegen, werden sich selten trauen, auf Gleitpassagen gegen den Wind stärker ins Gas zu steigen. Sportlich ambitionierte EN-C und EN-D Piloten hingegen sind es gewohnt, ihren Schirm häufiger zumindest mit Halbgas zu fliegen. Das spiegelt sich in den Geschwindigkeitswerten wieder. Bei EN-D-Schirmen liegen diese typischerweise über 36 km/h, bei den meisten EN-A unter 33 km/h.
Eigentlich würde man hier sogar noch größere Unterschiede erwarten. Dass das nicht der Fall ist, könnte damit zusammenhängen, dass Piloten unter schnelleren Sportschirmen sich im Vergleich zu EN-A-Piloten viel häufiger trauen, auf ihren Strecken überhaupt auch längere Gleitpassagen gegen den Wind anzugehen. Das senkt die resultierende Median-Geschwindigkeit.
Erkennbare Trends
Comparaglider sollte man nicht zur "genauen" Leistungseinschätzung einzelner Schirme heranziehen. Dafür ist dieser statistische Ansatz, der so viele Nebeneinflüsse integriert, viel zu schwammig. Dennoch lassen die Analysen einige interessante allgemeine Zusammenhänge und Trends erkennen. Vier Beispiele:
Der Streckungseffekt: Je höher die Streckung eines Schirmes, desto besser wird in der Regel die Leistung sein, weil der induzierte Widerstand abnimmt. Die Daten von Comparaglider bestätigen das. Pi mal Daumen lässt sich sogar eine relativ simple Gesetzmäßigkeit erkennen. Die errechnete Gleitzahl liegt sehr häufig irgendwo im Bereich von Streckung plus 2. Bei EN-A mit einer ausgelegten Streckung um 5 liegen die erflogenen Gleitzahlen um GZ 7, bei EN-C Schirmen (v.a. den neueren Modelle) mit typischen Streckungen zwischen 6,3 und 6,5 liegen die erflogenen Gleitzahlen häufig im Bereich von 8,3 bis 8,5. Allerdings sollte man dabei bedenken: Die meisten EN-C-Piloten sind heute mit Liegegurtzeugen unterwegs, während bei EN-A mit klassischen Sitzgurtzeugen geflogen wird. Die realen Gleitzahlunterschiede zwischen den Klassen dürften also eher kleiner sein.
Der Gewichtseffekt: Vergleicht man von einzelnen Modellen jeweils die erfassten Normal- und Leichtversionen miteinander, so fällt auf, dass die Leichtversionen in der Regel eine etwas höhere Geschwindigkeit aufweisen, was zugleich mit einem minimal stärkeren Sinken einher geht. Das dürfte weniger mit der Leichtbauweise zu tun haben, sondern zeigt etwas anderes: Leichtversionen häufiger als "Bergschirme" genutzt werden, bei denen die Piloten dazu tendieren, eine höhere Flächenbelastung zu wählen. Daraus ergibt sich die höhere Speed und das stärkere Sinken.
Das Standard-Sinken: Eins der auffälligsten Ergebnisse von Comparaglider ist, dass die errechneten Sinkwerte bei so gut wie allen Modellen ab EN-B im Bereich von 1,2 m/s liegen, mit nur kleineren Abweichungen in der zweiten Nachkommastelle. Da dieser berechnete Wert nicht das Sinken im Trimmspeed angibt, sondern eben auch wieder einen Mittelwert vieler Gleitpassagen darstellt, zeigt er vor allem, dass die Piloten offenbar ein gutes Gefühl dafür haben, ihre Schirme so zu fliegen und zu beschleunigen, dass das für sie gewohnte Standardsinken von Gleitschirmen dabei herauskommt. Bei den EN-A Schirmen liegt das errechnete Sinken übrigens eher bei 1,3 m/s. Hierfür dürften vor allem die dominierenden Sitzgurtzeuge und die im beschleunigten Flug schnell schlechteren Polaren eine Rolle spielen.
Leistungsstagnation: Auf Comparaglider ist es auch möglich, die Daten nach einzelnen Modellfamilien zu filtern – zum Beispiel Mentor, Chili, Iota oder Rush. Hier fällt auf, dass die Daten keinen eindeutigen Trend dahingegen zeigen, dass die Leistung von Modell zu Modell tatsächlich immer steigt. In manchen Fällen bleiben neuere Modelle sogar hinter den Vorgängern zurück oder bieten nur minimale Steigerungen. Wenn man dann noch bedenkt, dass in den vergangenen Jahren vor allem der immer verbreitetere Einsatz von Liegegurtzeugen mit aerodynamischem Bürzel neuere Messdaten (Flüge) gewissermaßen verfälscht, kann man getrost erkennen und muss akzeptieren, dass die Gleitschirmentwicklung in puncto Leistung de facto ein Plateau erreicht hat. Leistungsfortschritte zeichnen sich nur dort ab, wo man baulich deutlichere Veränderungen akzeptiert. Das gilt vor allem in Form einer größeren Streckung oder dem Übergang von den Drei- zu den Zweileinern.
Äpfel vs. Birnen
Abschließend noch eine wichtige Anmerkung. Es gibt diesen schönen Satz, der als Zitat häufig Winston Churchill zugeschrieben wird: "Glaube keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast". Diese Erkenntnis gilt natürlich auch für Comparaglider.
Die dort abrufbaren Einzelwerte sind nur wenig belastbar und auch schwer vergleichbar, schon allein weil bei jedem Modell andere Stichprobengrößen (Fluganzahl) vorliegen. Für eine bessere Einschätzung bzw. einen realistischeren Vergleich fehlen dann auch wichtige statistischen Angaben wie z.B. der Standardfehler oder die Standardabweichung. Letzten Endes liefert auch Comparaglider nur den sprichwörtlichen Vergleich von Äpfeln mit Birnen.
Dennoch ist es interessant, ein bisschen mit diesen Daten zu spielen. So lassen sich zumindest ein paar allgemeine Trends herauslesen oder hinein interpretieren, wie ich es oben in den vier Beispielen schon getan habe.
Basile, der Kopf hinter Comparaglider, hat übrigens angekündigt, die Datenbasis regelmäßig mit neuen Flugauswertungen anreichern und die Auswertung damit updaten zu wollen.
2 Kommentare
Den Ansatz finde ich interessant.
AntwortenLöschenEinen Vergleich zwischen unterschiedlichen Schirmgrößen oder Gewichtsklassen fände ich wichtig, da nicht jede Marke das gesamte Spektrum der Gewichtsklassen mit seinen Modellen abdeckt. Z.B. bieten u. A. Ozone, AirDesign oder Nova, besonders kleine Schirmgrößen an, die tendenziell schlechter performen, was den Modell-Durchschnitt negativ beeinflusst. Dies könnte ein Modell schlechter darstellen. Vergleich macht mehr Sinn, bei vergleichbaren Größen.
Ebenso bietet ein Gewichtsklassenvergleich eine gute Gelegenheit Leistungsunterschiede anhand der Schirmgrößen zu Untersuchen. Trotz aller physikalischen Kenntnisse, gibt es keine Gewichts-Wertungsklassen, warum eigentlich nicht?
Im Wettkampf wird zwischen Alter und Geschlecht unterschiedlich, jedoch nach dem Startgewicht. Hier sind höchstwahrscheinlich beide Enden der Verteilungskurve betroffen, wegen Verfügbarkeit oder anderen Nachteilen.
Bis dahin werden Wettkampf-Pilot*innen noch mit mehreren Zentnern Ballast an den Start gehen.
Johannes Wolf
Super spannender Ansatz, um zumindestens Tendenzen und Trends zu erkennen. Man kann das Ganze dann mit statistischen Methoden sicherlich noch auf die Spitze treiben, aber stimme Dir zu Lucian, dass es vlt. sogar mehr über die Piloten und deren Nutzung aussagt, als über die Schirme.
AntwortenLöschenDie Datenbasis ist jedenfalls noch sehr mau - ein paar Modelle eingegeben; teils unter 300 Flüge analysiert von teils unter 20 Piloten. Das gibt mir (noch) keinen Aufschluss über Wert der Ergebnisse.
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