Gerissene Gleitschirmleinen vorrübergehend mit einem Knoten zu reparieren ist weitaus gefährlicher als von vielen gedacht. Messungen zeigen einen enormen Festigkeitsverlust. 

Mit einem Spierenstich kann man zwei Seile oder Leinen miteinander
verbinden. Allerdings geht das mit einem enormen
Verlust an Festigkeit am Knoten einher.
// Quelle: Gleitschirmdrachenforum
Robert steht nach einer anstrengenden Wanderung am steinigen Startplatz. "Nur noch schnell runterfliegen", denkt er sich. Beim Aufziehen des Schirmes bemerkt er einen plötzlichen Ruck. Eine mittlere Galerieleine aus Dyneema hat sich an einem scharfen Stein verhakt und ist gerissen. "Scheiße, auch das noch". Glücklicherweise hat er ein Stück alte Leine im Rucksack – übrig geblieben beim letzten Schirmcheck. Ein Fliegerfreund hatte ihm mal den Tipp gegeben, bei gerissenen Leinen einfach ein anderes Stück Leine in passender Dicke und Länge einzuknoten. Mit einem sogenannten Spierenstich sei das millimetergenau möglich und die Verbindung auch längenstabil. Für einen Abgleiter sollte das allemal reichen.

Doch halt! Nach neueren Erkenntnissen birgt Roberts Vorgehen ein viel zu großes Risiko. Geknotete Leinen werden an den Knoten extrem stark geschwächt. Man muss gar damit rechnen, dass eine solche behelfsmäßige Reparatur selbst den beim einfachen Geradeausflug auftretenden Belastungen nicht gewachsen ist.

Im aktuellen Thermik-Magazin (Ausgabe 11-12, 2017) ließ die Redaktion im Testlabor des Leinenherstellers Liros die Festigkeitsverluste bei verschiedenen Knotentypen ermitteln. Für den Test wurden Leinen aus Aramid (Technora) und Dyneema mit einer Mindestbruchlast von jeweils 120 daN verwendet, was einer Tragfähigkeit von ungefähr 120 kg entspricht. Solche Leinen werden typischerweise im mittleren Leinenstockwerk von Gleitschirmen eingesetzt.

Bei den Dyneema-Varianten war der Festigkeitsverlust durch Knoten besonders hoch. Statt 120 daN zu halten, rissen oder lösten sich die Leinen im Bereich des Knotens schon nach 7,27 (Doppelter Schotstek), 8,69 (Einfacher Spierenstich) und 14,34 daN (Doppelter Spierenstich). In den ersten beiden Fällen bedeutet das: Mit Knoten erreichten die Leinen nicht einmal 10% der Nennfestigkeit. Bei den Technora-Leinen lagen die Werte rund drei Mal höher, was aber immer noch einen enormen Verlust an Festigkeit bedeutet.

Auch Philipp Medicus, Konstrukteur von Nova, machte in letzter Zeit verschiedene Reißversuche mit geknoteten Leinen. Bei Dyneema-Leinen konnte er die vom Thermik-Magazin genannten Werte in etwa reproduzieren. "Ein derartiger Festigkeitsverlust auf unter zehn Prozent war mir bisher nicht bekannt", sagt er. Aus den Messungen sollte man seiner Ansicht nach den Schluss ziehen:
Knoten sind zur Leinenreparatur ungeeignet!

Ein komplettes Reparaturset mit Ersatzleine
Selberspleißen. // Quelle: Kontest.eu
Was bleibt als Alternative? 
Eine Notfallreparatur sollte stets erfolgen, indem man sich eine Leine mit entsprechender Mindesbruchlast bedarfsgerecht in passender Länge spleißt. Dafür sollte man am besten für den Notfall stets rund sechs Meter  unummanteltes Leinenmaterial mit rund 230 daN Bruchlast im Gurtzeug mitführen. Damit könnte man im Notfall sogar gerissene Stammleinen vorübergehend ersetzen. Auch wenn man in der Not mal eine eigenlich zu dicke Leine in die Galerie einspleißt, wird das nicht stören. Es bleibt aber eine Notlösung, d.h. man sollte den selbst gespleißten Ersatz baldmöglichst wieder gegen eine Originalleine laut Herstellervorgaben austauschen.

Zu einem Minimal-Spleißset für Notfälle gehört neben der Reparaturleine natürlich auch eine stumpfe Nadel (etwas schmaler als der Leinendurchmesser); eine spitze Nähnadel mit einem Stück Garn (um den gespleißte Stelle zu sichern); ein Taschenmesser und ein Filzstift zur Markierung der genauen Leinenlänge.

Wer es sich einfach machen will, findet mittlerweile bei verschiedenen Anbietern komplette Notfallreparatursets, die schon einseitig vorgespleiste Reparaturleinen enthalten. Im Thermik-Shop oder bei Kontest.eu kostet so ein "Save-my-flight"-Täschchen 59 € plus Versand.

Übrigens: Bevor man mit so einem Set tatsächlich den Notfall erlebt, sollte man das Spleißen von Leinen am besten zuvor einmal zu Hause ausprobieren und üben. Es ist kein Hexenwerk. Die flugarme Winterzeit bietet sich dafür gut an. Und warum nicht einmal einen Spleiß-Workshop im eigenen Fliegerclub organisieren?

Was man fürs Not-Spleißen können muss, zeigt Konrad Görg von Kontest in einer einfachen Video-Spleißanleitung auf Youtube: